êr¹AWB adv., konj., präp., seit dem 8. Jh.: ‚eher,
früher, einst, vorher, zuvor, jemals, erst, lie-
ber, vielmehr; ehe, bevor; bis, vor, bis zu; an-
tea, ante, prius, dudum; cum, priusquam‘
〈Var.: aer, ær, ęr, ehr, eer, e, her〉; êrôr adv.,
nur Gl. 2, 38, 47 (Trier 17 F, 12. Jh.): ‚früher,
ante‘. Während ahd. êr die lautgesetzliche Ver-
tretung darstellt (s. u.), ist êrôr ein in Analogie
zur Steigerung der Adjektivadverbia neu gebil-
deter Komp. — Mhd. ê(r) adv. ‚früher, vor-
mals‘, konj. ‚eher, als, bis‘, präp. mit Dat.,
Gen. ‚vor‘, nhd. eh(e), eher (→ êriro). Die r-lo-
se nhd. Form zeigt Schwund von -r nach Lang-
vokal wie in dâ, wâ neben dâr, wâr (s. d.). Die
Konjunktion entstand aus dem älteren Adv. in
der Bedeutung ‚vorher‘ in Sätzen wie: ich gehe
nicht; vorher kommt er > ... ehe er kommt (Be-
haghel, Dt. Syntax III, 166 ff.).
Ahd. Wb. III, 323 ff. 429; Splett, Ahd. Wb. I, 185;
Schützeichel⁴ 102; Starck-Wells 129. 804; Graff I,
434 ff.; Schade 141; Lexer I, 605; Benecke I, 437; Die-
fenbach, Gl. lat.-germ. 37 (antea). 460 (prius, prius-
quam); Dt. Wb. III, 46 ff.; Dt. Wb.² VII, 106 ff.
140 ff.; Kluge²¹ 152; Kluge²² 166; Pfeifer, Et. Wb.
330.
Ahd. êr entsprechen: as. ēr adv. ‚früher, ehe,
vorher‘, konj. ‚ehe, bevor‘, präp. ‚vor‘, mndd.
ēr, eir (ērer mit neuer Komparativendung) adv.
‚früher‘, konj. ‚ehe‘, präp. mit Dat. ‚vor‘ (in fe-
sten adverbialen Wendungen auch mit Gen.: ēr-
tīdes ‚früher‘, ērdāges ‚früher, vordem‘); mndl.
eer(e), ere, ee ‚früher, eher‘, nndl. eer ‚früher,
eher; bevor, ehe‘ (eerder als Neubildung, noch
nicht bei Kiliaan), eerdaags ‚gestern‘ (vgl. mndl.
eerstdaags); afries. ēr adv. ‚eher, früher, vorher‘,
konj. ‚bevor, ehe‘, präp. ‚vor‘, nostfries. ēr
‚eher, vordem, früher, vormals‘ (ērer, ērder; zu
-(d)er s. o.), nwestfries. ear’t ‚priusquam, ante-
quam‘; ae. ǣr, ār adv. ‚früher, bevor‘, konj.
‚ehe, bevor, bis‘, präp. ‚vor‘, me. ēr, er ‚dss.‘,
ne. ere ‚dss.‘ (vgl. ne. early); aisl. ǽr ‚früher‘: <
Kompar. *airiz. Auch got. air in air uhtwon
‚πρωὶ ἔννυχον‘ weist auf einen Kompar., da an-
ders als in air þis dagis (→ êrackar) der Dat. als
Ersatz des Ablativus comparationis steht. Der
Schwund von *-iz in *airiz und daher der Zu-
sammenfall mit dem Positiv ist lautgesetzlich;
zum i-Schwund nach langer Silbe vgl. got. mins
‚weniger‘ < *minniz; und zum Wandel von
*-rz > -r vgl. got. stiur; → stior (G. Neckel,
Zfvgl.Spr. 50 [1922], 50; anders W. Horn, in
Behaghel-Festschrift [1924], 64: *-iz in got. air
‚früher‘ sei aufgrund seiner fehlenden Funktion
geschwunden). Got. airis ‚eher, früher‘ geht da-
gegen auf eine Vorform *airjaz zurück (Ost-
hoff-Brugmann, Morph. Unters. VI, 277;
Kieckers, Handb. d. vgl. got. Gr. 168) — -is an-
stelle von -eis beruht wie in got. andiz- (andizuh
‚entweder‘; → enti²) auf Angleichung an den
kurzsilbigen Typ framis ‚weiter‘ (R. Lühr, Mü.
Stud. z. Spr.wiss. 38 [1979], 151 Anm. 98; anders
Kluge, Urgerm.³ 247: -i- sei unter dem Einfluß
des Adj. airiza hergestellt; → êriro). Der zugrun-
deliegende Positiv tritt in ahd. êrackar (s. d.) auf.
Die dem Lautwandel von *-rz > -r scheinbar wider-
sprechenden Bildungen got. hors ‚Hurer‘, skeirs ‚hell‘,
swers ‚geehrt‘, gaurs ‚betrübt‘, gafaurs ‚gesittet‘ (ge-
genüber wair ‚Mann‘, ainabaur, frumabaur ‚der Ein-
geborene, Erstgeborene‘, stiur ‚Stier‘, unsar ‚unser‘,
izwar ‚euer‘, ƕaþar ‚wer von beiden‘, anþar ‚anderer,
zweiter‘, fidwor ‚vier‘ [wenn nicht n.], Saur ‚Syrer‘)
haben ein nach dem Nom. Sg.m. der Adjektive analo-
gisches -s (Lühr, Stud. z. Hildebrandlied 465).
Fick III (Germ.)⁴ 3; Holthausen, As. Wb. 16; Wad-
stein, Kl. as. Spr.denkm. 180; Sehrt, Wb. z. Hel.²
104 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 99; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 576; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. I, 711 f.; Verdam, Mndl. handwb. 158 f.; Franck,
Et. wb. d. ndl. taal² 149; Vries, Ndls. et. wb. 150;
Holthausen, Afries. Wb.² 20; Richthofen, Afries. Wb.
710; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 402;
Dijkstra, Friesch Wb. I, 311; Holthausen, Ae. et. Wb.
12; OED² V, 23 f. 364 f.; Bosworth-Toller, AS Dict.
17. 48; Suppl. 17 f.; Suppl. II, 2; ME Dict. E-F,
211 ff.; Vries, Anord. et. Wb.² 681; E.A. Kock, Nota-
tiones norrønæ (Lund, 1923 ff.) § 2348; Jóhannesson,
Isl. et. Wb. 1; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 6;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 8; Torp, Nynorsk et.
ordb. 13; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 31; Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 24 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. A-83.
Fern bleibt aisl. áðr ‚ehe, eher‘; → âtar.