flannêntoAWB adv., nur bei Notker, Ps.: ‚durch
wechselndes Mienenspiel, durch Verziehen des
Mundes, der Miene, ora contorquendo‘ 〈daz
chit flannendo (Fides S. 570, 6)〉. Das Hapaxle-
gomenon ist vom Part. Präs. eines nicht beleg-
ten sw. v. III *flannēn ‚den Mund oder das Ge-
sicht verziehen‘ (vgl. ebenfalls bei Notker vor-
kommendes unmuodênto ‚unermüdlich‘ : sw. v.
III muadên ‚ermüden‘) gebildet. Auf die Exi-
stenz eines sw. v. III weisen auch mdartl. Wör-
ter mit -a- wie obersächs., hess. flannen ‚la-
chen‘ (Müller-Fraureuth, Wb. d. obersächs.
Mdaa. I, 339; Frings-Große, Wb. d. obersächs.
Mdaa. I, 635; Crecelius, Oberhess. Wb. 377).
Daneben hat wohl ein sw. v. I ahd. *flennen
(< urgerm. *flannjan-), mhd. *flennen existiert,
wie mhd. flennen-bühel („unser wîngarte, der
dâ liget in Wirzeburger mark an dem flennen-
bühel“ [Ortsangabe]) und frühnhd. flenner
st.m. ‚einer, der weint, heult, plorator‘ (Diefen-
bach, Novum gl. lat.-germ. 295b) nahelegen
(zum Nebeneinander von sw. v. der I. und III.
Kl. vgl. ahd. winnen ‚abweiden‘ [3.Sg.Präs.
winit] neben winên [1.Pl.Präs. winemes];
J. Schatz, Sievers-Festschrift [1925], 364). Nhd.
flennen ‚weinen‘ (abwertend), auch mdartl.
(z. B. schweiz., obersächs., hess., rhein.;
Schweiz. Id. I, 1199 f.; Müller-Fraureuth,
a. a. O. 343; Frings-Große, a. a. O. 648; Crece-
lius, a. a. O. 388; Vilmar, Id. von Kurhessen
105 f.; Müller, Rhein. Wb. II, 598) sprechen
gleichfalls für ein sw. v. I. Daß ein solches Verb
weder im Ahd. noch im Mhd. belegt ist, liegt
wahrscheinlich an der rein umgangssprachl.
Verwendung des Wortes. Literatursprachl.
faßbar ist das Wort erst seit dem 16. Jh. Von
der Grundbedeutung ‚den Mund verziehen,
öffnen‘ aus haben sich die mdartl. Bed. ‚den
Mund zum Grinsen, Lachen‘ und ‚den Mund
zum Weinen verziehen‘ entwickelt.
Ahd. Wb. III, 941 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 1216; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 298; Schützeichel⁵ 135 (flannēndo);
Graff III, 773; Schade 203; Raven, Schw. Verben d.
Ahd. II, 213; Lexer III, 387 (vlans). 399 (flennen-bü-
hel, vlenner); Benecke III, 336 (s. v. vlans); Götz,
Lat.-ahd.-nhd. Wb. 147 (contorquēre); Dt. Wb. III,
1726 (flannen). 1768 f. (flennen); Kluge²¹ 205 (flen-
nen); Kluge²⁴ 300 (flennen); Pfeifer, Et. Wb.² 354
(flennen). — Wilmanns, Dt. Gr. II § 62 (fälschlich zu
lat. plorare gestellt); H. Glombik-Hujer, Dt. Wortf. in
eur. Bez. 5 (1968), 1 ff.
In den germ. Sprachen gibt es zu dem vorwie-
gend mdartl. gebrauchten Wort kaum Verwand-
te, im Westgerm. ist lediglich nostfries. flenten
‚flennen, weinen, ein weinerliches Gesicht ma-
chen‘ überliefert. Für die beiden sw. v. *flennen
und *flannēn ist folgender Entwicklungsweg
möglich: Sowohl iteratives *flanneje/a- als auch
mit stativischem *-ēje/a-Suffix gebildetes *flan-
nēje/a- stammen von einem st. v. III *flinna-,
das neben dem st. v. I *flīna- steht (belegt in
nnorw., schwed. dial. flīna st. v. ‚grinsen, die
Zähne zeigen‘). Ausgangspunkt der Bildung
könnte ein vorurgerm. n-Infixpräsens [**pli-n-
H-]/[**pli-n-ǝ-] zu adj. [**pliH-no-] ‚kahl,
bloß‘ sein. In ahd. *flīnan wäre dann die 1.,
2. Pl. vorurgerm. [**pli-n-ǝ] verallgemeinert
worden, während ahd. *flinnan die 3. Pl. vorur-
germ. [**pli-n-H-] voraussetzt (mit urgerm.
*-nn- < vorurgerm. *-nH-; zu weiteren paral-
lelen Fällen wie urgerm. *īna- ‚gähnen, klaffen‘
neben *inna- ‚klaffen machen‘ oder urgerm.
*kīna- ‚aufbrechen, keimen‘ neben *kinna-
‚aufbrechen‘ vgl. R. Lühr, Mü. Stud. z. Spr.wiss.
35 [1976], 78—81).
Möglicherweise liegt aber in ahd. *flīnan und
*flinnan auch eine onomatopoetische Bildung
vor (wie bei urgerm. *rinne/a- ‚Zähne flet-
schen‘ und *rīne/a- ‚winseln, den Mund ver-
ziehen‘; R. Lühr, a. a. O. 90 Anm. 43).
Verwandte Bildungen sind nnorw. flire ‚kichern,
lachen‘, nschwed. dial. flira ‚kichern‘ (mit itera-
tivem r-Suffix) und nnorw. flisa ‚grinsen, die
Zähne zeigen‘ (mit intensivem s-Suffix).
Fick III (Germ.)⁴ 252; Doornkaat Koolman, Wb. d.
ostfries. Spr. I, 570; Vries, Anord. et. Wb.² 131; Jóhan-
nesson, Isl. et. Wb. 574 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g. nor-
ske sprog I, 441; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord.
66; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. I, 235. 237; Ordb.
o. d. danske sprog IV, 1188; Torp, Nynorsk et. ordb.
120; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 220; Svenska akad.
ordb. F-805.
Unmittelbare außergerm. Anschlüsse fehlen.
Eine Verbindung mit wahrscheinlich denomina-
tivem (onomatopoetischem) lat. plōrō ‚weine‘
(Steinbauer, Et. Untersuchungen 212) ist wegen
des unterschiedlichen Wurzelvokalismus ausge-
schlossen. Winter (Evidence 103) sieht in lat.
plōrō ein urspr. -s-Präs. [**pleH₃-s-], doch
würde man dann Flexion nach der 3. Konjuga-
tion erwarten; vgl. lat. vīsere ‚sehen wollen‘, De-
siderativ zu lat. vidēre ‚sehen‘ (LIV² 666 f.).
Walde-Pokorny II, 93; Pokorny 834; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. II, 324; Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 516. — R. Lühr, a. a. O. 73—92 (zur Problematik
der germ. Resonantengemination); Persson, Beitr. z.
idg. Wortf. 805 Anm. 1.; Schulze, Kl. Schriften 443
Anm. 7.