durfanAWB v. prät.-präs. ‚bedürfen, brauchen,
nötig haben, bedürftig sein; Mangel leiden,
entbehren; Grund haben; sollen‘; mit gen. ‚j-n.
brauchen‘ 〈Var.: thurfan, durfen, turfen〉;
präs. 1.3. sg. darf, 2.sg. darft, pl. durfum, prät.
ind. dorfta, konj. dorfti. — Mhd. durfen, dür-
fen, präs.2.sg. seit dem 14. Jh., zunehmend im
15. Jh. darfst, prät.ind. dorfte, seit dem 12. Jh.
vereinzelt, sonst Anfang des 14. Jh.s durfte,
konj. dörfte, dürfte, frühnhd. oft präs.2.sg.
darfest, nhd. dürfen (vereinzelt ält. nhd. dar-
fen). Im heutigen Nhd. ist dürfen nur noch
Modalverb (dürfen mit gen. ‚nötig haben‘ bis
ins 18. Jh.).
Splett, Ahd. Wb. I, 157; Schützeichel⁴ 94; Starck-
Wells 111; Graff V, 205 ff.; Schade 115; Braune, Ahd.
Gr.¹⁴ § 373; Lexer I, 494; Benecke I, 362 f.; Diefen-
bach, Gl. lat.-germ. 196 (egere); Dt. Wb. II, 773.
1721 ff.; Dt. Wb.² VI, 1797 ff.; Kluge²¹ 149; Kluge²²
162; Pfeifer, Et. Wb. 322; zur Bedeutungsentwicklung
‚dürfen‘ s. R. Lühr, in Althochdeutsch I, 282 ff.
Ahd. durfan entsprechen: as. thuran/ thurvan,
tharf, thurbun, thor(f)ta ‚dürfen, brauchen, nö-
tig haben, Veranlassung haben‘, negiert ‚brau-
chen‘, mndd. dörven, darf/ derf/ dörf/ draf, dör-
ven/ durven, dorfte/ drofte/ dorchte, auch dor-
ste/ dörste (nach dörren ‚wagen‘) ‚bedürfen, nö-
tig haben, brauchen, dürfen, die Freiheit haben,
können, sollen‘; (andfrk. thurhtig ‚nötig‘); mndl.
dorven/ durven, darf/ derf, dorven, dorfte/ dor-
ste (nach dorren ‚wagen‘) ‚nötig haben, bedür-
fen, brauchen, dürfen, mögen, müssen, sollen,
wagen‘, nndl. durven; afries. thur(v)a/ thora/
therve, thorf/ thurf/thoer/ thur/ thor, thur(v)on/
thor(v)on, thorste ‚bedürfen, brauchen, nötig
haben, dürfen‘, nwestfries. doar(r)e, nostfries.
dörfen, dürfen, düren ‚dürfen, wagen, sich er-
kühnen, Erlaubnis haben‘ (auch im Fries. Ver-
mengung mit der Kontinuante von urgerm.
*đurzan- ‚wagen‘); ae. ðurfan, ðearf, ðurfon,
ðorfte ‚bedürfen, brauchen, müssen, schuldig
sein‘, me. þurfen; aisl. þurfa, þarf, þurfo / þor-
fo / þarfo, þurfta ‚nötig haben, bedürfen, drän-
gen‘, nnorw. turva; got. þaurban, þarf, þaur-
bun, þaurfta ‚bedürfen, nötig haben‘. Zugrunde
liegt ein Prät.-Präs. urgerm. inf. *þuran-, 1.sg.
*þarf, 1.pl.* þurum. Während der grammati-
sche Wechsel im Got. noch erhalten ist, ist im
Ahd. Ausgleich zugunsten des *f im Sg. einge-
treten. Wegen des Zusammenfalls von urgerm.
* und *f in einen Laut, der im Inlaut , v und
f geschrieben wird, ist für das Nord- und West-
germ. außerhalb des Ahd. nicht zu entscheiden,
ob *f ebenso verallgemeinert ist.
Fick III (Germ.)⁴ 182; Seebold, Germ. st. Verben
509 f.; Holthausen, As. Wb. 79; Sehrt, Wb. z. Hel.²
619 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 403; Wadstein, Kl. as.
Spr.denkm. 233; Gallée, Vorstud. z. e. andd. Wb. 338;
R. Steig, ZfdPh. 16 (1884), 329; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 460; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. I, 555 f.; Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 84. 109;
Kyes, Dict. of O. Low and C. Franc. Ps. 108; Verdam,
Mndl. handwb. 149; Verwijs-Verdam, Mndl. Wb. II,
363 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 143; Vries, Ndls.
et. wb. 145; Holthausen, Afries. Wb.² 113; Richtho-
fen, Afries. Wb. 1081; Dijkstra, Friesch Wb. I, 279;
Dornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 337. 364;
Holthausen, Ae. et. Wb. 372; Bosworth-Toller, AS
Dict. 1076 f.; Stratmann-Bradley, ME Dict.³ 640;
Vries, Anord. et. Wb.² 627; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
444; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog III, 1053 f.;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 322; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 1248 f.; Torp, Nynorsk et. ordb.
818; Heggstad, Gammalnorsk ordb. 734; Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 491 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. þ-
20; Grienberger, Unters. z. got. Wortkunde 213 f. (je-
doch mit unhaltbarer Bedeutungsvermittlung; → darba).
Wie die außergerm. Verwandten zeigen (→ dar-
ba), hat sich bei der zugrunde liegenden Wz. ur-
idg. *terp- ‚sich sättigen‘ eine Bedeutungsent-
wicklung von ‚woran Befriedigung finden‘ >
‚bedürfen‘ vollzogen. Die Fortsetzung des Perf.
vorurgerm. Sg. *(te-)tórp-a (Pl. *[te-]tp-mé),
urgerm. *þarf (Pl. *þurum), eigtl. ‚ich habe
Befriedigung gefunden‘, hat Zustandsbedeutung
‚ich habe etwas zu meiner Befriedigung nötig,
ich bedarf‘ angenommen und ist so in die Präte-
ritopräsentien eingeordnet worden (Collitz,
Schw. Prät. 42; zur Bezeichnung einer Disposi-
tion des Subjekts durch Präteritopräsentien s.
E. Benveniste, Sprache 6 [1960], 169).