lâchiAWB m. ja-St., in MH, im T, OT und
Gl. 3,9,46 (1. Viertel des 9. Jh.s, bair.): ‚Arzt;
medicus‘ 〈Var.: laahhi〉, im Gl.beleg ist lâ-
chi als Bez. für den Ringfinger ‚medicus
(digitus)‘ gebraucht (so schon Wackernagel
1861: 172), jüngere Wbb. geben nur die Bed.
‚Arzt‘ an. Das Wort begegnet hier neben an-
deren Bez. für einzelne Finger, es ist in der
Kurzform (ohne HG fingar) verwendet. Der
Ringfinger wurde früher bei der Zubereitung
und Anwendung von Arzneimitteln einge-
setzt, ist also nach seiner Funktion benannt.
Doch auch die damals angenommene Heil-
kraft des Ringfingers dürfte für das Benen-
nungsmotiv eine Rolle gespielt haben; vgl.
W. Grimm, KS W. Grimm 1881—87: 3, 442.
Schon im 9. Jh. wird lâchi ‚Arzt‘ durch ar-
zât (s. d.), eine Entlehnung aus mlat. archia-
ter m., völlig verdrängt. — Anders gebildet
sind mhd. lâchenære ‚Besprecher, Zaube-
rer‘ (s. lâchinra), frühnhd. lachner ‚Zau-
berer‘, lachsner ‚Zauberer, Wahrsager‘, nhd.
mdartl. schweiz. lâchsner ‚Quacksalber, He-
xenmeister, Ringfinger‘.
Die Annahme einer Lehnübersetzung von lâchi in der
Bedeutung ‚Ringfinger‘ ist nicht zwingend erforder-
lich, da das Wort germ. ist: ae. lǣce-finger, ne. leech-
finger, aisl. læknis-fingr.
Ahd. Wb. 5, 593 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 508; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 701; Schützeichel⁷ 191; Starck-Wells
358; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 450; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 337; Seebold, ChWdW9
493; Graff 2, 101; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 397
(medicus); Lexer 1, 1809; Frühnhd. Wb. 9, 20. 22
(s. v. lachsnen); Dt. Wb. 12, 32 (lachsner); Kluge²¹ 33
(s. v. Arzt); Kluge²⁵ s. v. Arzt; Pfeifer, Et. Wb.² 63
(s. v. Arzt). — Schweiz. Id. 3, 1045 f. — Heyne 1899—
1908: 3, 175. 178; HDA 5, 885 f.; G. Richter, PBB 88
(Halle, 1966), 258—262. 265; Riecke 2004: 2, 156. 571;
G. Köbler, FS Laufs 2006: 162. 164 f.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
afries. lētza, leitza m. ‚Arzt‘; ae. lǣce st.m.,
einmal auch lǣca sw.m. ‚Arzt, Blutegel‘,
me. lēche (lech, lecche, lache) ‚Arzt, Medi-
zin, Ringfinger, Blutegel‘, ne. leech ‚Blut-
egel‘, veralt. ‚Arzt, Aderlasser‘; adän. læki,
lækæ, ndän. læge, norw. læge; got. lekeis*
‚Arzt; ἰατρός‘: < urgerm. *lēkii̯a-. Daneben
sind im Nordgerm. auch Ableitungen von ei-
ner verbalen Basis belegt: aisl. læknari, læk-
nir m. (zu lækna sw.v. ‚heilen‘), nschwed.
läkare (zu läka v. ‚heilen‘).
Nach Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 673 sind die
anord. Wörter aus dem Engl. entlehnt (zweifelnd Fi-
scher 1909: 22), was sich jedoch nicht erweisen lässt.
Fick 3 (Germ.)⁴ 356 f.; Hofmann-Popkema, Afries.
Wb. 299; Richthofen, Afries. Wb. 890; Holthausen,
Ae. et. Wb. 190; Bosworth-Toller, AS Dict. 606. 607;
Suppl. 599; ME Dict. s. v. lēche n.³; OED² s. v. leech
n.¹; Vries, Anord. et. Wb.² 371 f.; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 1077; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2,
590; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 673; Nielsen,
Dansk et. ordb. 272 (læge¹); Ordb. o. d. danske sprog
13, 330 f. (læge¹); Hellquist, Svensk et. ordb.³ 606;
Svenska akad. ordb. s. v. läka v.; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 329; Lehmann, Gothic Et. Dict. L-35. — Hen-
zen 1965: 132; Bammesberger 1979: 89; Casaretto
2004: 120.
Urgerm. *lēka- ‚Arznei, Heilmittel‘ (belegt
ist nur die Weiterbildung ahd. lâchin [s. d.])
wurde auf einer frühen Stufe als urslaw.
*lěkъ m./*lěka f. entlehnt, das in den einzel-
nen Slawinen bis heute fortgesetzt ist: russ.
leká f., léko n., ukrain. lík m. líka f., bulg.
lěk, serbo-kroat. lȉjek, slowen. lk, tschech.
lék, slowak. liek, poln. lek, osorb., ndsorb.
lěk ‚dss.‘.
Schon seit langem wird in der Literatur dis-
kutiert, ob ahd. lâchi usw. ein Erbwort oder
Lehnwort aus dem Kelt. ist. Vertreter, die
das germ. Wort als ererbt betrachten, ver-
binden urgerm. *lēkii̯a- mit der Wz. uridg.
*leĝ- ‚sammeln, auflesen‘, die verbal in gr.
λέγω ‚sammle, lese‘ usw. (s. lesan) fortge-
setzt ist. Aus der Grundbed. ‚lesen, sam-
meln‘ habe sich im Germ. die Bed. ‚be-
sprechen‘ entwickelt. Abgesehen von einer
nicht trivialen Bed.entwicklung von ‚lesen‘ >
‚besprechen‘ sind auch morphologische Ein-
wände vorzubringen. Schwierig ist die Er-
klärung der Dehnstufe in *lēkii̯a- bei einem
ja-St., die sich allenfalls über ein Wz.nomen
*lēĝ- ‚Sammlung‘ (vgl. lat. lēx ‚Gesetz‘) ver-
mitteln ließe, was aber wiederum von der
Bed. her nicht passt (vgl. Casaretto 2004:
210). Deshalb wird zumeist eine Entlehnung
aus urkelt. *lēgi- angenommen (vgl. z.B. Pe-
dersen [1909—13] 1976: 1, § 20) und das
germ. Wort mit air. lïaig, ält. lieig, gen. le-
go m. i-St. ‚Arzt‘ in Verbindung gebracht.
Aufgrund des abweichenden Wz.vokalismus
kann aber air. lïaig nicht die unmittelbare
Quelle für ahd. lâchi usw. sein. Die Ety-
mologie von air. lïaig selbst ist unsicher.
McCone 1996: 135 führt folgende Vorfor-
men an: nom. lieig < *L´iaγ´ < *Leaγ´ĭ,
das nach NIL 271 Anm. 13 auf ein vorur-
kelt. *h₂lei̯(H)-h₂ĝ-i- weise. Das VG des
verdunkelten Komp. zeige die Wz. *h₂lei̯H-
‚beschmieren‘ und das schwundstufige HG
*-h₂ĝ- gehöre zur Wz. *h₂eĝ- ‚treiben‘. Vo-
raussetzung ist, dass *h₂eĝ- nicht nur ‚trei-
ben‘ bedeutete, sondern auch im Sinne von
‚betreiben, tun‘ verwendet werden konnte.
Air. lïaig wäre dann ‚der beschmieren tut‘ >
‚Beschmierer, Einschmierer‘, eine charakte-
ristische Tätigkeit für den Arzt. Eine ver-
gleichbare Bildung liegt vielleicht in ai. bhi-
ṣáj- ‚Heiler, Arzt‘ < *bhh₂s-h₂aĝ- ‚Heilung
betreibend‘ vor (anders H. Rix, FS Strunk
1995: 246: < *bhh₂s-h₁oĝ- als Komp. aus
*bhh₂-s- ‚*Besprechung > Heilmittel‘ und
dem Wurzelnomen * h₁oĝ- zu *h₁eĝ- ‚spre-
chen‘, doch schließt auch er eine Rückfüh-
rung des HG -aj- auf *h₂eĝ- nicht aus). Für
die lautliche Entwicklung ist air. bïad ‚Nah-
rung‘ zu vergleichen (nach K. McCone, FS
Beekes 1997: 173: < *biaθ < *beaθan <
*bii̯atan < *bei̯atom < *gu̯ei̯h₃-to-m).
Walde-Pokorny 2, 422. 429; Pokorny 658; LIV² 277
(*h₂lei̯H-). 397 (*leĝ-); NIL 267. 271 Anm. 13; Mayr-
hofer, KEWA 2, 502 f. (bhiṣák); ders., EWAia 2, 264 f.
(bhiṣáj); Frisk, Gr. et. Wb. 2, 94 ff. (λέγω); Chan-
traine, Dict. ét. gr. 625 f. (λέγω); Beekes, Et. dict. of
Gr. 1, 841 f. (λέγω); Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1,
789 f. (lēx); Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 353 f. (lēx);
de Vaan, Et. dict. of Lat. 337 (lēx); Berneker, Slav. et.
Wb. 1, 710; Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 14, 192—194;
Et. slov. jaz. staroslov. 411 f.; Bezlaj, Et. slov. slov.
jez. 2, 132; Snoj, Slov. et. slov.² 350 f.; Vasmer, Russ.
et. Wb. 2, 27 f.; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 2, 477 f.;
Schuster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 822 f.; Olesch,
Thes. ling. drav.-polab. 1, 505; Fick 2 (Kelt.)⁴ 251;
Hessens Ir. Lex. 2, 68; Dict. of Irish L-145 f. — Sten-
der-Petersen [1927] 1974: 330—333 (Erbwort, das zu
gr. λέγω usw. gehört); Kiparsky 1934: 205 f.; Elston
1935: 151 f. (mit überholtem grundsprachlichen An-
satz); K. Schier, RGA² 1, 440 f.; Scardigli 1973: 54;
de Bernardo Stempel 1999: 73 Anm. 96; Newerkla
2011: 104.