fastên
Band III, Spalte 83
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fastên sw. v. III, seit dem 9. Jh.: fasten, sich
der Speise enthalten, ieiunare
, einmal hun-
gern
(Tatian 89, 1 = Mt. 15, 32: fastante : ieiu-
nos) Var.: u-. Mhd. vasten, nhd. fasten.

Ob auch ein sw. v. II fastôn wegen der Prät.form fasto-
ta (einmal Otfrid Hss. PV 1, 10, 28 neben drei Belegen
mit -e-; einmal im Wess. Glauben I, Steinmeyer,
Spr.denkm. 137, 24 [12. Jh.]; einmal uastota Notker,
W. Ps. 34, 13; einmal auch gevastote Bened.b. Glauben
II, Steinmeyer, a. a. O. 336, 22 [11./12. Jh.]; gifa-
stên
) anzusetzen ist (so u. a. Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 369
Anm. 2), oder ob es sich nur um Vokalvariation in ei-
ner schwach betonten Mittelsilbe handelt (so u. a.
J. Schatz, Sievers-Festschrift [1925], 354 ff.), ist unsi-
cher. Der o-Vokal kommt aber nur in den dreisilbigen
Formen des Präteritums vor, und die meisten Belege
erscheinen in späten Hss. (11.-12. Jh.), wo die schwach
betonten Vokale schon weitgehend zu [ǝ] geworden
sind, das in der Schrift unterschiedlich wiedergegeben
wird (vgl. z. B. muodoti im Wess. Glauben I [137, 18]
neben muodeta im Bamb. Glauben; muodên); des-
halb ist die Annahme eines ōn-Verbs fraglich. Auch
der Beleg bei Otfrid (der übrigens keine Reimform ist,
wie Raven, Schw. Verben d. Ahd. II, 212 behauptet)
spricht nicht für einen Übergang in die ōn-Konj.,
denn mehrere Formen mit o für ē (einschließlich ha-
botost, fragotun!) neben noch zahlreicheren mit e oder
a für ō (vgl. A. L. Lloyd, JEGP 63 [1964], 684 ff.) deu-
ten darauf, daß die Schwächung der schwach betonten
langen Vokale schon begonnen hat (vgl. auch Schatz,
a. a. O. 356).

Ahd. Wb. III, 647 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 213; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 249; Schützeichel⁵ 130; Starck-Wells
142; Graff III, 752 f.; Schade 170; Raven, a. a. O. II,
212; Lexer III, 30; Benecke III, 277 f.; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 284 (ieiunare); Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 312 (ieiunare); Dt. Wb. III, 1351 ff.; Kluge²¹
186; Kluge²⁴ 278; Pfeifer, Et. Wb.² 327.

Ein entsprechendes schwaches Verb der 3. Klas-
se kommt sonst nur im Got. vor: got. fastan hal-
ten, festhalten, beobachten, bewachen, τηρεῖν,
φυλάσσειν, φρουρεῖν; fasten, νηστεύειν
. In den
anderen germ. Sprachen, wo diese Klasse im
Verschwinden war, findet sich im Ae. ein Verb
der ersten schwachen Klasse: ae. fæstan fasten
(me. fasten, ne. fast); im Afries. und Aisl. gehört
das Verb zur zweiten Klasse: afries. festia fa-
sten
(nostfries. fasten, nwestfries. festje); aisl.
fasta dss. (nisl., nnorw., nschwed. fasta, ndän.
faste). Das Verb ist im As. nicht belegt, kommt
aber als (klassenloses) schwaches Verb vasten
dss. im Mndd., Mndl. und Nndl. vor.

Daß ae. fæstan und mndl. vasten auch die Bed. fest-
machen, begründen, bekräftigen, bestätigen usw.
hät-
ten, wie Pfeifer, a. a. O. behauptet, stimmt nicht: in
diesen Sprachen sind zwei Verben, urgerm. *fast(i)jan-
( festen) und *fastēn- homonymisch geworden.

Aus dem Germ. entlehnt sind aksl. postiti s fa-
sten
, postъ das Fasten (russ. post Fasten, po-
stít’sja fasten; poln. post, poci usw.), aber ob
die slaw. Wörter aus dem Got. stammen oder
pannonische Lehnwörter aus dem Ahd. sind, ist
umstritten; vgl. Stender-Petersen, Slav.-germ.
Lehnw. 431 f.; Kiparsky, Gemeinslav. Lehnw.
aus d. Germ. 261 f. Die Tatsache, daß die slaw.
Verben z. T. reflexiv sind, ist kein Beweis für
got. Herkunft, denn das Got. hat kein reflexives
Verb für fasten; got. fastan sik silban bedeutet
nur sich halten (vgl. M. Jellinek, ZfdA. 66
[1929], 132 f.). Zu germ. f > slaw. p vgl. Sten-
der-Petersen, a. a. O. 474 (Lautsubstitution).

Fick III (Germ.)⁴ 239; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 667; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. V,
212; Verdam, Mndl. handwb. 643; Franck, Et. Wb. d.
ndl. taal² 724; Vries, Ndls. et. wb. 765; Holthausen,
Afries. Wb.² 26; Richthofen, Afries. Wb. 735; Doorn-
kaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 426 f.; Dijkstra,
Friesch Wb. I, 346; Holthausen, Ae. et. Wb. 96; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 267; Suppl. 201; ME Dict. E-
F, 415 f.; OED² V, 749 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 346;
Vries, Anord. et. Wb.² 113; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
534 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 57; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 207; Torp, Nynorsk et.
ordb. 95 f.; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 202; Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 143 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. F-
25.

Das urgerm. Verb *fastēn- ist vom Adj. festi, fast
(s. d.) abgeleitet, aber die Bed.entwicklung ist
umstritten. Am wahrscheinlichsten handelt es
sich um eine Entwicklung von (an den christli-
chen Geboten) festhalten, (ein Gebot) einhal-
ten, beobachten
> das Fastengebot (als ein
klar erkennbares Zeichen des christlichen Glau-
bens) einhalten
. Da nur das got. Verb sowohl
die ursprl. als auch die spätere christliche Bed.
hat, ist es möglich, daß diese dort entstanden
ist. Ob dabei eine ähnliche Bed.entwicklung von
lat. observare in der lat. Kirchensprache eine
Rolle spielte, läßt sich nicht feststellen. Nach
G. Mazzuoli Porru, Arch. glottol. 56 (1971),
19 ff. hat nicht lat. observare, sondern lat. statio
f., das in der Kirchensprache u. a. das Fasten
bedeutete, als Muster für die germ. Bed.ent-
wicklung gedient. Weiteres zur Entwicklung
festi und vgl. C. de Lamberterie, Sprache 26
(1980), 140.

Weniger wahrscheinlich V. Pisani, Arch. glottol. 33
(1941), 128 f.: Lehnbildung zu gr. καρτερεῖν, lat. durā-
re; R. Solari, Rendiconti. Istituto Lombardo. Accademia
di Scienze e Lettere. Classe di Lettere e Scienze Morali e
Storiche 109 (1975), 433 ff.: germ. Prägung in Anleh-
nung an verschiedene gr. Verben wie φυλάσσειν,
τηρεῖν usw.

Ganz anders, aber rein spekulativ E. Seebold, Rosen-
feld-Festschrift 493 ff.; ders., Kluge²⁴ a. a. O.: aus idg.
*pos-to- rein, rechtschaffen, gewissenhaft und mit
lat. pūrus rein und pius rechtschaffen verwandt. Die
germ. Grundlage glaubt er in den Hintergliedern von
got. witoda-fasteis Gesetzeskundiger und ae. æwfæst
gesetzestreu, rechtschaffen gefunden zu haben. Da-
gegen spricht u. a. der Bed.umfang des got. Verbs, der
auf eine Grundbed. festhalten deutet; außerdem
kann das Hinterglied von got. witoda-fasteis nicht von
dem verbalen Begriff des Festsetzens, Bestimmens
getrennt werden, was durch den Vergleich mit aisl. fe-
sta lg das Gesetz festigen, bestimmen bestätigt wird
(vgl. A. M. Sturtevant, JEGP 36, [1937], 178 f.). Auch
im Ae. kommt -fæst oft als zweites Glied eines Kom-
positums vor, immer mit der Bed. fest, z. B. stede-fæst
standhaft, hyge-fæst fest im Sinne, vernünftig usw.
( festi).

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