angar¹AWB m. a-St. ‚Kornwurm, -käfer, curculio‘
(Calandra granaria L.) 〈Var.: angur, -or, -er〉.
Das später offensichtlich nicht mehr verstan-
dene Wort steht fünfmal an der Stelle des (lat.)
Lemmas und wird durch engiring, -ling inter-
pretiert. Einmal, Gl. 2, 672, 62 (11./12. Jh.), be-
gegnet angarAWB, wohl Dimin. auf -î (vgl. ingeri,
Schweiz. Id. I, 335). Im Mhd. wird anger, dane-
ben enger seit dem 11. Jh. weitgehend durch die
Ableit. engiring, -ling (s.d.d.) verdrängt. Die
heutige hochsprl. Form ist Engerling.
Ahd. Wb. I, 518; Starck-Wells 28; Graff I, 350;
Schade 19; Lexer I, 71. 557; Diefenbach, Gl. lat.-germ.
163 (curculio); Dt. Wb. III, 480; Kluge²¹ 166.
Für ahd. angar¹ ist keine entsprechende Form
im Asächs. oder in irgend einem anderen germ.
Dialekt bezeugt, mit einer Ausnahme: schwed.
änger m. ‚Made (im Fleisch)‘, das auch schon im
älteren Schwed. (825—1520) belegt ist, geschrie-
ben ænger und in seiner Vereinzelung doch
wohl als dt. Lehnwort zu erklären ist; auch die
spezielle Bedeutung teilt das schwed. Wort mit
den Vertretern von ahd. angar¹ in den dt.
Mdaa. von heute (s. u.). Vgl. Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 1440; Östergren, Nusvensk ordb. X
(1972), 423.
Außergerm. bieten sich zahlreiche Anknüpfun-
gen in Form und Sachgehalt. So russ. ugor’
‚Finne, Pickel, Mitesser‘, tschech. uher, slovak.
uhor, poln. wągr, węgry pl., bulg. vъgaréc
‚Made, Larve‘, sloven. ȏgrc ‚Made, Dasselfliege,
Finne‘, die alle auf urslav. *ogrъ- zurückführen
und denen im Balt. apreuß. angurgis m. ‚Aal‘ (s.
Toporov, Prusskij jazyk I, 88 f.), lit. ungurỹs
‚dss.‘ (< *angu̯[h](e)ri̯o-? s. E. Hamp, Balti-
stica 6 [1970], 22 ff.) entsprechen sowie Formen
mit -st-Erweiterung wie aksl. ǫgoristь, lit. inkstì-
ras m. ‚Pickel, Mitesser; Finne, Trichine‘, lett.
anksteri pl. ‚Maden, Larven, Engerlinge‘,
apreuß. anxdris m. ‚Natter‘ (meist in angstirs
emendiert, s. J. Endzelin, Zf.slav.Ph. 18
[1942/43], 114; A. Bezzenberger, BB 2 [1878],
154 f.). Während für die balt.-slav. Vertreter
eine Basis mit -gu̯- sowohl wie mit -gu̯h- ange-
setzt werden kann, beruht ahd. angar¹ auf idg.
*angu̯h- (**H₂engu̯h-), das man meist auch für
die lat. Verwandten anguis m. ‚Schlange‘ u. a.
(so Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 48; Kent,
Sounds of Latin³ § 159 III), lit. angìs voraussetzt
sowie für gr. ἔγχελυς (wenn Kreuzung aus
*angu̯[h]i- und *eghi-, so Boisacq, Dict. ét. gr.⁴
I, 213); noch komplizierter ist die Herleitung
des bei Hesych II, 363 glossierten gr. ἴμβηρις ⋅
(ἔγχελυς), das aber auf eine idg. Basis *engu̯-
zurückweist (s. Solmsen, Beitr. z. gr. Wortf. I,
215; F. de Saussure, MSLP 6 [1889], 78; Boi-
sacq, Dict. ét. gr.⁴ I, 375; Chantraine, Dict. ét.
gr. 464), wenn man nicht mit G. Bonfante und
H. Barić illyr. Herkunft (inl. -b- < idg. -gu̯h-)
annehmen will (nicht ohne Bedenken referiert
von A. Mayer, Glotta 32 [1953], 67 f.; s. auch
Schwyzer, Gr. Gram. I, 275 f. 300). So hat man
sich vielfach zu der Annahme von zwei ursprl.
verschiedenen, aber schon früh kontaminierten
Wurzeln verstanden mit idg. -gu̯- (→ unk) bzw.
-gu̯h- und einer Bedeutung ‚Wurm, Schlange‘,
von denen die letztere, um ein -r-Formans er-
weitert, also idg. *angu̯h-r-o- (> germ. *angra-),
dem ahd. angar¹ zugrundeliegt.
Vasmer, Russ. et. Wb. III, 172; Trautmann, Balt.-Slav.
Wb. 8; Fraenkel, Lit. et. Wb. 185; Mühlenbach-End-
zelin, Lett.-dt. Wb. I, 71; Trautmann, Apreuß. Spr.-
denkm. 300 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 33; Mul-
ler, Aital. Wb. 29 ff.; s. auch Frisk, Gr. et. Wb. I, 439 f.
(ἔγχελυς). 725 (ἴμβηρις); Walde-Pokorny I, 63 ff.;
Pokorny 43 f.
Auch in den Mdaa. lebt das ahd. Wort meist nur in
seinen Ableit. auf -ling und -ing sowie deren mannig-
fachen volksetym. Entstellungen weiter, aber daneben
auch noch als Enger u. ä. besonders im Alem.-
Schwäb., s. Jutz, Vorarlberg. Wb. I, 719; Martin-Lien-
hart, Wb. d. els. Mdaa. I, 54; Schweiz. Id. I, 335 f.
Doch hat es fast überall, genau wie schwed. änger (s.
o.), vom Schweizer Alpenland bis Schlesien und Ost-
preußen die zusätzliche Bedeutung von ‚Viehzecke,
Larve der Dasselfliege, Wurm zwischen Fell und
Fleisch gewisser Tiere‘, vgl. Fischer, Schwäb. Wb. II,
720; Schmeller, Bayer. Wb.² I, 107; Schatz, Wb. d. ti-
rol. Mdaa. 147; Schöpf, Tirol. Id. 105 f.; Unger-Khull,
Steir. Wortschatz 202 (auch adj. engerig ‚von Blasen
und Geschwüren zerrissen‘); Mitzka, Schles. Wb. I,
246; Schambach, Wb. d. ndd. Mda. 56; Frischbier,
Preuß. Wb. I, 174 (Englingsloch).