ilgîAWB f. īn-St., nur im Abr (1,188,9 [Kb,
Ra, Pa]): ‚das Hungern; inedia‘ 〈Var.: ilki〉.
— Im (Früh-)Nhd. findet sich ein anscheinend
zu diesem Subst. gebildetes Denominativ-
verb ilge(r)n ‚stumpf werden (von den Zäh-
nen)‘ (Frühnhd. Wb. 8, 20 f.; Schmeller,
Bayer. Wb.² 1, 67). Dieses ist aber denominal
zu frühnhd. ilig, nhd. eilig ‚stumpf‘ (Kluge²⁵
s. v. eilig²) gebildet. Der zu fordernde seman-
tische Übergang ‚hungrig‘ > ‚stumpf‘ würde
große Schwierigkeiten bereiten.
Ahd. Wb. 4, 1485; Splett, Ahd. Wb. 1, 1220; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 577; Schützeichel⁷ 163; Starck-Wells
299; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 16; Seebold,
ChWdW8 168; Graff 1, 245; Dt. Wb. 10, 2060.
Gleichgebildete Wortformen finden sich in
anderen germ. Sprachen nicht. Ausgehend
von einer Form urgerm. *elī(n)- lässt sich
aber eine Verbindung mit dem im Nordgerm.
gut belegten Adj. der Sippe um aisl. illr
‚schlecht, böse‘ < urnord. *ilhila- < urgerm.
*elχila- < vorurgerm. *élkilo- herstellen. Ur-
germ. *elī(n)- < vorurgerm. *elk-- < uridg.
*h₁elk-íh₂- würde dann die stimmhafte Var.
des mittleren Reibelauts aufgrund des Ver-
nerschen Gesetzes aufweisen. Bei urgerm.
*elī(n)- handelt es sich um das Abstraktum
zum Adj. urgerm. *elχii̯a- > urnord. *ilχii̯a-
bzw. zu dessen bereits existierender Ver-
nerschen Var. urgerm. *elii̯a- > urnord.
*ilii̯a-, das in den germ. Sprachen selbst
nicht mehr belegt ist, sich aber in Lehnwör-
tern im Ostseefinn. nachweisen lässt, so z. B.
in finn. veralt. elkeä, finn. ilkeä ‚böse, bos-
haft, schlecht schlimm, widerlich‘.
Im Unterschied zu den mutmaßlichen Ver-
wandten im Balt. und Slaw. mit o-Stufe
(s. u.) zeigt das im Germ. weitgehend isolier-
te ahd. ilgî in der Wz. die e-Stufe.
ME Dict. s. v. ill; OED² s. v. ill; Vries, Anord. et. Wb.²
285; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 77 f.; Magnússon, Ísl.
Orðsb. 419; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2,
203 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 142; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 461; Nielsen, Dansk et.
ordb. 204; Ordb. o. d. danske sprog 9, 112; Bjor-
vand, Våre arveord² 532 f.; Torp, Nynorsk et. ordb.
242; NOB s. v. ill; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 402;
Svenska akad. ordb. s. v. ill; Kylstra, Lehnwörter 1,
53 f. 135 f.
Ausgehend von einer Form urgerm. *elī(n)-
(?) können grundsätzlich Ableitungen von
zwei uridg. Wz. angenommen werden: Falls
uridg. *(H)elgh-iH- anzusetzen ist, kann das
Wort zu balt. Wörtern wie lit. egtis ‚sich be-
nehmen, betteln‘, lett. èlgt(ies) ‚aufdringlich
bitten, sich aufdrängen‘, lit. egeta (Akz.-Kl.
1) ‚Bettler‘ etc. gestellt werden. Bei einer
Wz. uridg. *h₁elg- ist an diese balt. Sippe
auch arm. ałkałk ‚arm‘ anschließbar. Wie
aber aus uridg. *g das -k- des von Olsen
(1999: 767) dazugestellten ahd. ilki entstan-
den sein soll, bleibt unklar.
Denkbar ist weiterhin ein Zusammenhang mit lit. al-
gà (Akz.-Kl. 4) ‚Lohn, Sold‘, lett. àlga ‚dss.‘, apreuß.
ālgas (gen.sg.) ‚dss.‘, sofern dies auf uridg. *(H)olgh-
eh₂- beruht; doch ist die Zusammenstellung die-
ses balt. Wortpaars mit gr. ἀλφή f. ‚Lohn, Ertrag,
Gewinn‘ aus uridg. *h₂elgu̯h-ah₂- (zur Wz. uridg.
*h₂elgu̯h- ‚einbringen [als Erlös]‘; vgl. LIV² 263 f.) aus
semantischen Gründen vorzuziehen. Auch in diesem
Fall ist ahd. ilgî fernzuhalten. Grundsätzlich kann aber
nicht ausgeschlossen werden, dass in den balt. Wör-
tern mit alg°, elg° urspr. verschiedene Wz. zusam-
mengefallen sind: Uridg. *g, *gu̯, *gh, *gu̯h ergeben
balt. *g, und ihre urspr. Verschiedenheit ist somit al-
lenfalls noch an sekundären Erscheinungen wie etwa
der (von einem Teil der Forscher bestrittenen) Wir-
kung des Winterschen Gesetzes oder der unterschied-
lichen Vokalisierung nachfolgender sonantischer Na-
sale und Liquiden zu erkennen, da die Tendenz be-
steht, dass dieser Sprossvokal nach Labiovelaren u,
sonst aber i ist.
Wenn hingegen die Herleitung urgerm.
*elī(n)- < vorurgerm. *elk-- < uridg.
*h₁elk-íh₂- zutrifft, böten sich ebenfalls wie-
der Comparanda aus dem Balt. und Slaw. an:
lit. álkti ‚hungern‘, lett. akt ‚dss.‘, lit.
álkanas (Akz.-Kl. 3a) ‚nüchtern, hungrig‘,
lett. alkans [akàns] ‚hungrig, gierig‘,
apreuß. alkīns ‚nüchtern‘, lit. akis (Akz.-Kl.
2), álkis (Akz.-Kl. 1?) ‚Hunger‘ (vgl. R. Ma-
tasović, SuL 59—60 [2005], 36), ksl. la-
komъ(jь) ‚hungrig‘, lakati, al(ъ)kati ‚hun-
gern, Appetit haben, begehren‘ etc. (< ge-
meinslaw. *ålk° < vorurslaw. *olk-) mit wei-
teren Ableitungen von der Wz. sowie Fort-
setzern in allen slaw. Sprachen mit Ausnah-
me des Polab. Wegen der Bedeutung ‚Hun-
ger‘ des germ. Wortes dürfte diese Lösung
vorzuziehen sein. Auch verweisen sowohl
lit. álkti, álkanas als auch serbo-kroat. lȁkom
mit ihrem Akzent eindeutig auf eine Wz. der
Struktur idg. *HelHk- (so etwa Derksen, Et.
dict. of Slav. 367: *h₁olHk- > baltoslaw.
„*olk-“).
Diese Wz. scheint jedoch nicht alt zu sein, vielmehr
können die balt. und slaw. Wörter sekundär aus ei-
nem alten Perf. *h₁e-h₁olk- : *h₁e-h₁k- > urbalt./
urslaw. *(H)lk- : *(H)ē̋lk- zur Wz. *h₁elk- ‚leiden,
sich schlecht fühlen‘ abstrahiert sein, und zwar in der
Weise, dass die aufgrund der Kontraktion zirkumflek-
tiert intonierte Vollstufe mit der akutiert intonierten
Schwundstufe im Urbalt./Urslaw. kontaminiert wurde.
Im Ergebnis wurde so eine zur regulären Vollstufe
sekundär gebildete Schwundstufe urbalt./urslaw. *alk-
mit der eigentlich nur der alten Schwundstufe zu-
kommenden akutierten Intonation versehen. Zu über-
legen bleibt, ob die Formen im Slaw., die keine Li-
quidametathese aufweisen, wie etwa aksl. alъkati
‚hungern‘, alъčь ‚Hunger‘ u.ä. eine Form ohne se-
kundäre Schwundstufe fortsetzen, in der eben der re-
guläre Vollstufenvokalismus mit der regulären
Schwundstufenintonation in urslaw. */ā̋lk-/ kontami-
niert wäre. Andernfalls müsste die traditionelle An-
sicht aufrecht erhalten werden, dass bei diesem und
einigen ähnlichen Wörtern (etwa aksl. al[ъ]dii vs.
ladii ‚Schiff‘) die Liquidametathese mit der Dehnung
des Vokals begonnen habe, aber schließlich (am Ran-
de des Sprachgebiets?) nicht durchgeführt worden sei.
Weiter bleibt auch die in Etymologica öfter genannte
Verbindung mit air. elc, olc ‚schlecht, böse, schlimm‘
unsicher, da neben einer möglichen Vorform uridg.
*h₁elk-e/o-, *h₁olk-e/o- v.a. für olc über uridg. *u̯ku̯o-
> urkelt. *ulko- auch eine Zusammenstellung mit dem
uridg. Wort für ‚Wolf‘ erwogen wird.
Walde-Pokorny 1, 155 f. 160; Pokorny 307. 310; LIV²
235; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 81; Chantraine, Dict. ét. gr.
66 f.; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 77 (ἀλφή); Martiro-
syan, Et. dict. of. Arm. 37; Trautmann, Balt.-Slav. Wb.
6 f.; Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 32, 52 f. 57 f. 60 f.;
Derksen, Et. dict. of Slav. 366 ff.; Et. slov. jaz.
staroslov. 399 f.; Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 12. 14; 2, 9;
ders., Ėt. slov. russ. jaz. 1, 71. 73; 2, 452. 453; Schus-
ter-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 760 f.; Fraenkel, Lit.
et. Wb. 7; Smoczyński, Słow. et. jęz. lit. 10. 11 f. 146;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 1, 67 f.; Traut-
mann, Apreuß. Spr.denkm. 55. 298; Mažiulis, Apreuß.
et. Wb. 1, 66 f.; Toporov, Pruss. jazyk 1, 74 f.; Smo-
czyński, Lex. d. apreuß. Verb. 15; Matasović, Et. dict.
of Proto-Celt. 400; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc.
O-20; Dict. of Irish E-107. O-133 ff. — Sławski
1952 ff.: 4, 438—447; Bańkowski 2000: 2, 85 f.; Mül-
ler 2007: 101; Orel 2011: 1, 47. 48; 2, 185.