linsîAWB f. īn-St., linsinAWB f. jō-St., linsaAWB f. ō-
St., seit dem 9. Jh. in Gl., Npg und Npw:
‚Linse; lens, lenticula‘ (Lens culinaris Med.)
〈Var.: -e-, -ie-〉. Die ältesten Belege sind īn-
St., Formen nach der jō-Dekl. sind ab
dem 10./11. Jh. belegt (Gl. 3,571,60), nach
der ō-Dekl. ab dem 1. Drittel des 11. Jh.s
(Gl. 3,571,59). Das Wort ist nicht aus lat.
lēns f. (St. lent-) ‚Linse‘ übernommen, wie
schon Marzell [1943—58] 2000: 2, 1234 rich-
tig festhält (anders z.B. Dt. Wb. 12, 1052), da
dann im Dt. *linz zu erwarten wäre. Auch
sachliche Gründe sprechen gegen eine Ent-
lehnung, die Südgermanen kannten die Linse
schon lange vor Ankunft der Römer. — Mhd.
linse, lins st./sw.f. ‚Linse‘, niht ein lins ‚gar
nichts‘, frühnhd. linse f. ‚Linse, Entenflott,
kleine Wasserlinse‘, nhd. Linse f. ‚krautige
Gemüsepflanze mit in Hülsen sitzenden,
kleinen, plattgedrückten, kreisrunden Samen,
die gelbbraun, rot oder schwarz aussehen, als
Nahrungsmittel verwendeter Samen der Lin-
se‘, übertr. ‚geschliffenes, in der Form dem
Linsensamen ähnelndes Glas für optische
Geräte‘.
Die Kulturpflanze stammt aus dem Mittelmeerraum,
wird aber bereits seit dem Neolithikum in Mitteleu-
ropa angebaut und gehörte lange Zeit zu den Grund-
nahrungsmitteln. Schon in der Lex Salica finden sich
Belege für den Anbau der Linse im Mittelalter.
Ahd. Wb. 5, 1022 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 547; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 727; Schützeichel⁷ 202; Starck-Wells
377; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 105 ff.;
Bergmann-Stricker, Katalog Nr. 752. 877; Seebold,
ChWdW9 524; Graff 2, 242; Lexer 1, 1928; 3, Nachtr.
300; Frühnhd. Wb. 9, 1257 f.; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 323 (lens). 324 (lenticula); Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 371 (lenticulum); Dt. Wb. 12, 1052 f.; Kluge²¹
442; Kluge²⁵ s. v. Linse; Pfeifer, Et. Wb.² 804 f. —
Marzell, a. a. O. 2, 1234 f.; Bertsch-Bertsch 1949:
170—174; Genaust 1996: 332; Sauerhoff 2003/04:
357.
Das ahd. Wort hat nur im Westgerm. Ent-
sprechungen: as. linsi f. īn-St. ‚Linse; lens‘
in Gl. 3,571,59 (Trier, Hs. 61, Beleg ist eher
ahd.), mndd. linse (u. a. in Gl. 3,571,59 [in 2
Hss.]); mndl. linse f., nndl. linze ‚Linse‘: <
westgerm. *linsīn-.
Im Engl. und Ndl. existieren zwei unter-
schiedliche Bez. für die ‚Linse als Nahrungs-
mittel‘ und die ‚Linse als optisches Glas‘, die
beide entlehnt sind: Me. lentil, lentil(l)e, ne.
lentil ‚Linse‘ ist über mfrz. lentille, lentelle
(seit dem 12. Jh.) aus lat. lenticula f. ‚Linse‘
übernommen. Dagegen ist ne. lens (pl. len-
ses, lens, lentes nach dem Lat.) ‚geschlif-
fenes Glas‘ (a. 1693) nach lat. lēns f. ‚Lin-
se‘ gebildet. Auch nndl. lens ‚geschliffenes
Glas‘, das erstmals in einer ndl. Übersetzung
aus dem Engl. vorkommt, hat wohl lat. lēns
zum Vorbild.
Nisl. linsa, ndän. linse, nnorw. (nn., bm.)
linse, nschwed. lins ‚Linse, optisches Glas‘
sind aus dem Dt. übernommen.
Tiefenbach, As. Handwb. 243; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 2, 1, 827; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 4, 662; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 391; Vries,
Ndls. et. wb. 404; Et. wb. Ndl. Ke-R 206 (lens¹).
240 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 199; Bosworth-Toller,
AS Dict. 629; Suppl. 611; Suppl. 2, 45; ME Dict. s. v.
lentil(le) n.; OED² s. vv. lens, lentil n.; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 647; Magnússon, Ísl. Orðsb. 565
(linsa¹); Nielsen, Dansk et. ordb. 263; Ordb. o. d.
danske sprog 12, 989 f.; NOB s. v. linse; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 577 (lins¹); Svenska akad. ordb. s. v.
lins. — Bergmann-Stricker, Katalog Nr. 877. — Hehn
[1911] 1963: 214; E. Meineke, RGA² 18, 494 f.
Westgerm. *linsīn- ist mit lat. lēns f., gen.sg.
lentis, und im Baltoslaw. mit lit. lšis, lett.
lza ‚Linse, Wicke‘ (< *lins[i]-), aksl. lęšta,
russ. ljača, serb., kroat. leća, slowen. léča (<
urslaw. *lentja-) zu vergleichen. Aus dem
Südslaw. wurde das Wort im 14. Jh. ins Ung.
übernommen: lencse ‚Linse‘ (Benkő 1992—
97: 2, 888). Auch mit gr. λάθυρος m. Bez.
für eine Hülsenfrucht, wohl ‚Kicherling‘
(Lathyrus sativus L.; vgl. Marzell, a. a. O. 2,
1197f.) besteht eine Ähnlichkeit.
Lat. lēns f. ist in den rom. Sprachen fort-
gesetzt als italien. lente, rum. linte; lat. len-
tīcula f., Diminutivum zu lēns, erscheint als
italien. lenticchia, frz. lentille, katal. llentia,
port. lentilha. Span. lenteja hat eine Form
*lenticula mit -ĭ- zur Voraussetzung.
Eine gemeinsame Vorform ist nicht zu er-
schließen. Wahrscheinlich ist die Pflanzen-
bez. teils unabhängig voneinander aus einer
nicht bekannten Quellsprache übernommen.
Frisk, Gr. et. Wb. 2, 71; Chantraine, Dict. ét. gr. 613;
Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 822; Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. 1, 783 (lēns¹); Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴
351; de Vaan, Et. dict. of Lat. 334; Thes. ling. lat. 7,
2, 1155 f. 1157 f.; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 5524.
5526; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 4978. 4979;
Wartburg, Frz. et. Wb. 5, 251; Berneker, Slav. et. Wb.
1, 708; Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 15, 63—65;
Bezlaj, Et. slov. slov. jez. 2, 130; Snoj, Slov. et. slov.²
348; Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 84; ders., Ėt. slov. russ.
jaz. 2, 553 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 359; Smoczyński,
Słow. et. jęz. lit. 348; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt.
Wb. 2, 455; Karulis, Latv. et. vārd. 1, 512.