horoAWB n. a-St., seit dem 3. Viertel des
8. Jh.s in Gl., bei O, N und im Ph: ‚Erde, Brei,
Schlamm, Morast, Schmutz; caenum, fimus,
limus, lutum, -us, paluster, salsugo, stercus,
testa, uligo‘ 〈Var.: hora, -e; -ǒ-; dat.sg. ho-
ruue, akk.sg. horuua〉. Im Nom. und Akk.Sg.
ist -w im absoluten Auslaut zu o vokalisiert
worden. In den obliquen Kasus tritt zwischen
r und w häufig ein Sproßvokal auf, meistens o
(dat.sg. horouue z. B. O) oder a (gen.sg. ho-
rauues z. B. Gl. 1,636,36, 8./9. Jh., alem.),
doch liegt mitunter auch Einfluß des Endsil-
benvokals vor (dat.sg. horeuue N). — Mhd. hor
st. n. ‚kotiger Boden, Kot, Schmutz‘, spätmhd.
auch horb mit b als bilabialer Spirans für w
aus den obliquen Kasus (vgl. Wilmanns 1911:
§ 123), frühnhd. hor n. ‚Kot, Schmutz‘, nhd.
nur noch mdartl.: els. hor n. veraltet ‚Kot,
Schmutz‘, bad., schwäb. hor(b) n. veraltet
‚Kot‘, bair. hor, horw, horb n. ‚Kot‘, meckl.
hor n. ‚Schlamm, Schmutz, Kot‘, auch in ON
und FlurN (in der Bedeutung ‚Sumpf‘):
schwäb. horb (am oberen Neckar), horwiesen,
schweiz. horw, tirol. horlach n., steir. hor,
har(b) ‚Kot, Straßenkot‘, bad. horbächlein,
pfälz. horacker, südhess. horlache f. Teil eines
alten Mainabschnitts, osächs. hor n. Bezeich-
nung für ein nasses Wald- oder Wiesenstück.
Ahd. Wb. 4, 1265 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 402; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 562; Schützeichel⁶ 167; Starck-Wells
285; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 394; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 296 (II); Seebold,
ChWdW8 164; Graff 4, 1000 f.; Lexer 1, 1337 f.; 3,
Nachtr. 246; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 81 (caenum). 376
(limus). 384 (lutum). 627 (stercus); Dt. Wb. 10, 1801. —
Braune-Reiffenstein 2004: §§ 32. 69. 203 (Paradigma
von horo) und Anm. 1. 205; Schatz 1927: §§ 288. 317,
1; Wilmanns [1906—30] 1967: 2, § 183, 3. — Schweiz.
Id. 2, 1592 f.; Martin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. 1, 368;
Ochs, Bad. Wb. 2, 768; Fischer, Schwäb. Wb. 3, 1812 f.;
Schmeller, Bayer. Wb.² 1, 1157; Schatz, Wb. d. tirol.
Mdaa. 301; Unger-Khull, Steir. Wortschatz 356;
Christmann, Pfälz. Wb. 3, 1175; Maurer-Mulch, Süd-
hess. Wb. 3, 709; Frings-Große, Wb. d. obersächs.
Mdaa. 2, 394; Wossidlo-Teuchert, Meckl. Wb. 3, 807. —
Förstemann [1900—16] 1966—67: 2, 1, 1417—1423.
Dem ahd. Wort entsprechen: as. horu, horo
st. n. oder m. ‚Schmutz, Kot‘ (nur im Hel),
mndd. hōr(e) n. ‚Dreck, Unrat, Kot, Mist,
Schlamm, Lehm‘; andfrk. horo n. ‚Schmutz‘,
mndl. hore n. ‚Schlamm, Dreck, Kot‘; afries.
hore n. ‚Schlamm, Kot‘, nfries. hor, hār
‚Dreck, Schlamm‘ und mit gramm. Wechsel
(dazu s. u.) ae. horh ‚Kot, Schmutz, Schleim,
Eiter, Unreinheit‘ mit Erhalt des auslautenden
-h (vgl. Brunner 1965: § 233; anders W.
Schulze, KS Schulze 1933: 113 Anm. 1: Neu-
bildung in Analogie zu feorh feores, mearh
meares) neben späterem horġ mit „umgekehr-
ter Schreibung“ ġ für h (vgl. Brunner 1965:
§ 223 Anm. 1), gen.sg. hore(w)es neben selte-
nem hōres mit Ersatzdehnung nach dem
Schwund des -h- zwischen Konsonant und
Vokal (vgl. Brunner 1965: § 218, 1), me.
hōr(e), hori(e), heore ‚dss.‘; aisl. horr m.
‚Schmutz, Nasenschleim‘, nisl. hor ‚dss.‘.
Ahd. horo und die anderen westgerm. Wörter
mit Vokal im Auslaut erweisen eine Vorform
westgerm. *χorwa- (mit Verallgemeinerung
von westgerm. *w aus urgerm. *u̯ mit Verlust
von * vor hellem Vokal der obliquen Kasus;
vgl. ahd. gen.sg. horowes < urgerm.
*χuru̯esa) < urgerm. *χuru̯a-. Ae. horh und
wohl auch aisl. horr sind dagegen aus west-
germ. *χorχa- mit Schwund des labialen Ele-
ments (vgl. Brunner 1965: § 228 Anm. 3) <
urgerm. *χurχu̯a- entstanden. Die Fortsetzung
der stimmhaften Variante ist für das Aisl. auf
jeden Fall auszuschließen, da dann aisl.
*horgr zu erwarten wäre (vgl. Schaffner 2001:
219).
Bereits E. Sievers (PBB 9 [1884], 232) hatte
wegen des Ae. — nämlich Nom.Sg. horh, aber
Gen.Sg. hor(e)wes — ein urspr. Paradigma mit
gramm. Wechsel urgerm. *χurχu̯a- : *χuru̯a-
angenommen. Doch ist das Nebeneinander
von ae. Nom.Sg. horh < urgerm. *χurχu̯a und
Gen.Sg. hor(e)wes < urgerm. *χuru̯esa
schwer zu erklären, da das Vernersche Gesetz
nicht mehr einzelsprachlich wirkt. Deshalb
schlägt Schaffner 2001: 220 die Annahme von
zwei synonymen Wörtern unterschiedlicher
Stammbildung vor, die sich erst im Lauf der
englischen Sprachgeschichte angenähert ha-
ben: urgerm. *χurχa- > ae. horh und urgerm.
*χuru̯a-, das in den obliquen Kasus mit -w-
fortgesetzt ist (zur gesamten Problematik von
ahd. horo usw. vgl. Schaffner 2001: 217—221).
Fick 3 (Germ.)⁴ 95; Holthausen, As. Wb. 36; Sehrt, Wb.
z. Hel.² 270 f.; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 193; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 354; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 2, 299 f.; Quak, Wortkonkordanz zu d. am.-
u. andfrk. Ps. u. Gl. 93; Quak, Die am.- u. andfrk. Ps. u.
Gl. 200; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 3, 590; Holthau-
sen, Afries. Wb.² 46; Richthofen, Afries. Wb. 826; Fry-
ske wb. 9, 35; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr.
2, 104; Holthausen, Ae. et. Wb. 170; Bosworth-Toller,
AS Dict. 553; Suppl. 559; ME Dict. s. v.; Vries, Anord.
et. Wb.² 249; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 124. —
Holthausen 1921: § 281; Brunner 1965: § 234.
Urgerm. *χurχu̯a- : *χuru̯a- ist mit Beibehal-
tung des Akzentwechsels auf vorurgerm.
*kku̯o- : *kku̯ó- rückführbar. Die Tiefstufe
des Germ. könnte aus einem urspr. kollektiven
Plural uridg. *kku̯á-h₂ stammen (Schaffner
2001: 220). Eine andere Ablautstufe setzen ai.
kalká- m. ‚Schmutz, Teig, Paste, Sünde‘ und
air. corc-ach f. ‚Sumpf‘ < uridg. *korku̯o- fort.
Die Verwandtschaft mit ai. kalká- kann aber
nur aufrecht erhalten werden, wenn unetymo-
logisches l für r eingetreten ist; vgl. ai. álam
‚passend, genug‘ neben áram, babhluśá-
‚bräunlich‘ neben babhruśá- (Wackernagel
[1896—1964] 1957—87: 1, § 193). Der Ansatz
eines uridg. Labiovelars ergibt sich aus dem
Germ.
Walde-Pokorny 1, 409. 429; Pokorny 573; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. 1, 183; ders., Et. Wb. d. Altindoar. 2,
210; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. C-208; Dict. of
Irish C-477. — R. Much, ZDA 42 (1898), 169.