diodraftAWB adj., nur Murb. H. nom. akk. pl. m. deo-
drafte: ‚demütig, humilis, subditus‘.
Splett, Ahd. Wb. I, 140. 1011 (diodraft); Schützeichel⁴
90; Graff V, 88; Schade 99.
Das Kompositum enthält als Vorderglied *dio
‚Diener‘ (→ *dio adj.). Für das Hinterglied geht
Schade a. a. O. von einer Grundbedeutung ‚als
Untergebener sich bekennend‘ aus und verbin-
det -draft mit ae. ðrēapian, me. threapen, ne.
dial. threap in den von ihm angeführten Bedeu-
tungen ‚behaupten, streitend behaupten‘, wozu
sich ae. ðræft st. n. ‚Streitsucht, Zank‘, anord.
þrap, þrapt st. n. ‚Geschwätz‘, þrapr, þraptr
st.m. ‚Schwätzer‘ stellen. Doch ist die der Be-
deutung ‚bekennen‘ am nächsten kommende Be-
deutung ‚behaupten‘ im Engl. sekundär. Ae.
ðrēapian, me. threapen, ne. dial. threap bedeuten
‚tadeln‘ (OED² XVII, 997), und orkn. tarp,
schott. threap ‚mit Nachdruck argumentieren,
zwisten‘ sind aus den oben angegebenen anord.
Wörtern hervorgegangen (s. H. Marwick, The
Orkney Norn [Oxford, 1929], 187). Auch wei-
tere wohl zu ae. ðræft gehörige Bildungen haben
andere Bedeutungen: mndd. drevelinge f. ‚un-
nützes, nichtiges Geschwätz, Streit, Zank‘; aisl.
þrefa ‚zanken, streiten‘, nisl. þrefa (norw. dial.
trevla ‚zanken‘, nostschwed. trevla ‚sich be-
schweren‘, ndän. dial. trævle ‚mit Bitten be-
schweren‘), Wörter, die auf eine Wz. uridg.
*trep- (vgl. lat. strepere ‚wild lärmen, jauchzen,
rauschen, schmettern‘) oder uridg. *treb- mit
Verstärkung des Wz.-Auslauts in Schallwörtern
wie in ahd. klingan ‚klingen, schallen, tönen‘
neben mhd. klinken und dann auch in ae. ðrēa-
pian (s. Lühr, Expressivität 125 f.) deuten.
Fick III (Germ.)⁴ 191; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 477; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
574 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 367 f.; Bosworth-Tol-
ler, AS Dict. 1064 f.; Suppl. 730; Stratmann-Bradley,
ME. Dict.³ 636; Vries, Anord. et. Wb.² 619 f.; Jóhan-
nesson, Isl. et. Wb. 885; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 318; Torp, Nynorsk et. ordb. 805; Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. II, 602; Ernout-Meillet, Dict.
ét. lat.⁴ 656; Dict. of Irish T-306; Meyer-Lübke, Rom.
et. Wb.³ Nr. 8298.
Auch die Verbindung von -draft mit den ähnlich
lautenden Bildungen got. þrafstjan ‚trösten, er-
mahnen‘, gaþrafstjan ‚ermuntern‘, gaþrafsteins f.
‚Trost‘, die Grimm, Dt. Gr.a II, 151 von einer
Wz. urgerm. *þra- herleitet, führt nicht zu der
Bedeutung ‚demütig‘ von diodraft. Zudem ge-
hört got. þrafstjan (mit *þrafsti- < *frasti-) zu
ae. frōfor usw. ‚Trost‘, sofern der von Matzel,
Gesammelte Schriften 194 aufgestellte Lautwan-
del von *fr > got. þr zutrifft.
Eine semantisch einwandfreie Deutung von dio-
draft ergibt die Verbindung mit der Wz. uridg.
*trep- ‚wenden‘: ‚wie ein Diener abgewendet‘ <
‚wie ein Diener vor Scham abgewendet‘
(K. Matzel mündlich); vgl. folgende Bedeutun-
gen der Fortsetzungen der Wz. *trep- außerhalb
des Germ.: aind. trápate ‚schämt sich, wird ver-
legen‘, trap f. ‚Scham, Verlegenheit‘, gr. ἐν-
τρέπομαι ‚wende mich jemandem zu, schäme
mich vor jemandem‘; ferner lat. turpis (< *tpi-)
‚häßlich, garstig‘ (*‚wovor man sich abwenden
muß‘).
Was die Bildeweise von -draft betrifft, so könnte
die Vorform *tropto- als to-Ableitung der o-
stufigen Fortsetzung der Wz. aufgefaßt werden,
wobei die Wz. uridg. *trep- im Germ. jedoch
sonst nicht fortgesetzt ist. Urgerm. *þrafta- wä-
re dabei Reflex eines verschollenen st. Verbs der
6. Kl. (*þrafa-, *þrōf) (vgl. anord. kaldr, ahd.
kalt ‚kalt‘ zu anord. kala ‚frieren‘; ahd. alt ‚alt‘,
eigtl. ‚erwachsen‘, zu got. alan ‚wachsen‘; s.
Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss. III § 118, 1; zu
Ablautneubildungen s. Brugmann, Grdr.² II, 1,
397 ff.). In diesem Fall würde es sich um ein Re-
likt idg. Wortgutes im Germ. handeln, was bei
einem nur in einem Text bezeugten Wortschatz-
element nicht weiter verwunderlich wäre.
Walde-Pokorny I, 756 f.; Pokorny 1094; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. I, 530; ders., Et. Wb. d. Altindoar.
I, 674 f.; Frisk, Gr. et. Wb. II, 923 ff.; Walde-Hof-
mann, a. a. O. II, 719; Oettinger, Stammbildung d.
heth. Verbums 230 stellt auch heth. te-ri-ip-zi ‚pflügt‘
< *trep-ti ‚bricht um, wendet‘ hierher.
Schließlich könnte man eine Verbindung mit der
Wz. uridg. *trep- ‚trippeln, trampeln, treten‘
(Pokorny 1094), wozu im Germ. möglicherwei-
se die Sippe von ae. ðrafian ‚drängen, treiben,
drücken, tadeln‘ gehört, erwägen. In diesem Fall
läge die Kontinuante eines to-Partizips in akti-
ver Bedeutung vor. Als Bedeutung des Komposi-
tums ergäbe sich ‚wie ein Diener (ängstlich
usw.) umhergehend‘; vgl. die Bedeutungen von
lat. trepidus ‚zitternd, ängstlich‘.