îsAWB n. a-St., seit dem 8. Jh. in Gl., NBo,
NCat, Nps und Npw: ‚Eis, Frost; glacies, nix
durata‘ 〈Var.: ís, ais, eysz, his, hîs, hiz,
iis〉. Die diphthongierten Formen entstam-
men jüngeren Quellen. — Mhd. îs st.n. ‚Eis‘,
nhd. Eis n. (dial. auch m.) ‚gefrorenes Was-
ser‘.
Ahd. Wb. 4, 1733 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 427; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 635; Schützeichel⁷ 167; Starck-Wells
312; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 83 f.; See-
bold, ChWdW8 171; ders., ChWdW9 450; Graff 1,
485; Lexer 1, 1454; Diefenbach Gl. lat.-germ. 264
(glacies); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 290 (glacies). 431
(nix durata); Dt. Wb. 3, 359 ff.; Kluge²¹ 160; Kluge²⁵
s. v. Eis; Pfeifer, Et. Wb.² 272. — DRW 2, 1501.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. īs, is (Abecedarium Nordmannicum; die
Form kann von der Lautung her auch anord.
oder ae. sein), mndd. īs; frühmndl., mndl. ijs,
nndl. ijs; afries. īs, nwestfries. iis, saterfries.
íes, nnordfries. is; ae. īs, me. īs, ne. ice; aisl.
íss, nisl. ís, norw., dän., schwed. is ‚Eis‘; im
Got. als Runenname iiz in der Salzburger Al-
cuin-Hs.; langob. īsi/e- (in PN wie Îso,
Îsipertus etc.): < urgerm. *īsa-.
Fick 3 (Germ.)⁴ 28; Tiefenbach, As. Handwb. 201;
Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 20; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 2, 1, 466; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. 2, 391; VMNW s. v. ijs; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 3, 807; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 273; Vries,
Ndls. et. wb. 278; Et. wb. Ndl. F-Ka 499; Hofmann-
Popkema, Afries. Wb. 251; Richthofen, Afries. Wb.
855; Fryske wb. 9, 255; Dijkstra, Friesch Wb. 2, 8;
Fort, Saterfries. Wb. 115; Holthausen, Ae. et. Wb.
189; Bosworth-Toller, AS Dict. 601; Suppl. 597; ME
Dict. s. v. īs n.; OED² s. v. ice n.; Vries, Anord. et.
Wb.² 287; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 47; Magnússon,
Ísl. Orðsb. 424 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog
2, 214 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 144;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 468; Nielsen, Dansk et.
ordb. 208; Ordb. o. d. danske sprog 9, 656 ff.; Bjor-
vand, Våre arveord² 533 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb.
244; NOB s. v. is; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 414;
Svenska akad. ordb. s. v. is¹; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 291; Lehmann, Gothic Et. Dict. I-13; Bruckner,
Spr. d. Langob. 272. — Barber 1932: 105; Francovich
Onesti 2000: 204; Mottausch 2011: 146.
Urgerm. *īsa- setzt vorurgerm. *Héi̯so- oder
*HíHso- fort (vgl. Lühr 2000: 17). Als An-
schlüsse an das germ. Wort werden bes. in
älteren Etymologica (und jetzt auch wieder
in Rastorgueva-Edelman, Et. dict. Iran. lang.
1, 140 ff.) folgende iran. Wörter genannt:
jav. isauu- ‚frostig‘, aēxa- n. ‚Eis‘, afghan.
asaī ‚Frost‘, pamir. īš ‚Kälte‘, osset. yǝx, ix
‚Eis‘ (Lehnwort aus dem Npers.?), npers.
yak, yeχ ‚Eis‘, yeχče ‚Hagel‘ etc. Doch sind
diese Verbindungen in lautlicher Hinsicht
nicht eindeutig: Jav. isauu- kann auf ur-
idg. *(H)ik̂-eu̯- und jav. aēxa- über uriran.
*ai̯kha- auf uridg. *h₁oi̯k-h₂-o- zurückgehen,
das wiederum durch Assimilation aus uridg.
*h₁oi̯g-h₂-o- entstanden sei (Bjorvand, Våre
arveord² 534); uridg. *h₁oi̯g-h₂-o- sei wiede-
rum eine Erweiterung *h₁ei̯-g- zu einer Wz.
*h₁ei̯-; zu dieser Wz. gebe es dann auch eine
mit Schwebeablaut gebildete Form *h₁i̯-eg-,
die sich in norw. jaki, jǫkull findet. Und wei-
ter existiere eine Erweiterung *h₁ei̯-k̂- (bzw.
*h₁i-k̂-eu̯- eben in jav. isauu-) sowie schließ-
lich *h₁ei̯-s-. Zwar lassen sich mit derartigen
Wz.erweiterungen alle Formen erklären, die
in irgendeiner Beziehung zum Begriff ‚kalt‘
stehen, die Annahme solcher Erweiterungen
bleibt aber letztlich unbeweisbar.
Zu urgerm. *īsa- gesellen sich vielleicht ei-
nige balt. und slaw. Wortformen: lit. ýnis m.
(Akz.-Kl. 1), russ. ínej ‚Rauhreif‘ < *īnjo- <
*is-njo- (Kluge²⁵ s. v. Eis), ähnlich auch Tru-
bačëv (Ėt. slov. slav. jaz. 8, 236), der von
urslaw. *īsnijo- ausgeht. Nach R. Matasović,
SuL 59—60 (2005), 36f. handelt es sich bei
dem slaw. und balt. Wort um die thematische
Weiterbildung eines alten Kollektivums auf
*-ei̯-/*-i-, urslaw. *īn-ei̯-o- > *inьjo- > aksl.
inьje, oder um ein altes underiviertes Kollek-
tivum nom. *īni, gen. *īnei̯s. Das lit. Wort
könnte (gegen Fraenkel, Lit. et. Wb. 185)
trotz des Akuts jedoch ein Lehnwort aus dem
Ostslaw. sein, und das slaw. Wort deutet mit
seiner akutierten Wz.silbe am ehesten auf ei-
ne laryngalhaltige Wz. *(H)ei̯H(-s)-. Der Ur-
sprung dieser slaw. Sippe ist aber nicht ein-
wandfrei zu erschließen: Snoj, Slov. et. slov.²
228 nennt sie „sicher urslaw., aber etymolo-
gisch nicht endgültig geklärt“: slowen. ȋnje,
serbo-kroat. ȋnje, atschech. jínie, tschech.
jíní, aslowak. jínie, poln. inej, russ. ínej
‚Rauhreif‘ < urslaw. *jь̀nьjь. Dieses kann
aber ebensogut auf vorurslaw./uridg. *īnii̯o-
zurückgehen wie auf *īs-nii̯o-. Nur urslaw.
*īs-nii̯o- ließe sich mit urgerm. *īs-a- zu-
sammenbringen. Daneben besteht aber die
Möglichkeit der Verbindung von urslaw.
*jь̀nьjь mit gleichbedeutendem slowen. ȋvje
(< urslaw. *jьvьje), russ. dial. íven’ (< ur-
slaw. *jьvьnь) ‚was sich am Rand ansam-
melt‘ zu *jьva ‚Rand‘ (so auch Trubačëv,
Ėt. slov. slav. jaz. 8, 236). Für das Slaw. wä-
ren somit als Vorformen uridg. *Hei̯H-u̯-
oder *Hei̯H-s-u̯- neben *Hei̯H-n- oder
*Hei̯H-s-n- möglich, nicht für alle For-
men kann die schwundstufige Wz. ausge-
schlossen werden: *HiH-(s-)u̯- oder *HiH-
(s-)n-. Ein Zusammenhang mit urgerm. *īsa-
ist somit möglich, aber letztlich nicht zu
beweisen.
Ausgehend von der oben genannten Wz. uridg.
*Hei̯H-, vielleicht genauer *h₁ei̯H-, kann eine Ver-
bindung zu etym. bisher unerklärtem (laut Olsen
1999: 376. 943) arm. ełeamn ‚starker Frost ohne Nie-
derschläge‘ < urarm. *ełi-amn hergestellt werden:
Möglich ist sowohl eine Erklärung ausgehend von ei-
ner vollstufigen wie von einer schwundstufigen Wz.:
vollstufiges uridg. *h₁ei̯H-ni- könnte über urarm.
*ei̯ǝni- > *e(i̯)eni- > *eni- geworden sein, schwund-
stufiges uridg. *h₁iH-ni- > urarm. *ini-. Nach Antritt
des Suff. urarm. *-ámVn wurde n — n zu ł — n dissimi-
liert. Bei der urspr. vollstufigen Form blieb altes *e-
erhalten, altes *i- der schwundstufigen Form wurde
vortonig apokopiert, sekundär entstand aber wieder
ein prothetisches e- vor ł.
Nach einer anderen Auffassung gehört ahd.
îs zu vorurgerm. *ei̯s- ‚sprühen‘ in aisl. eisa
‚sprühen, schäumen‘, also Eis als das, ‚was
(im Winter) auf die Welt gespritzt‘ ist. Es
handele sich um eine Bed.variante von uridg.
*(H)ei̯sH- (genauer *h₁ei̯sh₂-) ‚antreiben, an-
schwellen‘, das zu ai. iṣṇti ‚setzt in Bewe-
gung, schwingt, eilt‘ gestellt wird (Mayrho-
fer, KEWA 1, 93 f.; ders., EWAia 1, 199.
271 f.). Zum einen setzt diese Zusammenstel-
lung voraus, dass dem germ. Verb auch eine
auf Laryngal ausgehende Wz. zugrunde läge.
Eine solche ist für urgerm. *īsa- zwar denk-
bar, aber nicht zu sichern. Zum anderen
bleibt die semantische Entwicklung schwer
zu motivieren.
Die Zusammenstellung der germ. Wortsippe um ur-
germ. *īsa- mit den oben genannten außergerm. An-
schlüssen wird von Et. wb. Ndl. F-Ka 499 nun aber
wieder verworfen. Eine idg. Etym. sei zwar nicht aus-
geschlossen, es handele sich aber doch eher um ein
vor(indo)germ. Substratwort, das nach Vennemanns
(2003: 347) Spekulation mit bask. izoz ‚Frost, Eis‘ zu-
sammenzustellen sei.
Walde-Pokorny 1, 108; Pokorny 301; Mayrhofer,
KEWA 1, 93 f.; ders., EWAia 1, 199. 217 f.; Rastor-
gueva-Edelman, Et. dict. Iran. lang. 1, 140 ff.; Bar-
tholomae, Airan. Wb.² 11. 372; Horn, Grdr. d. npers.
Et. Nr. 1126; Martirosyan, Et. Dict. of. Arm. 252;
Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 104; Berneker, Slav. et.
Wb. 1, 432; Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 8, 235 f.;
Derksen, Et. dict. of Slav. 213; Et. slov. jaz. staroslov.
243; Bezlaj, Et. slov. slov. jez. 1, 211 (ȋnje); Snoj,
Slov. et. slov.² 222 (ȋnje). 228 (ȋvje); Vasmer, Russ. et.
Wb. 1, 483; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 2, 132 f.; Fraen-
kel, Lit. et. Wb. 185. — Sławski 1952 ff.: 1, 458 f.;
Gluhak 1993: 277 f. (ȋnje); R. Schrodt, ZDA 104
(1975), 172; Orel 2011: 1, 398.