lîbenAWB, lîban sw.v. I und st.v. I, in B,
GB, bei O, in GeR, NBo, Nps, Npg, Npw
und Gl. 1,289,14 (in 2 Hss., beide Anfang
des 9. Jh.s, alem.[-frk.]). 312,69 (9. Jh.,
alem.): ‚schonen, verschonen, Schonung ge-
währen, bewahren, Nachsicht haben mit,
gnädig sein, maßvoll verfahren; parcere,
propitiari‘ 〈Var.: -pp-, -p-, -bb-〉. Seltenes
-pp- in lîppanti (B) ist durch Gemination vor
j nach Langvokal verursacht (vgl. Brau-
ne-Reiffenstein 2004: §§ 96 Anm. 1 a. 136
Anm. 4). — Mhd. lîben st.v. ‚schonen, ver-
schonen‘, leiben sw.v. ‚schonen, übrig las-
sen‘, frühnhd. leiben v. ‚etw. nachlassen [z.
B. den Preis], reduzieren‘, phras. etw. in ru-
hen leiben ‚etw. ablegen, aufgeben‘, mdartl.
schweiz. līben ‚etw. nachlassen‘, nhd. mdartl.
schwäb. leiben ‚etw. nachlassen‘, einem lei-
ben ‚wohlwollen, bevorzugen‘.
Ahd. Wb. 5, 890 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 530; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 719; Schützeichel⁷ 199; Starck-Wells
372; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 67; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 296 (II). 725 (I). 775;
Seebold, ChWdW9 509. 510 f.; Graff 4, 1109 f.; Lexer
1, 1862. 1895; Frühnhd. Wb. 9, 727 (leiben²); Götz,
Lat.-ahd.-nhd. Wb. 464 (parcere). 530 (propitiari);
Dt. Wb. 12, 594. — Schweiz. Id. 3, 982 (leiben²); Fi-
scher, Schwäb. Wb. 4, 1122 (leiben²).
Da die nur bei O belegten st. Verbalformen
als sekundär anzusehen sind, ist lediglich
von einem sw. Verb auszugehen. Dieses hat
Entsprechungen in: aisl., nisl. hlífa, fär. líva,
nnorw. liva ‚schonen, schützen‘; got. hleib-
jan* ‚sich annehmen‘: < urgerm. *χlei̯ii̯e/a-.
Zum postverbalen Nomen urgerm. *χlei̯ō-
s. lîba (vgl. Wissmann 1975: 10 f.; von Vries,
Anord. et. Wb.² 238 und Bjorvand, Våre
arveord² 667 wird das Subst. unrichtig als
Grundlage für die Verbalbildung angesehen).
Fick 3 (Germ.)⁴ 112; Seebold, Germ. st. Verben
261 f.; Vries, Anord. et. Wb.² 238; Jóhannesson, Isl.
et. Wb. 244; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2,
11; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 119; Magnús-
son, Ísl. Orðsb. 340; Bjorvand, Våre arveord² 667;
Torp, Nynorsk et. ordb. 383 f.; NOB s. v. live; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 262; Lehmann, Gothic Et. Dict.
H-77. — Riecke 1996: 665 f.
Urgerm. *χlei̯ii̯e/a- hat keine sichere Ety-
mologie, da Entsprechungen in den anderen
idg. Sprachen fehlen. Die vorgeschlagene
Verbindung mit air. clíab ‚Korb, Brustkas-
ten‘ lässt sich nicht weiter abstützen.
Problematisch ist die e-Stufe im Verb. Denn
für das Uridg. lässt sich keine Wz. *klei̯bh-
sichern, so dass man wohl kaum mit einer
(im Germ. nicht mehr produktiven) *i̯e/o-Bil-
dung (*kléi̯bh-i̯e/o-; zum Typus vgl. LIV² 19)
rechnen kann; bei einer späten Bildung wä-
re vielmehr **kléi̯bh-e/o- zu erwarten gewe-
sen. Daher wird man eine verloren gegange-
ne nominale Basis (wahrscheinlich ein Adj.
*klei̯bho- ‚anlehnend‘) voraussetzen müssen.
Die Grundlage der Wurzel ist wohl die ur-
idg. gut bezeugte Verbalwz. *klei̯- ‚sich an-
lehnen‘ (dazu s. linên), wobei das *-bh- ei-
ne Wurzelerweiterung ist. Die vermitteln-
de Bed. wäre dann ‚jmdn. sich anlehnen
lassen‘.
Walde-Pokorny 1, 432; LIV² 332 f.; Vendryes, Lex. ét.
de l’irl. anc. C-118; Dict. of Irish C-237.