*denngras n. a-St., nur Gl. 3, 589, 20 ge-
schrieben demgras in Glossen aus dem 12. Jh.,
die den Pflanzenbildern der Schrift De herba-
rum medicaminibus des Pseudo-Apuleius bei-
gefügt sind (Kassel, Murh. u. LB. 2° Ms. phys.
et. hist. nat. 10): ‚Vogelknöterich, gramen‘ (Po-
lygonum aviculare L.); ält. nhd. Denngras n.
‚Vogelknöterich, Wegtritt, Weggras‘, auch
Dänegras, Dähngras, Tennegras.
In den dt. Dialekten begegnen schweiz. tenngras ‚Knö-
terich, Wegtritt, Weggras, Denngras‘, schwäb. †denn-
gras ‚Weggras, Wegtritt‘, luxemb. dännegras, tennegras
‚Vogelknöterich‘, rhein. danngras, tenngras ‚Vogel-
knöterich, niedriges Gras, das ziemlich hart am Boden
läuft‘, siebenbürg.-sächs. dîngraes ‚Vogelknöterich‘,
schles. dehngras.
Splett, Ahd. Wb. I, 131. 321; Starck-Wells 94; Dt.
Wb. II, 952; XI, 1, 254; Schweiz. Id. II, 797; Fischer,
Schwäb. Wb. II, 151; Luxemb. Wb. I, 193; IV, 325;
Müller, Rhein. Wb. I, 1245; VIII, 1136; Schullerus,
Siebenbürg.-sächs. Wb. II, 48. — E. Björkman, Zfdt.
Wortf. 3 (1902), 284; Marzell, Wb. d. dt. Pflanzenna-
men III, 891 ff. (bes. 896 f.).
Weil sich in den deutschen Botanikbüchern die
Schreibungen Tennengras und Dehngras finden,
stellt man die Pflanzenbezeichnung ahd. denn-
gras entweder zu dem Subst. Tenne (→ tenni)
oder zu dem Verb dehnen, wobei das in der
Mundart von Bas-Maine belegte tren ‚Geißblatt‘
und frz. traînasse ‚Vogelknöterich‘, Ableitungen
von *tragīnāre ‚dahinziehen‘ (frz. traîner ‚[nach-]
schleppen‘, traîne ‚Zugnetz‘; s. Meyer-Lübke,
Rom. et. Wb.³ Nr. 8837), verglichen werden; ei-
nerseits wachse der Knöterich auf hartgetrete-
nem Boden, ja sogar auf und bei Dreschtennen,
andererseits breite er sich aus und wuchere
(Schweiz. Id., a. a. O.). Zwar besteht aufgrund
der Schreibungen kein Zweifel daran, daß
Denngras mit dem Verb dehnen in Verbindung
gebracht worden ist; vgl. außer schles. Dehngras
die Lautformen Dejhn-, Dejhmgros, ferner
Dônkraut (Nordböhmen; zu donen ‚spannen‘);
Sprattelgras (Zürich; zu spratt ‚auseinanderge-
legt, ausgebreitet‘); nndl. strekgras. Doch sind
im 12. Jh. bei dem Verb dehnen schon Aus-
gleichsbewegungen zugunsten der ungeminier-
ten Formen feststellbar (Simmler, Westgerm.
Kons.gemin. 78 ff.), so daß anstelle von denngras
wohl ein *denegras zu erwarten wäre. Eine Deu-
tung von denn- in denngras als substantivisches
Kompositionsglied dürfte daher vorzuziehen
sein. denn- ist aber eher als an ‚Tenne‘ an ein
Wort der Bedeutung ‚Boden‘ anzuschließen;
denn für den Vogelknöterich ist typisch, daß
seine verzweigten Stengel meist dicht dem Bo-
den anliegen (Marzell, a. a. O.).
Die Bedeutung ‚Boden‘ findet sich bei rhein.
dann ‚Boden, verwühlte Stelle im Bett, gelagerte
Stelle im Getreide, Schweinelager‘, das zu dem
Wort Tenne gehört und mndl. dann ‚wüster
Platz, Land, Schlupfwinkel‘ (nndd. danne
‚Beet‘) entspricht; vgl. ferner die Bedeutungen
der Entsprechungen des Wortes Tenne außer-
halb des Hd.: mndd., mndl. denne ‚Lagerstätte,
Niederung, Waldtal‘; ae. denn n. ‚Höhle, Lager,
Schweineweide‘, ne. den ‚Höhle, Schlupfwinkel
des Wilds, Grube‘ (mit anderem Suffix ae. denu
f. ‚Tal‘; mndd. dene ‚Vertiefung‘; afries. dene
‚nieder, herab‘; ferner anord. Danir ‚Dänen‘,
eigtl. ‚Niederungsbewohner‘; s. Kluge²¹ 776).
Auch der Pflanzenbezeichnung Dennenmark
(Valeriana officinalis, Baldrian) enthält als Vor-
derglied aller Wahrscheinlichkeit nach einen
den genannten Wörtern zugehörigen Substan-
tivstamm denn- mit einer Bedeutung wie ‚Nie-
derung‘; → denemarka. denn- neben rhein. dann
ist so ein Beleg dafür, daß die ältere Bedeutung
‚Niederung‘ auch im Hd. vorhanden war. Als
Grundbedeutung ist wohl die Bedeutung ‚Flä-
che‘ anzunehmen; vgl. ahd. tenar ‚flache Hand‘,
gr. θέναρ ‚Fläche‘ (s. R. Lühr, in Studien zum
idg. Wortschatz 67 f.), aind. dhánvan- ‚Wüste,
Steppe, trockenes Land‘ (dazu s. aber Mayrho-
fer, K. et. Wb. d. Aind. II, 90; III, 739; ders.,
Et. Wb. d. Altindoar. I, 774). Vorausgesetzt,
daß im Ahd. auch bei der Fortsetzung der dem
Wort Tenne zugrundeliegenden Vorform ur-
germ. *tan(wi)ja- die Bedeutung ‚Fläche‘ noch
bestand, kann ahd. denngras als ‚Flächengras‘,
d. h. ein Gras, das auf dem flachen Boden
wächst, gedeutet werden (R. Lühr, Sprachwis-
senschaft 15 [1990], 172 ff.).