eringreozAWB m. a-St., nur in Gl. vom 9. Jh. an:
‚Seeadler, Fischadler, alies [falsch gebildeter
Nom.], alietus‘ (Haliaetus albicilla L.) 〈Var.:
aran-; -i(e)oz, -i(e)z, -oz, -eez; zu eringeoz
s. u.〉. Die zahlreichen Glossenbelege gehen alle
auf eine alte Bibelglosse zu alietum, Leviticus
11, 13, zurück, wobei die Form arangroz im
Kommentar zum Hraban-Walahfrid eine nach
lat. alietus: avis similis aquilae sed major, tamen
minor quam vultur vorgenommene Umgestal-
tung von eringreoz darstellt.
Ob in mhd. (1484) erngries (auch als PN Henricus Ern-
gries) die alte Vogelbezeichnung noch lebendig ist, er-
scheint äußerst fraglich, da in dem Glossar die Ver-
bindung ruechen, erngries auf Übernahme aus der Levi-
ticus-Glossatur weist. Keinesfalls lebt eringries in dem
ndrhein. Gedicht der Anna von Köln „Sehnsucht nach
dem Himmel“ als aren grijs (Reim auf paradijs) (J.
Bolte, ZfdPh. 21 [1889], 151) fort. Auch die Perso-
nennamen ahd. Aricaus, Aragoz, Aringaud, Arnegaus,
Arnghot < *-gauta- (Förstemann, Adt. Namenbuch2-3
I, 136. 139) gehören nicht hierher, sondern enthalten
eine Entsprechung des Stammesnamen der Gauten, ae.
Gēatas, anord. Gautar; s. D. Kralik, Gött. Gel. Anz.
(1914) Nr. 3, 143 ff. gegen Suolahti, Dt. Vogelnamen
349 ff.
Ahd. Wb. III, 399; Splett, Ahd. Wb. I, 31. 326;
Starck-Wells 132. 805; Graff IV, 346; Schade 147;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 22 (alietus); Schmeller,
Bayer. Wb.² I, 129; Hoops Reallex. I, 37; Hoops Real-
lex.² I, 79.
Das ahd. Wort wird als Zusammensetzung mit
erin-, einer Kasusform von ahd. aro ‚Adler‘
(s. d.), im Vorderglied aufgefaßt und zu den
Glossenwörtern ae. earngeat ‚Geier, arpa‘ (<
*auta-), earngeap ‚vultur‘ (< *aupa-), Hs.-
Varianten ae. earngeup (mit Verschreibung von
u aus a), arngeus, alles Bezeichnungen für den
Seeadler, gestellt. Die r-lose Form des Hinter-
gliedes ist auch einmal im Ahd. belegt: Gl.
1, 801, 36 (Clm 14747 [10. Jh., bair.] eringeoz. iđ
eligriu [eligriu steht für eligrif als Glossierung
von gryphem; vgl. Gl. 3, 27, 68 eringrif]). Da er-
in- nicht als Kasusform von aro bezeugt ist
(Ahd. Wb. I, 661 nur gen. sg. aren), betrachtet
Kralik, a. a. O. 138 ff. wegen sonstiger ags. Ein-
flüsse auf Vogelglossare zum Leviticus das ahd.
eringreoz als „das verbalhornte ags. Komposi-
tum“, das volksetymologisch als ‚Stein auf dem
Flur des Hauses‘ gedeutet wurde.
In der Tat weist die Lautform eringreoz wegen
ihrer Lautfolge -gr- auf volksetymologische
Umdeutung, doch sind r-loses ahd. eringeoz
und ae. earngeat zu verschieden, als daß das
ahd. Wort daraus umgestaltet sein könnte. Auch
ist wohl nicht, wie Kralik annimmt, ae. earngeap
(trotz seiner früheren Bezeugung) das Ur-
sprüngliche, sondern die häufiger belegte Form
earngeat, denn earngeap kann volksetymolo-
gisch nach ae. gēap ‚offen‘ und gēopan ‚schluk-
ken‘ (anord. gaupa ‚Luchs‘) umgebildet sein. So
könnte für ahd. eringeoz weiterhin die alte Ver-
bindung mit aisl. gjóðr m. ‚Fischadler, falco ha-
liaetus‘, nisl. gjǫður, nnorw. gjod, dial. jo (fiske-
gjo), ju, jø, nschwed. dial. judar (nschwed. dial.
jute mit volksetymologischem -t-?), nschwed.
gudunge ‚alter Eidergänserich‘ < urgerm. *eu-
đa-, *uđa- erwogen werden. Zugehörige Bil-
dungen mit dem Tiernamensuffix -se sind:
aschwed. gjuse, nschwed. fiskgjuse (s. J. Sahl-
gren, Ark. f. nord. fil. 44 [1927—28], 255 ff.; an-
ders E. Hellquist, Noreen-Festschrift 187 f.: Wz.
*ghud-, *ghut-, *ghus-; ebenso J. Charpentier,
Zfvgl. Spr. 40 [1907], 434 und Anm. 2).
Als Anschlußmöglichkeit gilt die Verbindung
mit aisl. geyja ‚bellen, spotten‘ (ae. gōian ‚kla-
gen‘, nwestfries. geije ‚rufen‘) < *ewjan-; vgl.
ae. giw, giow, geow ‚Geier‘ (neben ae. giowian,
giwian ‚fordern, bitten‘), wobei die zugrunde-
liegende Wz. einmal mit *-t- (ahd., ae.) und ein-
mal mit *-đ- (anord.) erweitert sein müßte. Von
der unterschiedlichen Lautqualität der wurzel-
auslautenden Dentale abgesehen sind jedoch
auch die unterschiedlichen Ablautstufen *-eu-
(ahd.) und *-au- (ae.) problematisch.
Fick (Germ.)⁴ 134; Holthausen, Ae. et. Wb. 131 f.;
Bosworth-Toller, AS Dict. 234. 366. 479; Suppl. 173;
Suppl. II, 21; Vries, Anord. et. Wb.² 165. 170; Jóhan-
nesson, Isl. et. Wb. 318; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 87; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. I, 317;
Torp, Nynorsk et. ordb. 159; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 213.
K. F. Jóhannessons (BB 13 [1888], 117 f.) Anschluß
von aschwed. gyus, nschwed. gös (Fischname) an ur-
idg. [**g̑hdhuH-] ‚Fisch‘ (gr. ἰχθύς [mit Vokalpro-
these], lit. žuvìs, arm. jowkn) und seine sich daraus
ergebende Deutung ‚Fischer‘ ist wenig wahrscheinlich,
da die Funktion des Dentalsuffixes (in ahd. eringeoz,
ae. earngeat bzw. aisl. gjóðr) nicht als die eines Nomen
agentis gedeutet werden kann.