frâzaAWB f. ō- oder jō-St., nur Gl. 2, 428, 18
(11. Jh.): ‚Hartnäckigkeit, Starrsinn, obstina-
tio‘. — frâzarheitAWB f. i-St., nur Gl. 2, 574, 18
(10. Jh.), wohl auch 557, 11 (11. Jh.; Hs. nur
fra...): ‚Schamlosigkeit, Hemmungslosigkeit,
protervitas‘. S. -heit. — frâzariAWB adj. ja-St., nur in
Gl. seit dem 8./9. Jh.: ‚vermessen, unbesonnen,
schamlos, zudringlich, widerspenstig, halsstar-
rig, contumax, pertinax, procax, protervus, te-
merarius‘ 〈Var.: -ur-, -or- (vgl. Schatz, Ahd.
Gr. § 91. 98. 100), -arr-〉. — frâzarîAWB f. īn-St.,
nur in Gl. seit dem 8./9. Jh.: ‚Vermessenheit,
Schamlosigkeit, Hemmungslosigkeit, Hart-
näckigkeit, luxus, protervia, protervitas, prae-
sumptio, pervicacia‘. — frâzarlîhAWB adj., nur in Gl.
(dat. sg. frazillihemo; s. Mayer, Ahd. Gl.:
Nachträge 100, 4): ‚ausgelassen, procax‘. — frâ-
zarlîcho adv., nur in Gl. (Mayer, Ahd. Grif-
felgl. 29, 10. 34, 28. 35, 23): ‚widerspenstig, per
contumaciam, propter contumaciam‘ 〈Var.: -or-;
-h-〉. — frâzaroAWB adv., nur Gl. 1, 536, 61 (10.-
11. Jh.); 2, 442, 35 (11. Jh.): ‚frech, vermessen,
unverschämt, procaciter‘. — Die Wörter sind im
Mhd. und Nhd. nicht belegt.
Die Länge des Wurzelvokals ist umstritten. Zwar ist
die „konstante[] Schreibung mit einfachem z“ (Hei-
dermanns, Et. Wb. d. germ. Primäradj. 213) kein abso-
luter Beweis für den langen Vokal, aber das Zeugnis
der ae. und afries. Belege (s. u.) behebt alle Zweifel.
Ahd. Wb. III, 1228 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 261; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 326; Starck-Wells 176. 811;
Schützeichel, Glossenwortschatz III, 288 f.; Seebold,
ChWdW8 135; Graff III, 839 f.; Schade 222.
Die ahd. Wörter haben nur im Ae. und viell. im
Afries. Entsprechungen: ae. frǣte ‚verkehrt, un-
sittlich, stolz, hartnäckig, perversus, superbus‘,
frǣtig ‚dss.‘; zu afries. frēta ‚Friedloser, profu-
gus‘ s. u.; sie haben bisher keine befriedigende
Etymologie.
Abzulehnen F. Holthausen, PBB 45 (1921), 297 f.: zu
lat. prēlium ‚Kampf‘ „wenn dies sabin. -l- für lat. -d-
hat“ (vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 369 [proe-
lium]); auch Heidermanns, a. a. O. 213 f.: zur idg. Wz.
*prē- ‚anzünden, entfachen‘ (→ frat) mit einer Grund-
bed. ‚sich (an seiner Umgebung) aufreibend‘.
Aufgrund der Bed. ist eine Zss. mit dem Präfix
fra- (s. d.) zweifellos anzusetzen (vgl. z. B. ahd.
frabâri ‚unbesonnen, zudringlich‘, frabald ‚un-
verschämt, ungestüm‘, und mit dem verwandten
Präfix pro- lat. protervus ‚ungestüm, unver-
schämt‘; zu den verschiedenen Bed. des Präfixes
fra- vgl. Wilmanns, Dt. Gr. II § 124 ff.). Der
zweite Bestandteil, germ. *at-, ist wohl mit aisl.
at n. ‚Kampf, Streit‘, ata f. ‚Streit, Anreizung‘,
ata sw. v. ‚anreizen‘, etja sw. v. ‚hetzen, streiten‘
zu verbinden. Die aisl. Wörter setzen ein germ.
Verb *atjan- oder *atōn- voraus, das von dem
Adverb/der Präposition *at (→ az) abgeleitet
wurde: ‚ein (feindliches) Treffen bewirken‘ (vgl.
ahd. ûfen ‚promere‘ zu ûf, ûzôn ‚excludere‘ zu
ûz, fremmen ‚dar-, vollbringen‘ zu fram usw.; s.
auch Wilmanns, a. a. O. § 37, 4. 47; zum Begriff
der Feindlichkeit, die auch das Präfix *at- besit-
zen kann, vgl. aisl. atfǫr, atganga ‚Angriff‘ [at +
fǫr ‚Fahrt‘, ganga ‚Gang‘]).
Zwar fehlen sonstige sichere Belege für diese
Verbalwz. im Dt. — was an sich nicht überra-
schend ist, zumal die Präp. az schon im Ahd. im
Absterben war. Dennoch kann die Wz. viell.
auch in ahd. azgêr ‚Lanze, Wurfspeer‘ stecken.
Anders als in Band I, wo das erste Element nur
mit dem Adv./der Präp. az verbunden wurde:
‚ein gegen den Feind zu werfender Speer‘ (→ az-
gêr), kann es wegen aisl. atgeirr ‚dss.‘ wohl eher
zur Verbalwz. gestellt werden: ‚ein Angriffs-
speer‘. Diese Wz. könnten auch die nhd. Mund-
artwörter nass. atzen, atzeln ‚raufen, streiten‘,
schwäb. ätzen ‚verspotten‘ enthalten, wenn sie
nicht zu Atzel ‚Elster‘ gehören (→ anazen, das
aber nicht hierher zu stellen ist, denn *ana-atjan
würde im Ahd. als *an[a]ezzen mit Umlaut der
Stammsilbe erscheinen).
Wenn diese Deutung richtig ist, sind die germ.
Wörter auf folgende Weise zu rekonstruieren:
1) ahd. frâza < *frá-atō: ‚ein beharrliches, un-
ablässiges Streiten‘; zur Bed. vgl. ahd. einstrît
‚Hartnäckigkeit, Beharrlichkeit‘, einstrîti ‚wi-
derspenstig, hartnäckig, beharrlich‘ (s. d.) aus
‚in einer Richtung streitend‘. In dieser Zss. (wie
auch in den folgenden) wurde der Vokal des be-
tonten Präfixes mit dem Wurzelvokal des Sub-
stantivs kontrahiert. Die Betonung des Präfixes
ist noch ein Hinweis (neben dem veralteten
Wort az; s. o.) für das Alter der Zss., denn in
den späteren westgerm. nominalen Präfixkom-
posita wird die Betonung, wie bei den Verbal-
komposita, auf die Wurzelsilbe verschoben;
deshalb schwindet der Vokal des unbetonten
Präfixes (→ fravali).
2) ahd. frâzari usw. < *frá-at-ra- ‚ungezie-
mend, ungehörig streitend‘ mit einem adj. r-Suf-
fix wie in got. hlūtrs, ahd. lût(t)ar ‚lauter‘
zur idg. Wz. *leu̯- ‚spülen, rein machen‘ (zum
Suffix vgl. Wilmanns, a. a. O. § 322).
3) ae. frǣte < *frá-at-ja- ‚ungeziemend, unge-
hörig streitend‘.
4) afries. frēta kann aus *frá-at-jan- stammen
und hierher gehören, aber die Bed. wie auch die
afries. Nebenform frētha deuten auf Verwandt-
schaft mit ahd. freid(e)o ‚profugus‘ (s. d.). Viell.
sind hier die beiden Sippen zusammengefallen:
der Friedlose wurde oft auch als Störenfried be-
trachtet (vgl. Helten, Aostfries. Gr. § 124
S. 100 f.). Auch im Ae. sind frǣtgenga ‚aposta-
sia(?)‘, frǣtum ‚fugitivus (-is?)‘ (vgl. Bosworth-
Toller, AS Dict. Suppl. 261; Suppl. II, 28) viell.
auch als durch frǣte beeinflußte volksetym.
Umbildungen von ursprl. *frǣði- (< *frāðja-)
zu ahd. freid(e)o aufzufassen. Der Zusammen-
fall der beiden Sippen scheint also eine anglo-
fries. Erscheinung zu sein.
Holthausen, Afries. Wb.² 31; Richthofen, Afries. Wb.
759; Holthausen, Ae. et. Wb. 114; Bosworth-Toller,
AS Dict. 329 (irrig: fræt, frætig); Suppl. 261 (korr. zu
frǣte, frǣtig); Vries, Anord. et. Wb.² 16. 17. 106; Jó-
hannesson, Isl. et. Wb. 19 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 7. 53.