freisaAWB f. ō- und n-St., Otfrid, Notker und
in Gl. seit dem 8. Jh.: ‚Gefahr, Gefährdung,
Bedrängnis, Verderben, Schaden, discrimen,
dispendium, erumna, exitium, interitus, pericu-
lum, pernicies, temptatio‘ 〈Var.: vr-, ur-; -ai-〉.
— Mhd. vreise st. sw. f., sw. m. ‚dss.‘, auch
‚Angst, Schrecken‘, frühnhd. freis(e), nhd.
mdartl. freis(e), frais, freisch usw., z. T. mit der
Bed. ‚(Kinder-)Krampf‘.
Ahd. Wb. III, 1236 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 262; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 327 f.; Schützeichel⁵ 140;
Starck-Wells 177. 811; Schützeichel, Glossenwort-
schatz III, 291 f.; Seebold, ChWdW8 135; Graff III,
398; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 426 (periculum). 428
(pernicies); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 202 (discrimen).
203 (dispendium). 228 (erumna). 240 (exitium). 349
(interitus). 389 (malum). 480 (periculum). 482 (perni-
cies). 648 (suspendium); Dt. Wb. IV, 1, 1, 119. —
Schweiz. Id. I, 1331; Fischer, Schwäb. Wb. II, 1731;
Schmeller, Bayer. Wb.² I, 826; Lexer, Kärnt. Wb. 102
(frâs); Schöpf, Tirol. Id. 149; Schatz, Wb. d. tirol.
Mdaa. I, 187 (froas); Müller, Rhein. Wb. II, 774;
Christmann, Pfälz. Wb. II, 1584; Mitzka, Schles. Wb.
I, 339 (fras). 341 (freise).
Dem ahd. Subst. freisa entsprechen: as. frēsa f.
‚Gefahr, Schaden‘ (daneben viell. frēso sw. m.;
vgl. Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 242; Schlüter,
Gesch. d. as. Spr. 50 Anm.), mndd. vreise f.m.
‚Gefahr, Schrecken, Furcht‘; andfrk. freisa, frē-
sa f. ‚Untergang, Vernichtung, interitus‘, mndl.
vrese, vreese, vreise f. ‚Gefahr, Schrecken,
Angst‘, nndl. vrees; afries. frāse, frēse f. ‚Gefahr‘.
Sonst sind nur Verben belegt: ae. frāsian sw. v.
‚erforschen, fragen, versuchen‘ (→ freisôn); got.
fraisan red. v. ‚versuchen, πειράζειν‘; mit t-Er-
weiterung aisl. freista sw. v. ‚versuchen, erpro-
ben‘ (vgl. got. fraistubni f. ‚Versuchung‘),
nnorw. freista, nschwed. fresta, ndän. friste.
Fick III (Germ.)⁴ 245; Seebold, Germ. st. Verben 207;
Holthausen, As. Wb. 22; Sehrt, Wb. z. Hel.² 150;
Berr, Et. Gl. to Hel. 136; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 993; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. V,
527; Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 99; Kyes, Dict. of
O. Low and C. Franc. Ps. 27 f.; Verdam, Mndl.
handwb. 750; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 761 f.;
Suppl. 187; Vries, Ndls. et. wb. 803 f. 804 (vrezen);
Holthausen, Afries. Wb.² 31; Richthofen, Afries. Wb.
758; Holthausen, Ae. et. Wb. 115; Bosworth-Toller,
AS Dict. 331; Suppl. 262; Vries, Anord. et. Wb.² 141;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 544 f.; Holthausen, Vgl. Wb.
d. Awestnord. 72; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
275 f. 1463; Torp, Nynorsk et. ordb. 134; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 236; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 162;
Lehmann, Gothic Et. Dict. F-75.
Germ. *fraisō(n)- hat keine Entsprechungen au-
ßerhalb des Germ. Die Etymologie ist umstrit-
ten:
1) Die Grundbedeutungen der germ. Wortgrup-
pe: ‚versuchen, erforschen, in Gefahr bringen‘
stimmen fast genau mit denen der Sippe von der
idg. Wz. *per- in lat. experior ‚mache einen Ver-
such, erprobe, prüfe‘, perīculum ‚Versuch, Pro-
be, Gefahr usw.‘ überein (vgl. Pokorny 818 und
→ fâra). Als Grundlage für die germ. Wörter
käme eine erweiterte Wz. *p(e)ri̯-, -i̯, - in
Frage (vgl. Hirt, Idg. Ablaut 121; O. Wiede-
mann, BB 28 [1904], 48; Falk-Torp, a. a. O.;
Seebold, a. a. O.; etwas anders, aber lautlich
nicht möglich S. Bugge, PBB 24 [1899], 435 f.:
< *porǝso-; anders L. A. Connelly, IF 85
[1980], 112: < *pre-Ai-s- ??). Solche Wurzeler-
weiterungen kommen öfters vor (vgl. z. B.
*bh[e]rei̯- zu *bher- ‚aufwallen‘; Pokorny 133,
→ brîo; *[s]k[e]rei̯- zu *[s]ker- ‚schneiden‘; Po-
korny 949 f., → rîtera, [h]reini). Diese an sich
ganz glaubhafte Etym. wird nur deshalb bestrit-
ten, weil es keine sichere außergerm. Stütze für
die Existenz einer Wz. *p(e)rei̯- gibt; lat. perīcu-
lum, perītus können zwar aus dieser Wz. stam-
men (so Hirt, a. a. O.), können aber auch (mit
sekundärem langem ī aus den Zss. mit -perior)
von einer i̯o-Ableitung (wie gr. πεῖρα < *περi̯α)
aus gebildet sein; vgl. Walde-Pokorny II, 29;
Pokorny 818; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II,
289.
2) Wie bei anderen germ. Wörtern auf fr- be-
steht die Möglichkeit einer Zss. mit fra- (→ fra-
vali, frâza, frêht, frêhten[?], freidi, frezzan);
vgl. C. C. Uhlenbeck, PBB 30 (1905), 277. Nach
Brugmann, Grdr.² I, 925 und Fr. A. Wood,
MLN 16 (1901), 309 aus *fra- und *ais- in aisl.
eisa ‚heftig vorwärts eilen‘, zur idg. Wz. *ei̯s-
‚(sich) heftig, ungestüm, schnell bewegen‘ (Po-
korny 299 ff.); hierher auch ae. of-ost, as. o-ast
‚Eile, Eifer‘; ähnlich gebildet aind. préṣa- m.
‚Antrieb‘, préṣyati ‚treibt an, sendet aus, fordert
auf‘ usw. Der Bed.unterschied scheint aber
schwer zu überbrücken.
Nach O. Hoffmann, Fick-Festschrift 38 dagegen
aus *fra- und *ais- < idg. *ai̯s- [**H₂ei̯s-]
‚wünschen, begehren, aufsuchen‘ (Pokorny 16);
vgl. aind. éṣati ‚sucht‘. Von der semantischen
Seite her ist diese Deutung möglich, aber diese
Wz. scheint sonst im Germ., Slaw. und Balt. nur
mit -s-(-sk-)Suffix vorzukommen (wie auch
meistens in den anderen idg. Sprachen; vgl. aind.
iccháti [< *is-só-] [**H₂is-só-] ‚sucht,
wünscht‘; arm. aicՙ [*ais-s-] [**H₂is-sáH₂-]);
→ eiskôn.
Trotz des Mangels an genauen Vergleichen
scheint der Anschluß an die Wz. *per- am wahr-
scheinlichsten.
S. auch freisîg, freislîh, freisôn, freis(s)am, frei-
sunga, helli freisa, woroltfreisa.