dultenAWB sw. v. I, vom 8. Jh. an: ‚(er)dulden,
(er)leiden, ertragen, auf sich nehmen; gestat-
ten, zulassen, patiri, ferre, tolerare‘ 〈Var.: th-,
-th-, -an〉. Das Verb erscheint südrheinfrk.-
alem. (mit den speziellen Zentren Weißenburg,
Murbach, Reichenau) als Synonym von druoên
und dolên (s. d. d.). Um 1200 ist es bereits im
gesamten hd. Sprachbereich bezeugt und seit-
dem fester Bestandteil der Schriftsprache. —
Mhd. dulten, md. dulden ‚dulden, erleiden,
geschehen lassen‘, nhd. dulden. Vor lt, ld ist
der Umlaut fast ausnahmslos unterblieben; vgl.
schuldig. Die Lautform mit -d- wird im Obd.
zuerst von Hartmann von Aue gebraucht, seit
der 2. Hälfte des 13. Jh.s überwiegt sie in md.
und obd. Texten. Bis 1800 hat sich dulden
schriftsprachlich endgültig durchgesetzt. Den
Mundarten ist das Wort weitgehend fremd ge-
blieben.
Splett, Ahd. Wb. I, 144; Schützeichel⁴ 94; Starck-
Wells 110. 801; Graff V, 138 f.; Schade 114; Raven,
Schw. Verben d. Ahd. I, 32 f.; Lexer I, 474; Benecke I,
379 f.; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 586 (tollerare); Dt.
Wb. II, 1507; Dt. Wb.² VI, 1475 ff.; Kluge²¹ 146;
Kluge²² 159; Pfeifer, Et. Wb. 316; H. Götz, PBB 82
(Halle, 1960), 204; Krüer, Bindevokal 331. 333;
G. Kramer, PBB 79 (Halle, 1957), 186 ff.; G. de Smet,
Wirkendes Wort 5 (1954), 71 ff.; ders., PBB 75 (Halle,
1953—54), 273; W. Besch, Sprachlandschaften u.
Sprachausgleich im 15. Jh. (München, 1967), 165 f.
Ahd. dulten entspricht: mndd. dülden ‚(er)dul-
den, zulassen, aushalten, ertragen, leiden‘;
mndl., nndl. dulden ‚ertragen, Geduld haben‘;
afries. thielda, thelda ‚(er)dulden, ertragen‘,
nostfries. dülden ‚dss.‘, nwestfries. duldsje ‚dss.‘:
< urgerm. *þulđijan-, das von urgerm. *þulđi-
(→ dult) abgeleitet ist; zur Ableitung von der
Fortsetzung eines ti-Abstraktums vgl. got. dulþ-
jan ‚feiern‘, einer Ableitung von got. dulþs ‚Fest‘
(Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss. III § 185bγ).
Wohl sekundärer Übergang in die 2. sw. Kl.
liegt vor bei ae. ðyldigian, prät. -ode ‚dulden,
ertragen, nachgeben‘.
Da also auch sonst sw. Verben der I. Kl. von ti-Ab-
strakta abgeleitet werden, erübrigt sich der Ansatz ei-
nes Part. Prät. *þulđa- als Basis von urgerm. *þulđ(i)-
jan- (anders Fick, III [Germ.]⁴ 188). Für die Bedeu-
tung von urgerm. *þulđ(i)jan- geht G. de Smet, Leuv.
bijdr. 44 (1954), 1 ff. 47 ff. von einem vorchristlichen
Inhalt ‚beherrschtes Ertragen ohne heftige Gebärden
und Schmerzensausbrüche‘ aus, wobei sich die im Zu-
sammenhang mit der Vorstellung der Strafe stehende,
im christlichen Sinn verwendete Bedeutung ‚pati‘ unter
dem Einfluß der irischen Mission entwickelt habe.
Doch sind weder die von Smet angenommene vor-
christliche Bedeutung, noch eine Einflußnahme der
irischen Mission bei dulten nachweisbar (dazu I. Stras-
ser, in Die Iren und Europa im früheren Mittelalter,
hrsg. v. H. Löwe [Stuttgart, 1982], 412 f.).
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 493; Verdam,
Mndl. handwb. 155; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 143;
Vries, Ndls. et. wb. 144 f.; Holthausen, Afries. Wb.²
110; Richthofen, Afries. Wb. 1072; Doornkaat Kool-
man, Wb. d. ostfries. Spr. 356 f.; Dijkstra, Friesch Wb.
I, 302; Holthausen, Ae. et. Wb. 374; Bosworth-Toller,
AS Dict. 1084; Suppl. 731.