vespera
Band III, Spalte 183
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vesperaAWB f. ō-, ōn-St., Gl. 1, 265, 2 (K; uespe-
rū gen.sg.) und Reichen. Beichte (9./10. Jh.):
Abend(zeit), Abendmesse, Vesper, vespera.
Mhd. vesper st.f. die vorletzte kanonische
Stunde (6 Uhr abends) und der betreffende
Horagesang
, nhd. Vesper.

Ahd. Wb. III, 763; Splett, Ahd. Wb. I, 1215; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 258; Schützeichel⁵ 132; Starck-Wells
808; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 127; Graff
III, 706; Schade 191; Lexer III, 325; Benecke III, 304;
Diefenbach, Gl. lat-germ. 615 (vespera); Dt. Wb. XII,
2, 5 ff.; Kluge²¹ 820; Kluge²⁴ 959; Pfeifer, Et. Wb.²
1513 f.; Splett, Abrogans-Studien 400 f.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
mndd. vesper; mndl. vesper(e), nndl. vesper die
vorletzte kanonische Stunde (6 Uhr abends)
und der betreffende Horagesang
; me., ne. ves-
per; dän. vesper dss.; auch der Planet Venus
(als Abendstern)
, schwed. vesper Abend(mes-
se)
.

Die germ. Wörter sind Entlehnungen aus lat.
vespera f. Abend(zeit) (die von Pfeifer, Et.
Wb.² 1514 und Burckhardt, Gr. u. lat.-rom.
Lehnw. im Andd. 62 vorgeschlagene Entleh-
nungsbasis mlat. vespera kommt nicht in Frage,
da im Mlat. lediglich vesper und vesperae be-
zeugt sind [Du Cange² VIII, 290]).

Sowohl ins Engl. wie vielleicht auch ins Dän.,
wo sich ebenfalls die Bedeutung der Planet Ve-
nus (als Abendstern)
findet, wurden zwei unter-
schiedliche lat. Wörter entlehnt, die dann zu ei-
nem Paradigma verschmolzen: lat. vesper
Abendstern; Abend(zeit), das ne. vesper
Abendstern, Abend(zeit) ergab, und lat. ves-
peras (akk.pl. von vespera Abendzeit [gebildet
nach lat. mātūtīnās Mette]), das als ne. (pl.)
vespers die vorletzte kanonische Stunde (6 Uhr
abends) und der betreffende Horagesang
ent-
lehnt wurde. Hierzu wurde ein neuer Sg. vesper
gebildet, der mit vesper < lat. vesper zusam-
menfiel.

Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 709; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. V, 246; Verdam, Mndl. handwb.
710; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 739; Vries, Ndls. et.
wb. 780; ME Dict. U-V, 591 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et.
977; OED² XIX, 572; Ordb. o. d. danske sprog XXVI,
1250 f.; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1333.

Auch im Roman. sind beide lat. Formen fortge-
setzt: lat. vesper als afrz. vespre, nfrz. vêpre,
prov. vespre, span. víspera, port. vespera (Vor-)
Abend
, italien. vespro Abendzeit (in der Ver-
bindung mit preghiera Abendandacht), vespero
Abendstern und lat. vesperas als nfrz. vêpres,
prov. vespras, span. vísperas, port. vesperas die
vorletzte kanonische Stunde (6 Uhr abends)
und der betreffende Horagesang
. Lat. vesper
führt zusammen mit gr. ἕσπερος auf uridg. *es-
pero- zurück, woneben lit. vâkaras, lett. vakars
Abend, aksl. veerъ am Abend (< *ekero-)
stehen. Beide Formen können nicht miteinander
in Einklang gebracht werden, wodurch auch ein
weiterer Anschluß nicht möglich ist.

Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 770 f.; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 10114; Meyer-Lübke, Rom. et.
Wb.³ Nr. 9273; Wartburg, Frz. et. Wb. XIV, 345 ff.;
Gamillscheg, Et. Wb. d. frz. Spr.² 888; G. Gröber,
Arch. f. lat. Lex. VI (1889), 141.

Es handelt sich um relativ späte kirchensprachli-
che Entlehnungen (etwa zur gleichen Zeit wie
die Begriffe Mette und None), wie der Anlaut
v- zeigt, da bei früheren Lehnwörtern im An-
laut für lat. v- in den germ. Sprachen w- einge-
treten ist (vgl. ahd. wîn < lat. vinum). Im Kir-
chenlat. verengte sich die Bedeutung Abendzeit
auf die vorletzte kanonische Stunde (6 Uhr
abends)
. Durch den hl. Benedikt wurde die
Vesper auf den Nachmittag gelegt; dadurch ver-
schob sich die Zeitbestimmung auf drei Uhr
nachmittags
.

So wie die Horen im allgemeinen war auch die
Vesper im täglichen Leben eine wichtige zeitli-
che Orientierung, da sie durch Glocken einge-
läutet wurde (vgl. Reichen. Beichte [9./10. Jh.]:
ih gihu gode almahtigen, daz ih ... noh mine ues-
pera noh mina metdina noh mina messa nigilose-
da). Aus der Zeitpunktangabe Zeit, in der die
Vesper gefeiert wird
wurde eine Zeitraumanga-
be Zeit zwischen Mittag und Abend. Die Zeit-
raumangabe wurde schon im 15. Jh. auf die in
dieser Zeit eingenommene Speise übertragen
und bezeichnete auch die Zwischenmahlzeit am
Nachmittag
. In dieser Bedeutung kann das
Wort in vielfacher Weise verdeutlicht werden,
u. a. als Vesperbrot, Vierervesper oder Vesperkaf-
fee.

Franz, Lat.-rom. El. im Ahd. 20. 39; K. Galling, Die
Religion in Geschichte und Gegenwart VI (Tübingen,
1986), 1390 f.; Kretschmer, Wortgeographie² 548553;
Wünschmann, Tageszeiten 3032. 4554; H. Frenzel,
in Norm. d. dt. Lit.spr. 3, 185196.

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