bitten st. v. V. (-j-Präs.) ‚bitten, erbitten,
flehen, (an)beten (selten), petere, rogare, orare‘
〈präs. bitt-, pitt-, bit-; prät. bat(-), pat(-) (die
Länge ist im Pl. nicht bez., nur einmal 2.sg.
pâte, Notker); part. prät. ga-, ka-, gi-betan,
-petan〉. — Mhd. bit(t)en; nhd. bitten.
Ahd. Wb. I, 1140 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 71; Schütz-
eichel4 77; Starck-Wells 61. 793; Graff III, 51 ff.;
Schade 70; Lexer I, 286; Benecke I, 168 ff.; Dt. Wb.
II, 51 ff.; Kluge21 80; Kluge22 88; Pfeifer, Et. Wb.
179. — Zur spätahd. und mhd. Vereinfachung der Ge-
mination s. Braune, Ahd. Gr.14 § 344 Anm. 2.
Entsprechende Verben kommen in allen germ.
Sprachen vor, durchwegs mit der Bed. ‚bitten‘,
got., ae., aisl. auch mit der Nebenbed. ‚beten‘
(vgl. Wißmann, Nomina postverb. 99 ff.): as.
biddjan, mndd. bidden; andfrk. biddon
1.sg.präs. ‚deprecor‘ (Helten, Aostndfrk. Psal-
menfragmente, Ps. 63, 2; Gramm. § 91), mndl.
nndl. bidden; afries. bidda, nfries. bidde(n); ae.
biddan, me. bidden (ne. bid ‚[an]bieten, gebie-
ten, einladen, [Gruß] entbieten‘ ist schon früh
mit Reflexen von me. bēden, ae. bēodan ‚anbie-
ten, gebieten‘ zusammengefallen → biotan); aisl.
nisl. biðja, nnorw. be, bede, ndän. bede,
nschwed. bedja (aus dem Skand. entlehnt lapp.
[norw.] biddet); got. bidjan (einmal bidan, auch
einmal ohne -j- in der Zss. us-bida 1.sg.präs.;
diese Formen sind wohl nach Streitberg, Got.
El.buch § 208 wie sitan, ligan durch System-
zwang entstanden und nicht, wie Walde-Po-
korny II, 139 angeben, urspr. ‚Aoristpräs.‘ der
ersten Ablautreihe; s. u.).
Fick III (Germ.)4 258. 270; Seebold, Germ. st. Verben
91 ff.; Holthausen, As. Wb. 7; Sehrt, Wb. z. Hel.2
49 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 50; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 272; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
330 f.; Verdam, Mndl. handwb. 97; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal2 62 f.; Vries, Ndls. et. wb. 55; Holthausen,
Afries. Wb.2 9; Richthofen, Afries. Wb. 632; Doorn-
kaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 161; Dijkstra,
Friesch Wb. I, 109; Holthausen, Ae. et. Wb. 22; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 99; Suppl. 90; ME Dict. A—B,
801 ff.; OED2 II, 173; Oxf. Dict. of Engl. Et. 93;
Vries, Anord. et. Wb.2 35; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
604; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 15; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 66; Torp, Nynorsk et. ordb.
23; Hellquist, Svensk et. ordb.3 34 f.; Haugen, Norw.-
Engl. Dict. 69; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 89; Leh-
mann, Gothic Et. Dict. B-42.
Das Wort hat keine sichere Etymologie. Unter
den zahlreichen etym. Versuchen verdienen drei
eine nähere Überprüfung:
1) Urg. *iđjan- habe urspr. zur ersten Ablautreihe ge-
hört: *iđjan-: *aiđ-: *iđum-: *iđan-, also zur
Wz. *bhei̯dh- ‚jemandem zureden, zwingen‘, und sei
mit gr. πείθω ‚überrede, überzeuge‘, πείθομαι ‚lasse
mich überreden, vertraue‘; lat. fīdo ‚(ver)traue, ver-
lasse mich auf‘ usw. verwandt. Zu dieser Sippe scheint
auch germ. *aiđjan- ‚zwingen, drängen, fordern‘ zu
gehören (→ beiten), das aber lautlich eine Kausativbil-
dung zu germ. *īđan- ‚harren, warten‘ sein könnte
(wohl auch zu idg. *bhei̯dh-), obgleich die Bed.ent-
wicklung trotz H. Osthoff, PBB 8 (1882), 140 ff. alles
andere als durchsichtig ist (→ bîtan). — So u. a. Walde-
Pokorny II, 139 f. (*aiđjan- und *īđan- werden aber
von dieser Sippe getrennt); Kluge21 80; Jóhannesson,
a. a. O.; Holthausen, a. a. O.; Torp, a. a. O.; Hellquist,
a. a. O.; Vries, Anord.2 35 (unsicher); Fick III (Germ.)4
270 (unsicher; anders 258, s. u.).
Gegen diese Deutung spricht die Tatsache, daß im
Germ. sonst kein -j-Präs. in der ersten Ablautreihe
vorkommt (wenn aber andererseits dieses Verb tat-
sächlich das einzige -j-Präs. dieser Reihe war, hätte
das den Übergang in die fünfte Reihe, wo solche Ver-
ben vorhanden waren, sicher gefördert). Auch Ablei-
tungen wie ahd. beta ‚Gebet‘ (s. d.) weisen entweder
auf einen urspr. Wurzelvokal e oder eine sehr frühe
Ablautentgleisung. Semantisch ist jedenfalls eine Ent-
wicklung von ‚zwingen‘ über ‚fordern‘ zu ‚bitten‘ nicht
ohne Parallelen: vgl. aisl. beiða ‚fordern, bitten‘ neben
got. baidjan ‚zwingen‘; oder nfrz. demander ‚bitten,
verlangen‘ (ne. demand nur ‚verlangen, fordern‘) < lat.
mandāre ‚befehlen‘.
2) Urgerm. *iđjan- sei auf eine Wz. *bhedh- ‚krüm-
men, beugen, drücken‘ zurückzuführen, die durch
aind. bdhate ‚drückt, drängt, zwingt‘, bādhá- m. ‚Be-
drängnis‘ — und in diesem Zs.hang noch wichtiger —
ved. jñu-bdh- ‚die Knie beugend‘ bezeugt wird, denn
mit dieser ved. Bildung werden as. (fallan an) knio-be-
da, ae. (feollan on) cnēow-gebedum und aisl. (falla á)
kné-beð‘ ‚(zum Gebet) auf die Knie fallen‘ gleichge-
setzt. — So u. a. H. Kern, Tijdschrift 1 (1881), 32 ff.;
J. Vendryes, Philologica 1 (1921—22), 235; Pokorny
114; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 425 f.; ders.,
Et. Wb. d. Altindoar. II, 222; Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. I, 493 ff.; Feist, a. a. O. (unsicher); Lehmann,
a. a. O. (unsicher); Fick III (Germ.)4 258 (unsicher; an-
ders 270, s. o.).
E. Seebold, Zfvgl.Spr. 81 (1967), 113 hat mit Recht
bezweifelt, ob der Vergleich mit jñu-bdh- gültig ist:
erstens stimmen die Wurzelvokale nicht überein, und
zweitens ist es sehr wohl möglich, daß das zweite Ele-
ment der germ. Zss. einfach ‚Gebet‘ und nicht etwa
‚Beugung‘ bedeutete (er vergleicht Ausdrücke wie as.
fallan te bedu an kneo usw. ‚zum Gebet hinknien‘). Al-
lerdings wäre selbst ohne diese Stütze der Vergleich
von *iđjan- mit bdhate weder lautlich noch seman-
tisch (‚bedrängen‘ > ‚bitten‘?) ganz ausgeschlossen.
Die ältere, semantisch ansprechendere Deutung: ‚bit-
ten‘ < ‚sich (vor jemandem) beugen‘ wird aber da-
durch in Frage gestellt, daß für die Wz. *bhedh- nur
die Bed. ‚drücken, drängen‘ gesichert sind (alle ande-
ren Vergleiche sind unsicher: alb. bint ‚überrede, brin-
ge durch Zwang zum Geständnis‘, bindem ‚willige ein,
beuge mich, gestehe auf der Folter‘ wird von Walde-
Hofmann, a. a. O. hierher, dagegen von Brugmann,
Grdr.2 I, 536 zur Wz. *bhei̯dh- gestellt, ganz anders
Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr. 36; auch hierher nach
Fraenkel, Lit. et. Wb. 29. 38 lit. bãdas, lett. bads ‚Hun-
ger‘; lit. bedà, lett. będa ‚Not, Sorge, Kummer‘; anders
Walde-Hofmann a. a. O.).
3) Urgerm. *iđjan- gehe auf die idg. Wz. *gu̯hedh-
‚bitten, verlangen‘ zurück und sei mit av. jaiδiiemi,
apers. jadiyāmiy ‚ich bitte‘; gr. aor. θέσσασθαι ‚anfle-
hen‘, ποθέω ‚ersehne‘; air. guidiu ‚ich bitte‘; aksl. (mit
durchgef. Nasalierung) žęždǫ, žędati ‚begehren, dür-
sten, verlangen‘ verwandt. Diese schon von Bezzenber-
ger, BB 16 (1890), 252; A. Fick, ebd. 289; ders., I
(Idg.)4 39. 415; II (Kelt.)4 110 (unsicher); O. Hoff-
mann, BB 18 (1892), 153 f.; Prellwitz, Et. Wb. d. gr.
Spr. 120 vorgeschlagene und unlängst von E. Seebold,
Zfvgl.Spr. 81 (1967), 12 f.; ders., Germ. st. Verben 92 f.
der Vergessenheit entrissene Erklärung beruht auf ei-
nem angeblichen Lautwandel: anl. idg. *gu̯h- > germ.
*- außer vor u. Trotz Seebolds gründlicher Untersu-
chung entdeckt er nur drei parallele Fälle, die er als ‚si-
chere Beispiele‘ präsentieren kann: urgerm. *renn-a-
‚brennen‘ (→ brinnan), *anjō ‚Wunde‘/ *anōn
‚Mörder‘ (→ bano) und *rǣ- ‚riechen‘ (→ brâdam) —
und selbst diese Fälle sind nicht über allen Zweifel er-
haben. Somit muß diese semantisch befriedigende Ety-
mologie als sehr unsicher gelten. (A. Meillet, BSLP 24
[1924], Comptes rendues 23 f. und A. Cuny, Rev. des
ét. anc. 12 [1910], 10 ff. versuchten, die lautlichen
Schwierigkeiten zu umgehen, indem der erstere eine
Wurzelmischung im Germ. zwischen *gu̯hedh- und
*bhei̯dh- und der letztere eine germ. Entlehnung aus
dem Kelt. annahm; wenig überzeugend.)