feigiAWB adj. ja-St., nur in Gl. und bei Otfrid:
‚zum Tode bestimmt, dem Tode nahe, mori-
bundus, moriturus‘ (Gl. 2, 20, 54; 4, 351, 23
[11. Jh.]), ‚unbedeutend, gering, arm‘ (Otfrid),
‚frevelhaft, gottlos, verrucht, scelestus‘ (? nur
Clm. 4549 [8./9. Jh.] fai:er; vgl. H. Thoma,
PBB 85 [Halle, 1963], 222, 5: 1. faiger) 〈Var.:
u-, v-〉. — Mhd. veige ‚zum Tode oder Unglück
bestimmt, verwünscht, unselig, eingeschüch-
tert, furchtsam, biegsam, schlank, Tod oder
Unheil bringend‘, frühnhd. feig(e) ‚zum Unter-
gang bestimmt, unselig, des Untergangs wert,
nichtswürdig, frech, furchtsam, schüchtern‘,
nhd. feig(e) ‚ängstlich, furchtsam‘.
In einigen Mdaa. sind ältere Bed. bis in die nhd. Zeit
hinein (gelegentlich neben der hochdt. Bed.) erhalten;
z. B. schweiz. feig ‚faul (im Sinne von unsittlich), mut-
willig, frech‘ (Schweiz. Id. I, 688), bair. feig ‚dem
Tode geweiht, heimgefallen, nahe‘ (ältere Sprache;
Schmeller, Bayer. Wb.² I, 695), tirol. „veig heißt das
Obst, wenn es bereits schwarze Kerne hat, also der
Reife nahe ist“ (Schöpf, Tirol. Id. 787), rhein. feig
‚dem Tode verfallen, von Todesahnung erfüllt‘ („nur
vereinzelt bezeugt“; Müller, Rhein. Wb. II, 363), nass.
fei, fai ‚falsch, nicht recht vernünftig‘ (Kehrein,
Volksspr. u. Wb. von Nassau 134), hess. feig ‚dem
Tode nahe, moribundus‘ („Das Wort ist in dieser alten
Bed. in Oberhessen noch jetzt üblich“; Vilmar, Id. von
Kurhessen 100), westfäl. faige ‚dem Tode nah oder
verfallen, der Todesahnung hat‘ (Woeste, Wb. d.
westf. Mda. 285), brandenb.-berlin. feige ‚zum Tode
bestimmt‘ (veraltet; Bretschneider, Brandenb.-berlin.
Wb. II, 44 f.), preuß. feige ‚vom Schicksal zum Tode
oder Unglück bestimmt‘ (ältere Sprache; Ziesemer,
Preuß. Wb. II, 442).
Ahd. Wb. III, 690; Splett, Ahd. Wb. I, 217; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 252; Schützeichel⁵ 131; Starck-Wells
144. XL; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 88; See-
bold, ChWdW8 124; Graff III, 432; Schade 174; Le-
xer III, 45 f.; Benecke III, 289 f.; Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 413 (moribundus, moriturus). 592 (scelestus); Dt.
Wb. III, 1441 ff.; Kluge²¹ 189 f.; Kluge²⁴ 283; Pfeifer,
Et. Wb.² 333.
Germ. Entsprechungen sind: as. fēgi ‚dem Tode
verfallen‘, mndd. vēige, vēich ‚dss.‘, auch ‚Tod
bringend, unheilvoll, ängstlich, feige‘; mndl.
veige, vege, veich ‚dem Tode nahe‘, nndl. veeg;
nostfries. fēg(e) ‚zum Tode reif, dem Tode ge-
weiht‘, nwestfries. faei ‚dss.‘, auch ‚in Gefahr
befindlich‘; ae. fǣge ‚zum Tode bestimmt, tot,
unselig, schwach, schüchtern‘, me. fei(e), feige
‚zum Tode bestimmt, dem Tode nahe, tot‘, ne.
(veraltet u. mdartl.) fey ‚zum Tode bestimmt,
dem Tode nahe‘; aisl. feigr ‚dem Tode verfallen‘,
nnorw. feig, aschwed. run. faikiąn (akk.sg., Rök
ca. 900 = aschwed. fæighian) ‚dem Tode an-
heimgefallen‘, aschwed. fēgher ‚dem Tode ver-
fallen‘; nschwed. fēg und ndän. feig, fei haben
im 17. Jh. die Bed. ‚mutlos, feige‘ aus nhd. feige
entlehnt (aus dem Skand. finn. peijainen ‚Toten-
gott‘, peijaiset, peijaat ‚Leichenmahl‘, peik[k]o
‚Gespenst, boshafter Mensch‘; vgl. J. J. Mikkola,
Finn.-Ugr. Forsch. 5 [1905], 138 ff.; K. B. Wik-
lund, IF 38 [1917], 72; Collinder, Urg. Lehnw.
im Finn. 224 f.; anders R.-P. Ritter, Sprache 23
[1977], 172 f.; lapp. [norw.] fæigas, lapp.
[schwed.] faiges ‚dem Tode verfallen‘; vgl. Qvig-
stad, Nord. Lehnw. im Lapp. 157).
Fick III (Germ.)⁴ 223; Holthausen, As. Wb. 18; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 123; Berr, Et. Gl. to Hel. 111; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 678; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. V, 220; Verdam, Mndl. handwb.
646; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 725; Vries, Ndls. et.
wb. 767; Doornkaat Koolmann, Wb. d. ostfries. Spr. I,
431; Dijkstra, Friesch Wb. I, 333; Holthausen, Ae. et.
Wb. 95; Bosworth-Toller, AS Dict. 263; Suppl. 197;
Suppl. II, 23; ME Dict. E-F, 443; OED² V, 864 f.;
Oxf. Dict. of Engl. Et. 353; Vries, Anord. et. Wb.² 115;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 536; Holthausen, Vgl. Wb.
d. Awestnord. 58; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 211;
Torp, Nynorsk et. ordb. 98 f.; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 204; Noreen, Aschwed. Gr. 491 ff.
Die ursprl. Bed. von urgerm. *fajja- war offen-
bar ‚zum Tode bestimmt‘; im Dt. fand eine Bed.-
entwicklung zuerst zu ‚verwünscht, unselig, des
Untergangs wert‘, später auch ‚in Todesängsten
schwebend, verzagt‘ (erst spätmhd., dann durch
Luthers Bibelübersetzung verbreitet) statt. Ur-
germ. *fajja- gehört mit gramm. Wechsel zur
Sippe von urgerm. *fajχa- ‚feindselig‘ (→ fêhen²
‚jmdn. feindlich behandeln‘, gifêh ‚feindlich ge-
sinnt, geächtet‘, gifêhida ‚Feindseligkeit, Feh-
de‘), alles zu einer idg. Wz. *pei̯- : *poi̯- etwa
‚feindselig gesinnt‘. Zur Entwicklung der germ.
Bed. vgl. Hoops Reallex.² VIII, 279 ff.: dem Be-
griff ‚Feindseligkeit‘ steht der Begriff ‚Fehde‘
nahe; derjenige, der sich wegen einer feindli-
chen Tat (bes. einer Mordtat) der Blutrache aus-
gesetzt hat, ist dem Tode geweiht.
Zur Etymologie → fêhen².
Unwahrscheinlich Zupitza, Germ. Gutturale 189 f.: zu
ahd. fêh ‚bunt‘ (idg. *pei̯- ‚kennzeichnen durch Ein-
ritzen oder Färben‘; Pokorny 794 f.; → fêh) im Sinne
von ‚todesgezeichnet‘. Bestimmt abzulehnen Fr.
Wood, GR 1 (1926), 312: zu gr. πταίω ‚stoße an,
pralle an, strauchle, irre, habe Unglück‘ (mit germ. f-
< idg. *pt-); O. Wiedemann, BB 28 (1904), 36 ff.: ver-
schiedene Spekulationen.