bibrohAWB m. a-St., nur Gl. 1, 90, 1 (Abrogans
Pa 8./9. Jh., K 9. Jh.): ‚Schädiger, Verderber,
Verführer, corruptor‘; die Hss. überliefern glei-
chermaßen piproh mit obd. p für germ. b, s.
Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 136. Weder im Mhd.
noch Nhd. weiter zu belegen.
Ahd. Wb. I, 1003; Splett, Ahd. Wb. I, 98; Starck-
Wells 51; Graff III, 270.
Das Wort ist nach Art der a-St. gebildet, unter
denen im Westgermanischen Nomina agentis
wie ahd. warg ‚Übeltäter‘ (s. d.) sehr selten sind
— sie werden schon früh durch die klarer ge-
kennzeichneten n-St. verdrängt —, im Gegensatz
besonders zum dichterischen Gebrauch des
Nordgerm.: aisl. brjótr ‚qui frangit‘, bjóðr ‚qui
offert‘ (s. Wilmanns, Dt. Gr. II § 143; H. Zim-
mer, Die Nominalsuffixe a und â in den germ.
Sprachen [Straßburg u. London, 1876], 41—45).
Während aber der Stammvokal der Nomina
agentis auf -n, dank ihrer ursprl. Suffixbeto-
nung, in der Regel Schwundstufe aufweist (wie
meist auch das Part. Prät. des dazugehörigen st.
Verbums), kommt den ursprl. wurzelbetonten
Nomina agentis der a-Dekl. Vollstufe des
Stammvokals zu, wie etwa in ahd. niderrîs (bei
Notker, mit Längezeichen auf dem zweiten î)
‚diabolus‘, eigtl. ‚der Niedergesunkene‘, im Ge-
gensatz zu ahd. bettiriso ‚paralyticus‘, ‚der Bett-
lägerige‘ (mit kurzem zweitem i, s. H. Osthoff,
PBB 3 [1876], 1—89, bes. 12—30).
Wie jedoch zu erwarten, hat die Assoziation mit
der Ablautstufe der Präsensformen des Verbums
sowie deren Übereinstimmung mit dem Part.
Prät. bei den st. Verben V und VI schon früh zu
allerlei Ausgleichen geführt, etwa in ahd. hûs-
brecho ‚praedator, Einbrecher‘ (s. d.), mhd. lant-
breche ‚Landschädiger‘ (Lexer I, 1823), mhd.
zügelbreche ‚wer wie ein Pferd den Zügel bricht‘
(ebd. III, 1169), ae. wiðerbreca ‚Gegner, Feind‘,
anord. breki ‚Brecher, Woge‘, ne. breaker. Im
Falle von ahd. bibroh mit seinem der Schwund-
stufe entsprechenden und lautgerecht einer n-
Bildung zukommenden Stammvokal (belegt in
ahd. scefbrocho ‚naufragus, Schiffbrüchiger‘ s. d.)
verlief der Ausgleich in umgekehrter Richtung.
Was die Bed. des Präfixes in ahd. bibroh anbe-
langt, so hat schon Grimm, Dt. Gr.a II, 795 ff.,
auf seine häufig privative Funktion verwiesen,
etwa in Fällen, in denen der zweite Wortteil
„größtentheils den Begriff der Beraubung“ ent-
halte wie in ahd. birahanen ‚berauben‘ Hildeb.;
vgl. auch A. Hittmair, Die Partikel ‚be‘ in der
mhd. und nhd. Verbalkomposition (Wien, 1882),
80 ff. 187 ff. Ja, so wie bei ahd. scefbrocho =
naufragus eine Lehnübersetzung kaum zu be-
zweifeln ist, so mag auch für bibroh = corruptor
daran erinnert werden, daß nicht nur lat. frange-
re, sondern auch rumpere und seine Sippe immer
wieder Bildungen und Zss. mit ahd. brechan ins
Leben gerufen hat wie fir-, ûzbrechan, (zi)bre-
chan = corrumpere, *brohnussi = corruptio
(s. d.) u. ä. Im Falle von ahd. bibroh wurde die
(zusätzliche) privative Funktion der Vorsilbe
bi-, wie so oft, im Lauf der Zeit dem eindringli-
cheren ver- übertragen (vgl. beschleiern: ver-
schleiern, Wilmanns, Dt. Gr. II § 125, 4), und so
wurde die Funktion des Nomen agentis, wie
auch sonst, von dem eindeutigen Suffix -ri
(s. d.) übernommen (vgl. urhap: urheber, warto:
wartari, Wilmanns II § 143, 1 und § 223, 1): da-
her mhd. verbrecher in Wendungen wie v. des ge-
setzes, des frids, also im Sinne von ‚Verletzer,
Übertreter‘ (Lexer III, 82), zuerst gegen Ende
des 13. Jh.s nachgewiesen, Dt. Wb. XII, 1, 163.
S. auch bî, brechan.