gerstaAWB f. n-St., bei O und in Gl. seit dem
10. Jh.: ‚Gerste; farrago, hordeum, ptisana‘
(Hordeum L.) 〈Var.: k-; -d- Gl. 3,501,1
(11./12. Jh., alem.)〉. Früher belegt (im T) ist
adj. girstîn ‚aus Gerste‘, eine subst. Ableitung
mit dem Stoffadjektive bildenden Suffix
*-īna- (s. d.). — Mhd. gerste sw. f., nhd. Gerste
‚Getreideart mit langen Grannen‘.
Ahd. Wb. 4, 233; Splett, Ahd. Wb. 1, 301; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 367; Schützeichel⁶ 133; Starck-Wells 198.
815; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 443 f.; Graff 4,
265; Lexer 1, 887; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 256 (farra-
go). 306 (hordeum). 537 f. (ptisana); Dt. Wb. 5, 3734 ff.;
Kluge²¹ 250; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 434. — Baur
1960: 64 f. 173; Marzell [1943—58] 2000: 2, 885 ff.;
Sauerhoff 2003/04: 311 f.
Die Getreidebezeichnung hat nur im festländi-
schen Westgerm. direkte Entsprechungen: as.
gersta sw. f., mndd. gerste (garst[e], gast) m.
und f.; mndl. gerste, garste, gerst f., nndl.
gerst, garst f. (mit Färbung von e zu a vor r-
Verbindungen; vgl. varste neben verste ‚Frist‘,
barste neben berste ‚Mangel‘ [Franck 1910:
§ 46]; anders: Lerchner 1965: 76, der eine
Fortsetzung der Schwundstufe annimmt);
nfries. garste, garst, gast f. ‚Gerste‘: < west-
germ. *gerstōn-.
Zugehörig ist auch der mit Schwundstufe
(westgerm. *gursta-) gebildete m. a-St. ae.,
me. gorst, gors ‚Ginster, Stechginster‘ (Ulex
Europaeus L.), ‚Wacholder‘ (Juniperus Com-
munis L.), ne. gorse ‚dss.‘. Im Herbarium
Apuleii glossiert ae. gorst lat. tribulus zur Be-
zeichnung des ‚Felddorns‘ (Tribulus terrestris
L.) und der ‚Wassernuß‘ (Trapa natans L.). In
beiden Fällen handelt es sich um dornige Ge-
wächse; zum Benennungsmotiv s. u. (eine
Verbindung zwischen ae. gorst und ahd. ger-
sta wurde wohl erstmals von W. Lehmann,
ZVSp 41 [1907], 391 hergestellt).
Ein anderes germ. Wort für die ‚Gerste‘ ist ae. bere m.
i-St. (< urspr. n. es-St. *ariz; vgl. Brunner 1965:
§§ 261. 263, 1 und Anm. 4. 288), das eine Entsprechung
in dem für das Got. erschlossenen n. es-St. *baris hat
(belegt ist nur got. barizeins ‚von Gerste bereitet;
κρίθινος‘; vgl. Schubert 1968: 56; A. Casaretto, HS 113
[2000], 230). Formal gehört auch aisl. barr n. (< *barz-)
hierher, das aber nicht speziell die ‚Gerste‘, sondern
das ‚Getreide‘ bezeichnet (Vries, Anord. et. Wb.² 27).
Aus dem It. schließen sich lat. far, gen.sg. farris n.
‚Dinkel, Spelt‘, osk.-umbr. far ‚Dinkel‘ (Untermann,
Wb. d. Osk.-Umbr. 265) < vorurit. *bhar(e)s- an. Au-
ßerhalb des europäischen Sprachgebietes ist das Wort
nicht belegt. Zu einer weiteren Bezeichnung für die
‚Gerste‘ s. u.
Fick 3 (Germ.)⁴ 130; Holthausen, As. Wb. 26; Wadstein,
Kl. as. Spr.denkm. 182; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 80; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 73;
Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 2, 1562; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 190; Suppl. 57; Vries, Ndls. et. wb. 199; Et.
wb. Ndl. F-Ka 242 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ost-
fries. Spr. 1, 593; Dijkstra, Friesch Wb. 1, 438; Fryske
wb. 7, 66; Holthausen, Ae. et. Wb. 135 (gorst); Bos-
worth-Toller, AS Dict. 485; Suppl. 483; Suppl. 2, 38;
ME Dict. s. v.; OED² s. v.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 81
(s. v. barizeins); Lehmann, Gothic Et. Dict. B-26. —
Bierbaumer 1975—79: 1, 70; 2, 54; 3, 115 f.
Westgerm. *gerstōn- < vorurgerm. *ĝherzd-
ah₂- ist eine hochstufige Kollektivbildung, die
erst im Germ. um das n-Suffix erweitert wur-
de. Das westgerm. Wort gehört zu lat. hor-
deum, dial. fordeum n. ‚Gerste‘, das über
*horzd-ei̯o- auf uridg. *ĝhzd-ei̯o-, ein Stoff-
adj. ‚aus Gerste, gersten‘, das substantiviert
wurde, zurückgeht (mit Assimilierung von
grundsprachlichem allophonischen [z] hinter r
zu rr und anschließender Vereinfachung; vgl.
Meiser 1998: § 83, 12).
In den romanischen Sprachen ist das Subst.
lat. hordeum als italien. orzo, afrz., nfrz. orge
m. und f., katal. ordi, aprov. ordi, orge, alogu-
dures. oriu, nlogudures. ordzu, rum. orz m.
fortgesetzt.
Mit der Kontinuante des Suffixes uridg. *-ah₂-
ist wohl verwandtes gr. κριθή (seit Ilias)
‚Gerstenkorn‘, meist pl. κριναί ‚Gerste‘, ge-
bildet. Ein Wurzelnomen *κρīθ n. < vorurgr.
*ghrizdh- (< *ghrezdh- mit unerklärtem *-e->
gr. ι wie in gr. ἵππος, myken. i-qo < *ek̂u̯os
‚Pferd‘; Rix 1992: § 104) lebt in episch κρῖ n.
‚dss.‘ fort. Bereits S. Bugge (ZVSp 32 [1893],
5) vermutet eine Verwandtschaft von gr. κρῖ
‚Gerste‘ mit arm. gari ‚dss.‘ < *ghi̯o-. Dage-
gen zieht Olsen (1999: 439) eine Verbindung
von arm. gari ‚Gerste‘ mit gr. κέγρος ‚Hirse,
Hirsekorn‘ in Betracht, das aus einem redupli-
zierten *gher-ghr-os dissimiliert sei (nach
Persson 1891: 73; s. auch Frisk, Gr. et. Wb. 1,
807). Wegen georg. qeri ‚Gerste‘ nehmen u. a.
Marr, in N. Jokl (IF 30 [1912], 203) und G.
Deeters (IF 56 [1938], 140) jedoch zu Recht
nichtidg. Ursprung von arm. gari an.
Ohne Dentalerweiterung ist heth. karš- (n.
Wurzelnomen; vgl. Rieken 1999: 63) oder
kar-aš ‚Emmer, Weizen?, Einkorn?‘ (n. s-St.;
vgl. Tischler, Heth. et. Gl. 1, 498) gebildet.
Die etym. Zugehörigkeit von karš-/ kar-aš
war lange Zeit umstritten. Wenn die Lesung
stimmt (und nicht die Verbindung eines Su-
merogramms KAR- mit einem heth. Kom-
plement -aš vorliegt), kann karš- an uridg.
*ĝherzd(h)-/*ĝhzd(h)- angeschlossen werden
(zuerst bei Hutter 1989: 60; ihm folgend J.
Puhvel, in Dunkel 1994: 321; Rieken 1999:
64; andere Vorschläge bei Tischler, a. a. O.;
ausführlich zur Beleglage und zum Sachlichen
Hoffner 1974: 73—77).
Mit der allgemeineren Bedeutung ‚Getreide‘
gehört auch alb. drith, drithë m. n. (dialektal
auch für bestimmte Getreidesorten wie Gerste,
Weizen) < *ĝhzdh-/*ĝhdh-ah₂- hierher. Sämt-
liche angeführten Wörter beruhen auf einer
Dentalerweiterung der Wz. uridg. *ĝhers-
/*ĝhs- ‚starren, rauh sein‘. Das Benennungs-
motiv für die ‚Gerste‘ sind demnach ihre lan-
gen Grannen, die ‚Gerste‘ ist somit die ‚Stach-
lige‘. Unerweitert begegnet die Wz. in ai.
hṣyati ‚ist starr, erschaudert‘.
In ai. hárṣate ‚erregt sich, freut sich‘ ist die Wz.
*g(w)hers- ‚sich erfreuen‘ offensichtlich mit der Konti-
nuante von uridg. *ĝhers- ‚sich sträuben, erstarren‘ zu-
sammengefallen [vgl. Gotō 1987: 347 Anm. 856]).
Gelegentlich sind Einwände gegen eine idg.
Herkunft von gersta samt Verwandten vor-
gebracht worden (z. B. von Braun 1922: S.
61 f., der etruskischen Ursprung annimmt;
Güntert 1934: 98 f. vermutet Entlehnung aus
dem Gebiet der Mittelmeersprachen). Diese
lassen sich aber durch den Anschluß an uridg.
*ĝhers- ‚starren, sich sträuben‘ sowie die Ana-
lyse der Wortbildung entkräften (vgl. Neu-
mann 1971: 85).
Walde-Pokorny 1, 610. 611; Pokorny 445 f.; LIV² 178;
Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. 2, 807 f.; Horn, Grdr.
d. npers. Et. 146 (Nr. 6567); Hübschmann, Pers. Stu-
dien 69; Frisk, Gr. et. Wb. 2, 18 f.; Chantraine, Dict. ét.
gr. 583; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1, 413 f. 656 f.;
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 299 f.; Thes. ling. lat. 6, 3,
2966; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 4618; Meyer-Lübke,
Rom. et. Wb.³ Nr. 4180; Wartburg, Frz. et. Wb. 4, 481 f.;
Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr. 74; Hübschmann, Arm. Gr.
432; Kronasser, Etym. d. heth. Spr. 327; Demiraj, Alb.
Et. 145 f.; Orel, Alb. et. dict. 75. — E. P. Hamp, ZVSp 98
(1985), 11 f.; N. Jokl, a. a. O. 202 ff.; ders., Sprache 9
(1963), 155; B. D. Joseph & R. F. Wallace, HS 107
(1994), 251 Anm. 19; L. A. Moritz, CQ 49 (1955),
129 ff. (zur Beleglage von lat. hordeum); Persson 1891:
103; V. Pisani, FS Scherer 1971: 167—172; W. Schulze,
bei Specht 1947: 67; Schwyzer [1939] 1990: 1, 1, 352;
A. Walde, ZVSp 34 (1897), 528 f. — P. & D. R. Broth-
well 1969: 125 f.; Hehn [1911] 1963: 60; Hoops 1905:
357 ff.; RGA² 11, 453—455; Schrader 1917—29: 1, 389—
391; Schrader [1907] 1980: 189. 205.
Die Gerste gehört zu den mit am ältesten be-
kannten Kulturpflanzen. Die frühesten Funde
stammen aus Mesopotamien (um 7000 v.
Chr.). In Europa ist die Gerste während des
Neolithikums zuerst auf der Balkanhalbinsel
und schließlich seit dem 5. Jt. v. Chr. bei den
Bandkeramikern nachweisbar (Herrmann
1987: 1, 302). Trotz der großflächigen Ver-
breitung gibt es keine gemeinsame Bezeich-
nung für diese Getreideart. Neben dem be-
sprochenen westgerm. *gerstōn- und Ver-
wandten und vorurgerm., vorurit. *bhar(e)s-
liegt in ai. yáva- ‚Gerste, Getreide, Korn,
Feldfrucht‘ (seit dem gveda) < uridg.
*(H)i̯é(h1/3)u̯o- die am weitesten verbreitete
Bezeichnung für die ‚Gerste‘ vor. Das Wort
hat Entsprechungen im Iranischen, Hethiti-
schen, Griechischen und Litauischen: jav.
yauua- m. ‚Getreide‘, mpers., npers. ǰaw ‚Ger-
ste‘; heth. eu̯a- n. ‚Feldfrucht‘, wohl ‚Gerste‘
(mit Schwund von ererbtem anlautenden i̯- vor
e; vgl. G. Neumann, FS Otten 1973: 245
Anm. 3; Puhvel 1984 ff.: 2, 320 f.; Melchert
1994: 75; Kimball 1999: 361); gr. ζειαί f. pl.
‚Spelt, Dinkel‘ (< urgr. *dzi̯eu̯-i̯eu̯-); lit. jãvas
‚Getreideart‘, pl. javaĩ ‚Getreide‘; vgl. weiter-
hin die Ableitungen aruss. ovinъ ‚Getreidedar-
re‘, nruss. ovin, ukrain. óvyn, wruss. jóvna
‚dss.‘ < urslaw. *jevinъ neben nruss. ëvnja,
ukrain., wruss. jévńa ‚dss.‘.
Da bislang die Genese von gr. ζ- (entweder aus uridg.
*Hi̯- oder laryngallosem *i̯-) nicht sicher geklärt ist, be-
steht Uneinigkeit in Bezug auf die Laryngalvertretung
im Rekonstrukt: Während z. B. J. Schindler (bei Mayr-
hofer, Et. Wb. d. Altindoar. 2, 406: ved. y- = gr. ζ- <
uridg. *i̯-, ved. y- = gr. /h-/ < uridg. *Hi̯-); Mayrhofer
(KS Mayrhofer 1996: 256), W. Cowgill (in Winter
1960: 163—166: zu gr. ζειαί 165) und E. Hamp (in FS
Beekes 1997: 93) eine laryngallose Form annehmen,
setzen Rix (1992: § 80e) und Kimball (a. a. O.) eine
Form mit anlautendem Laryngal voraus. Wegen der
Länge des ā- als Laryngalreflex in ai. -yavasa ‚(Ort)
ohne Weide‘ plädiert auch B. Forssman für einen La-
ryngal (FS Hoenigswald 1987: 118), doch gehört das
Wort etymologisch wohl nicht zu ai. yava- ‚Gerste‘,
sondern eher zur Wortsippe von *(H)yavas- ‚Weide‘ >
yávasa- n., *(H)yūti- ‚Weidung‘; vgl. das Komp.
gávyūti- f. ‚Weideland, Rinderweide‘ (Mayrhofer, Et.
Wb. d. Altindoar. 1, 481).
Pokorny 512; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. 3, 9 f.;
Bartholomae, Airan. Wb.² 1265 f.; Chantraine, Dict. ét.
gr. 397; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 608 f.; Trautmann, Balt.-
Slav. Wb. 107; Berneker, Slav. et. Wb. 1, 455; Vasmer,
Russ. et. Wb. 1, 389; 3, 249; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1,
192; Tischler, Heth. et. Gl. 1, 119. — Mallory 1997: 51 f.
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