geisinAWB m./n. a-St., m./f./n. i-St., nur
nom.sg. keisen bei N: ‚Mangel, Dürftigkeit,
Armut; egestas‘. Genus und Deklinations-
klasse können aus dem Ahd. nicht ermittelt
werden. Aufgrund der Wortbildung (s. u.)
liegt der Ansatz als a-St. nahe.
Ahd. Wb. 4, 183 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 294; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 362; Schützeichel⁶ 131; Graff 4, 267;
Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 220 (egestas).
Das im Germ. allein stehende Wort ahd. gei-
sin wird von Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 227 als Substantivierung der Ent-
sprechung des ae. Adj. gǣsne ‚ermangelnd,
beraubt, tot‘, me. gēsŏun, geason ‚selten,
leer‘, ne. veralt. geason ‚erschöpft, selten‘
betrachtet und auf urgerm. *ai̯sna- zurück-
geführt. Jedoch ist ae. gǣsne ein ja-stämmi-
ges Adj. (< westgerm. *gai̯sini̯a-); zur Bil-
deweise vgl. unten. Auch bei dem Ansatz ei-
ner Vorform urgerm. *ai̯sna- mit sekundä-
rer Sproßvokalbildung (westgerm. *gai̯js² >
frühahd. *gaisan > ahd. geisen; vgl. zur Lau-
tung Braune-Reiffenstein 2004: § 65; Schatz
1907: § 48) ergeben sich jedoch Schwierig-
keiten, denn primäre Adj.-Bildungen mit
dem Suffix urgerm. *-na- sind alt (die bin-
devokallose Bildungsweise ist im Germ.
nicht mehr produktiv) und haben in der Re-
gel Entsprechungen in anderen idg. Sprachen
(vgl. etwa ahd. hasan ‚glänzend‘ [s. d.] : lat.
cānus; vgl. Krahe-Meid 1969: 3, § 94).
Es ist somit wahrscheinlicher, daß das ahd.
Wort eine Form mit altem Mittelsilbenvokal
fortsetzt (da es kein Suffix urgerm. *-i/a/uni-
gibt, wäre hierbei der Ansatz als i-St. auszu-
schließen). Eine solche kann auch für das
Ae. angenommen werden (zur Synkope al-
ter Mittelsilbenvokale vgl. Brunner 1965:
§ 159). Für das Ahd. ist als Vokalfarbe die-
ses Mittelsilbenvokals *-a- zu erwarten. Im
Ahd. und As. herrscht zur Bildung vom
Part.Prät. und daraus verselbständigtem Adj.
durchweg die Suffixform urgerm. *-ana-,
nicht *-ina- (zur Verteilung von *-ina- und
*-ana- in den germ. Sprachen vgl. Krahe-
Meid 1969: 3, § 94, 1a). Da im Ae. beide Suf-
fixvarianten vertreten sind (vgl. etwa frühae.
bi-numin ‚genommen < *-ina- : gibæn ‚gege-
ben‘ < *-ana-), spricht nichts gegen den An-
satz eines urgerm. Adj. *ai̯sana- ‚man-
gelnd‘. Im Ahd. wurde dieses Adj. substanti-
viert (‚mangelnd‘ > ‚Mangel‘), im Ae. dage-
gen mit dem Suffix urgerm. *-i̯a- weiterge-
bildet (vgl. zu solchen sekundären Weiter-
bildungen got. fairneis, ahd. firni [s. d.] ‚alt‘
[< *fernii̯a-] : got. fairns, ae. fern ‚vorig‘ [<
*ferna-]; vgl. Krahe-Meid 1969: 3, § 74, 4).
Urgerm. *ai̯sana- ist ein ursprüngliches
Part.Prät. eines nicht weiter fortgesetzten st.
Verbs urgerm. *ei̯se/a- ‚erschrecken‘ (zum
Ansatz eines solchen st. Verbs vgl. LIV² 175:
die germ. Neubildung got. us-geisnan* ‚er-
schrecken‘ [s. u.] hat ihre Vollstufe aus ei-
nem verloren gegangenen Grundverb *gei-
san bezogen).
Eine weitere Adj.-Ableitung von urgerm.
*ei̯se/a- begegnet in urgerm. *ai̯sta- ‚trok-
ken, unfruchtbar‘: afries. gēst, nfries. gaest,
geast ‚trocken und unfruchtbar‘, nndd. gēst
‚trocken, unfruchtbar‘; dazu die Substanti-
vierung mndd. gēst f., mndl., nndl. dial. geest
f. ‚das trockene Land‘; → geist ‚Geist‘.
Verbale Ableitungen erscheinen nur in got.
us-gaisiþs ‚außer sich seiend‘, Part.Prät. zu
einem Inf. usgaisjan* ‚erschrecken‘ (<
*ai̯sii̯e/a-), und got. 1.pl.ind.prät. usgeisno-
dedum, 3.pl.ind.prät. usgeisnodedun, die zu
einem Verb us-geisnan* ‚sich entsetzen‘ (<
*ei̯sne/a-) gehören.
Fick 3 (Germ.)⁴ 134 f.; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 227; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2,
1, 90; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 83 f.; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 2, 1100 f.; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 180; Suppl. 54; Vries, Ndls. et. wb. 188; Et. wb.
Ndl. F-Ka 200; Holthausen, Afries. Wb.² 34; Richtho-
fen, Afries. Wb. 775; Fryske wb. 7, 113; Doornkaat
Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 1, 595; Dijkstra,
Friesch Wb. 1, 436; Holthausen, Ae. et. Wb. 122;
Bosworth-Toller, AS Dict. 357; ME Dict. s. v.; OED²
s. v.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 531 f.; Lehmann,
Gothic Et. Dict. U-52.
Urgerm. *ei̯se/a- < uridg. *ĝhei̯s-e/o- hat
lediglich im n-Infix-Präs. uridg. *ĝhi-né/n-s-
> ved. hinásti ‚verletzt‘ eine Entsprechung.
Nominale Ableitungen sind ved. héṣas- n.
‚Waffe‘ (<*ĝhei̯se/os-), jav. zaēša- ‚schreck-
lich‘ (*ĝhe/oi̯sa-).
Bei Walde-Pokorny 1, 542 ff. und Pokorny 418 f. sind
Wörter unter dem Ansatz *ĝhē-, *ĝhēi- eingeordnet,
die zu drei unterschiedlichen Verbalwurzeln (*ĝheh₁-,
*ĝheh₂[i̯]- und *ĝhei̯s-) gehören.
Walde-Pokorny 1, 542 ff. 548 ff.; Pokorny 418 f.; LIV²
174 f.; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. 3, 595. 611;
ders., Et. Wb. d. Altindoar. 3, 820 f.; Bartholomae, Ai-
ran. Wb.² 1651.
S. geist.