liolaAWB f. ō(n)-St., seit dem 10. Jh. in Gl.:
zur Bez. der ‚Zaunrübe; ampellus, brionia [=
bryoniae], cinis prione(i) [= cinis bryoniae],
vitis alba‘ (Bryonia L.); in den jüngeren Gl..
kann es auch die ‚Echte Waldrebe‘ (Clematis
Vitalba L.) bezeichnen (vgl. Marzell [1943—
58] 2000: 1, 683 f. 689. 1046—1049) 〈Var.:
liela, liella, liona〉. Die älteste Form ist liela
in Gl. 3,517,11 (Bern, Cod. 224, 10. Jh.),
liola ist auf das SH beschränkt. Die Graphie
-ll- ist etymologisch nicht berechtigt, da kein
jō(n)-St. anzunehmen ist (vgl. Schatz 1927:
§ 255; Braune-Reiffenstein 2004: § 94 Anm.
1; doch s. auch unten). Bei liona in Gl.
3,105,29 (SH, Erfurt, UB 81, Anfang des
13. Jh.s) ist l entweder zu n dissimiliert (vgl.
Paul 2007: § L 93) oder unter dem Einfluss
des lat. Lemmas prione(i) für liola ver-
schrieben (vgl. Hildebrandt 1974—95: 1, 193
Anm. 288). — Mhd. liel(e) f. ‚vimen, vitis
alba‘, frühnhd. liene ‚Waldrebe‘, ält. nhd.
leine als Nebenform, nhd. mdartl. schweiz.
lielen, daneben lienen f. ‚Waldrebe‘, ON Lie-
li, bad. liele, liene ‚Waldrebe‘, ON Liel,
schwäb. liene f. mit den Varianten lienen,
liere, niele ‚Waldrebe, Zweige der Wald-
rebe‘, bair. lieln f., vorwiegend lien, lienen
‚Waldrebe‘, rhein. liel-hecke f., südhess. liele
f. ‚Waldrebe‘, dissimiliert liene und me-
tathiertes niele; vgl. auch steir. liere f.
‚Waldrebe, Waldranke‘.
Bei ahd. liola usw. handelt es sich um eine Klet-
terstaude, deren Wurzelstock seit der Antike und in
der Volksmedizin als starkes Abführmittel und gegen
rheumatische Erkrankungen verwendet wurde (vgl.
Schopp 2011: 38).
Ahd. Wb. 5, 1157; Splett, Ahd. Wb. 1, 1224; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 729; Schützeichel⁷ 203; Starck-Wells
379; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 113f.; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 62. 142; Graff 2, 210; Le-
xer 1, 1910; Frühnhd. Wb. 9, 1231 (s. v. liene²); Die-
fenbach, Gl. lat.-germ. 31 (ampellus). 120 (cinis prio-
nei). 624 (vitis alba); ders., Novum gl. lat.-germ. 59
(bryonia); Dt. Wb. 12, 704 (s. v. leine). 1919. —
Schweiz. Id. 3, 1260; Ochs, Bad. Wb. 3, 464; Fischer,
Schwäb. Wb. 4, 1243 (liene²); 6, 2 Nachtr. 2475;
Schmeller, Bayer. Wb.² 1, 1481; Unger-Khull, Steir.
Wortschatz 440; Müller, Rhein. Wb. 5, 466; Maurer-
Mulch, Südhess. Wb. 4, 345. 989.
Die Herkunft des nur im Dt. belegten Wortes
ist unklar. Eine Entlehnung aus frz. liane
‚Liane‘ ist nicht möglich, da das Wort erst
seit dem 17. Jh. im Frz. belegt ist (Gamill-
scheg 1969: 566). Inwieweit die frühnhd.
und nhd. mdartl. Formen mit -n- von frz. lia-
ne beeinflusst sind, ist fraglich, da das Wort
erst im 18. Jh. ins Dt. übernommen wurde.
Als Vorform von ahd. liola kommen ent-
weder *lē²lō(n)- oder eher *leu̯lō(n)- in Frage.
Eine weitere Rückführung auf vorurgerm.
*leu̯-lah₂- und die Annahme eines Nomen
agentis zur Verbalwurzel uridg. *leu̯- ‚be-
schmutzen‘ (LIV² 414) ist aufgrund der me-
dizinischen Wirkung der Pflanze zwar ver-
lockend, verbietet sich aber wegen fehlender
inner- und außergerm. Anschlüsse.
Erwägen könnte man noch eine Vorform
vorurgerm. *h₁léu̯dh-lah₂- zur Verbalwz. ur-
idg. *h₁leu̯dh- ‚steigen, wachsen‘ (LIV² 248),
die über urgerm. *leu̯đlō(n)- (mit Assi-
milation von urgerm. *-đl- > *-ll-; vgl.
Krahe-Meid 1969: 1, § 96, 1) zu ahd. *liolla,
liella führt. Eine Ableitung von *h₁leu̯dh- ist
als Bez. für eine Kletterpflanze plausibel,
doch sind Formen mit -ll- erst ab dem
11./12. Jh. belegt. Zudem fehlen auch für
diese Herleitung Parallelen.