bolz²AWB, polz² m. a-St., seltener bolzoAWB, polzo
m. n-St., nur in Gl.: ‚Schießbolzen, catapulta,
pultio (bulcio); Brenneisen, cauter(ium); Straf-
oder Marterinstrument (Pfahl? Stock?), nervus
(auch durch stoc, bort² glossiert, s. d. d.)‘ 〈Var.:
-c(z), -tz〉. — Mhd. bolz(e), nhd. Bolzen,
mdartl. auch Bolz, Polz.
Ahd. Wb. I, 1256 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 86; Starck-
Wells 69; Graff III, 114 f.; Schade 79; Lexer I, 324 f.;
Benecke I, 118; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 84. 106.
109; Dt. Wb. II, 234; Trübners Dt. Wb. I, 388 ff.; Klu-
ge²¹ 90; Kluge²² 97; Pfeifer, Et. Wb. 198.
Das Wort hat Entsprechungen in älterer Zeit
nur im Westgerm.: as. bolt ‚Bolzen, Stab, Pflug-
eisen(?)‘ (nur Werdener Heberolle I, 23 b; vgl.
Gallée, Vorstud. z. e. andd. Wb. 33), mndd.
bolte ‚Bolzen, Pfeil, Eisenstab, großer Nagel;
Fessel‘; mndl. bout(e) ‚Bolzen, eiserner Nagel,
Pfeil; Schenkel eines Tieres‘, nndl. bout; ae. bolt
‚(Schieß-)Bolzen‘, me. ne. bolt ‚Bolzen, Pfeil,
Riegel‘. Nisl. bolti ‚Bolzen, Eisennagel‘, ndän.
bolt ‚Nietnagel, Eisenbolzen‘, aschwed. bult,
bolt, nschwed. bolt ‚Eisennagel‘ sind aus dem
Mndd. entlehnt.
Fick III (Germ.)⁴ 268; Holthausen, As. Wb. 9; Schil-
ler-Lübben, Mndd. Wb. I, 381 f.; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 313; Verdam, Mndl. handwb.
113; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 87; Vries, Ndls. et.
wb. 82; Holthausen, Ae. et. Wb. 30; Bosworth-Toller,
AS Dict. 116; Suppl. 101; ME Dict. A—B, 1032;
OED² II, 371; Oxf. Dict. of Engl. Et. 105; Vries, A-
nord. et. Wb.² 49; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 630. 956;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 92; Torp, Nynorsk et.
ordb. 34; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 70.
Die Etymologie ist unsicher. Meistens wird ur-
germ. *ulta(n)- mit lit. bélsti (béldžiu) ‚klop-
fen, pochen‘, intens. báldyti, ablautend bildti
‚poltern, dröhnen‘, baldas ‚Stößel‘ (pl. badai
‚Hausgerät, Möbel‘); lett. belzt (belžu) ‚einen
Schlag versetzen‘ (dies nach Mühlenbach-End-
zelin, Lett.-dt. Wb. I, 278 aus einer Kontamina-
tion von *beld- + *telz- ‚schlagen‘, nach Fraen-
kel, Lit. et. Wb. 39 dagegen den lit. Formen ge-
nau entsprechend, denn lett. -ž- kann auch auf
*-di̯- zurückgehen) und lat. fullō ‚Kleiderwal-
ker‘ (< *bhdō-) in Verbindung gebracht und
beide Gruppen auf eine idg. Grundform *bheld-
‚schlagen, pochen, stoßen(?)‘ zurückgeführt.
Diese Erklärung ist aus semantischen Gründen
bezweifelt worden (u. a. von J. Brüch, ZfdA 73
[1936], 75 ff.). Zwar paßt die gewöhnliche Deu-
tung von idg. *bheld- als eine Erweiterung der
idg. Schallwurzel *bhel-, → bellan¹ (so Pokorny
124; Walde-Pokorny II, 184: „so daß *bheld-
ursprl. auf den Schall beim Klopfen, Schlagen
gegangen wäre“) nicht besonders gut zu einem
Schießbolzen, aber vieles spricht für eine zweite
idg. Wz. *bhel(ǝ)- [**bhel(H)-] ‚schlagen‘ (→
-bellan², bliuwan und vgl. A. L. Lloyd, AJGLL
1 [1989], 53 ff.). Die Annahme, daß der ziem-
lich kurze, dicke Bolzen der Armbrust, der
durch seine große Stoßkraft selbst einen Panzer
durchbohren konnte, ein ‚Schläger, Stoßer‘ ge-
nannt wurde, ist wohl nicht allzu abwegig. Man
findet im Aisl. eine mögliche Parallele: bílda
‚eine Art Pfeil‘, bíld-ǫr ‚Pfeil mit blattförmiger
Spitze‘ (Cleasby-Vigfusson, Icel.-Engl. Dict. 64:
‚a blunt arrow, a bolt‘) — vgl. bíldr ‚Aderlaßmes-
ser‘ — gehören zur idg. Wz. *bhei̯(ǝ)- ‚schlagen‘
(Vries, Anord. et. Wb.² 36; Jóhannesson 35. 60;
Heggstad, Gamalnorsk ordb. 55; Pokorny 118).
Solange man nicht weiß, was die ursprl. Bed.
von germ. *ulta(n)- vor der Einführung der
Armbrust war, bleibt der genaue Bedeutungsan-
satz jedoch unklar (unwahrscheinlich ist jeden-
falls die Erklärung bei Kluge²¹, der Bolzen sei
„in seiner vorgeschichtl. Grundbed. ‚Holznagel‘
nach dem Klang beim Einklopfen benannt“).
Für die Deutung ‚Schläger, Stoßer‘ spricht im-
merhin die Tatsache, daß der zweite Teil von
ahd. ana-bolz ‚Amboß‘ (s. d.), der ohne Zweifel
die Grundbed. ‚schlagen‘ voraussetzt (vgl. ana-
falz, anabôz), kaum von bolz(o) zu trennen ist
(verfehlt Walde-Pokorny II, 184 [nicht mehr
Pokorny 124]: ahd. anabolz stehe im gramm.
Wechsel zu ahd. anafolz(!) [das ahd. Wort ist
übrigens anafalz]).
Weniger wahrscheinlich sind zwei Etymologien, nach
denen bolz(o) von anabolz zu trennen ist: 1) bolz(o)
gehöre zu ahd. bolôn ‚wälzen, schleudern‘ (s. d.),
mhd. boln ‚rollen, werfen, schleudern‘ (so u. a. Wei-
gand, Dt. Wb.⁵ 266: „doch macht dabei die Ableitung
Schwierigkeiten“; Gamillscheg, Romania Germanica
I, 177 f.; vgl. J. Brüch, a. a. O. 75 f.; zur Ableitung Wil-
manns, Dt. Gr. II § 274). Eine Stütze für diese Etymo-
logie ist viell. in der viel zitierten Glossenstelle Corp.
Gl. Lat. II, 582, 8 zu finden: iactus boltio. sagitta. sciu-
til (Glossae Nominum [8./9. Jh.]: in der Hauptsache
lat. Glossen mit verstreuten germ. [meistens ae.] Wör-
tern). boltio ist ein latinisiertes germ. Wort (wohl nicht
nach Gallée, a. a. O. 33 ein as. Wort), das meistens als
‚Bolzen‘ gedeutet und mit pultio, bulcio identifiziert
wird (vgl. Corp. Gl. Lat. VI, 534, s. v. iactus). Aber iac-
tus ist normalerweise ein Abstraktum mit der Bed.
‚das Werfen, Schleudern, der Wurf‘ (z. B. iactus sagit-
tae). Man fragt sich, ob boltio viell. nur iactus ‚Wurf‘
und sciutil nur sagitta ‚Pfeil‘ glossiert. Die abstrakte
Bed. ‚Wurf‘ hätte sich leicht in eine konkrete entwik-
keln können: ‚Geschleudertes, Bolzen‘. Jedoch ist die
Deutung dieser Glossenstelle zu unsicher, um als Basis
für eine Etymologie von bolz(o) zu dienen.
2) bolz(o) gehöre zur idg. Wz. *bhel(ǝ)- ‚Balken‘ (vgl.
Vries, Ndls. et. wb. 82 und → balko). Obgleich einige
der verschiedenen Bed. des Wortes in den nhd. Mdaa.
leicht aus solch einer Grundbed. stammen könnten,
z. B. österr. ‚Stutzpflock, -balken‘ (Kranzmayer, Wb.
d. bair. Mdaa. in Österr. III, 590 f.), schwäb. ‚Wagbal-
ken; Sperriegel am Schloß‘ (Fischer, Schwäb. Wb. I,
1281 f.), kommt diese Wz. im Idg. selten, im Germ. nie
ohne die Erweiterung *-g̑- (*--) vor (Pokorny
122 f.).
Abzulehnen ist die alte (bei Kluge¹⁰, auch Keller, AS
Weapon Names 201 erwähnte) Herleitung aus lat. cata-
pulta, die von J. Brüch, a. a. O. eifrig verteidigt, revi-
diert (aus einer Nebenform *catapultio) und von Klu-
ge²² wieder aufgenommen wurde. Brüchs Erklärung
beruht auf sehr fraglichen Analogien (nach lat. *cata-
lectus : lectus bildete man zu *catapultio ein pultio
[S. 83]; galloroman. *buldione entstand durch Anleh-
nung von bultio an frk. *bīld(a) = anord. bílda
[S. 85]). Umgekehrt sind spätlat. bultio (pultio, bulcio)
wie auch die daraus entwickelten roman. Wörter wie
ital. bolzone, afrz. mfrz. bouzon, boujon, bous(s)on
(diese Wörter bereiten lautl. Schwierigkeiten, denn
*-tj- hätte, wie in manchen Mdaa. tatsächlich nach-
weisbar, -ss- oder -š- ergeben sollen; vgl. Wartburg,
Frz. et. Wb. XV, 2, 12 f.) wohl aus dem Germ. ent-
lehnt. Zwar ist ein germ. -jan-Stamm *ultjan- nicht
belegt, aber die oben erwähnte Form boltio ist viell. als
der älteste Beleg des latinisierten germ. Wortes zu be-
trachten. Vgl. Lessiak, Dt. Konsonantismus 171.
Auch abzulehnen ist Lessiaks (a. a. O. 174) Deutung
von bolz als ursprl. ‚junges Pflanzengeschoß (als
Pfeil)‘ (vgl. Schweiz. Id. IV, 1227), zu obd. mdartl. bel-
zen ‚stoßen, schlagen‘ > ‚hineinstechen, pflanzen‘ (→
pelzôn).
Walde-Pokorny II, 184; Pokorny 124; Fraenkel, Lit.
et. Wb. 39; Mittellat. Wb. I, 1613 f.; F. Kluge, Arch.
Roman. 6 (1922), 302 f.; Frings, Germania Romana I²,
193 f.; II, 169 f.; Trésor de la langue franç. IV, 787 f.