blôz adj., nur Gl. 3, 5, 10, Voc. St. Galli,
8. Jh.: plooz, wo es das Lemma superbus
(‚stolz‘) glossiert. Es ist merkwürdig, daß das
Wort im Ahd. sonst gar nicht auftritt, auch im
As. nicht, aber mhd. blôz — wie auch mndd.
blōt — reichlich vorhanden ist, mit einer ganz
anderen Bed.: ‚bloß, nackt, entblößt‘ (dafür
ahd. as. bar, s. d.); nhd. bloß.
Ahd. Wb. I, 1225 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 1211; Starck-
Wells 67; Graff III, 259; Schade 77; Lexer I, 312 f.;
Benecke I, 212; Dt. Wb. II, 144 ff.; Kluge²¹ 86; Klu-
ge²² 93; Pfeifer, Et. Wb. 190; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 299 f.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
363 f.
Verwandte Wörter kommen auch außerhalb des
Dt. vor, manchmal mit etwas abweichender
Bed.: mndl. nndl. bloot ‚bloß usw.‘; afries. blāt
‚bloß, arm‘, nostfries. blōt ‚nackt, entblößt; al-
lein, nur‘; ae. blēat adj., blēate adv. (Beowulf
2824) ‚elend‘, me. blēt ‚bloß, nackt‘ (me. bloute,
blōte ‚weich‘, ne. veraltet blout, blowt ‚weich,
weibisch‘, heute bloated ‚aufgeblasen‘ im wörtl.
und bildl. Sinn, s. u., sind skand. Entlehnungen:
s. Björkman, Scand. Loanwords 69; problema-
tisch bleibt schott. blout ‚bare, naked, forsa-
ken‘, das der Form nach den skand. Wörtern,
der Bed. nach den dt. und ndl. entspricht: s.
Flom, Scand. Infl. 29); aisl. blautr ‚weich,
schwach, furchtsam‘, auch ‚durchnäßt‘ (Egilssa-
ga), nisl. blautur, nnorw. blaut, nschwed. blöt,
ndän. bløt (in den nskand. Sprachen ist mit ei-
ner gegenseitigen Beeinflussung der Sippen
germ. *lauþ- und *laut- zu rechnen; → blô-
di); aus dem Skand. entlehnt lapp. (schwed.)
lāuhtas, lāktas ‚feucht, weich‘, lapp. (norw.) lāv-
tas ‚naß‘ (s. B. Collinder, APS 7 [1932—33],
220). Das Wort ist im Got. nicht belegt.
Fick III (Germ.)⁴ 287; Verdam, Mndl. handwb. 104 f.;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 74; Vries, Ndls. et. wb.
67; Holthausen, Afries. Wb.² 9; Richthofen, Afries.
Wb. 652; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I,
191 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 26; Bosworth-Toller,
AS Dict. 108; Suppl. 96; ME Dict. A—B, 971. 994;
OED² II, 314; Vries, Anord. et. Wb.² 43; Jóhannes-
son, Isl. et. Wb. 642; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awest-
nord. 19; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 85 f. (s. v.
blot); Torp, Nynorsk et. ordb. 27; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 51. — Lühr, Expressivität 267 f.
Diese Wörter, die auf urgerm. *lau-t- zurück-
gehen, sind wohl mit ahd. blôdi ‚schwach‘ <
*lau-þ- eng verwandt; zur (umstrittenen) Ety-
mologie → blôdi (entweder zu gr. φλυδάω ‚flie-
ße über, zerfließe, werde weich‘, φλυδαρός
‚matschig‘ oder zu gr. φλαῦρος, φαῦλος ‚schlecht,
geringfügig, ärmlich‘).
Die stark abweichende Bed. des vereinzelten
ahd. Beleges — wenn es sich nicht um eine fehler-
hafte Übersetzung oder ein zum falschen Lem-
ma gestelltes Interpretamentum handelt — ist un-
terschiedlich erklärt worden. Nach F. Holthau-
sen, Zfvgl.Spr. 73 (1955—56), 97 ist ahd. blôz
nicht identisch mit mhd. blôz und dessen Ver-
wandten, sondern geht unabhängig von diesen
auf die Wz. *bhleu̯- ‚aufblasen, schwellen usw.‘
zurück und bedeutete ursprl. ‚aufgeblasen‘; ähn-
lich schon F. A. Wood, MLN 15 (1900), 327,
als éine Möglichkeit. Nach Wood wäre auch
eine Entwicklung aus der Bed. ‚naß, weich, wei-
bisch‘ (auch zur Wz. *bhleu̯-, in der Bed. ‚über-
wallen, fließen‘) möglich. Sowohl die eine wie
die andere Erklärung findet viell. eine Parallele
in ne. bloated (s. o.), das von dem früheren
blout, blowt ‚weich, weibisch‘ nicht zu trennen
ist, aber auch viell. von dem Verb blow ‚blasen‘
beeinflußt wurde (vgl. Skeat, Et. Dict. of Engl.
64). Anders Trübners Dt. Wb. I, 372 f.; Wei-
gand, Dt. Wb.⁵ I, 256: aus einer Urbed. ‚leer‘,
wie nhd. eitel — und auch schon lat. vānus.
Wie dem auch sei, das Verschwinden des Wor-
tes nach dem 8. Jh. und dessen Wiedergeburt im
12. Jh. bleibt immer noch unerklärt. Da mhd.
blôz zum ritterlich-höfischen Wortschatz ge-
hört, u. a. die Bed. ‚entwaffnet‘ hat und schon
bei Heinrich von Veldeke vorkommt, handelt es
sich viell. um ein ans hochdt. Lautsystem ange-
glichenes neues Lehnwort aus dem Niederdt. (so
auch Trübners Dt. Wb., a. a. O.), das an die Stel-
le des einheimischen(?), viell. zur Volkssprache
gehörigen und deshalb ahd. nicht belegten Wor-
tes blut(t) trat. Dieses Wort, das mit der Bed.
‚bloß, leer‘ erst in spätmhd. Schriften erscheint
und heute in süddt. Mdaa. und am Rhein weit
verbreitet ist, kann nicht einfach als ‚Variante‘
von ndd. blôt gelten — es kommt fast ausschließ-
lich in hochdt. Mdaa. vor (s. u.) —, sondern ist
mit langob. bluttare ‚plündern‘ eng verwandt, ei-
ner latinisierten Form von echtlangob. *bluttan,
wohl aus urg. *luþjan, das mit got. blauþjan
‚abschaffen‘ im Ablaut steht (→ blôdi); aus dem
Langob. entlehnt italien. biotto ‚armselig, elend‘
(venet. lomb. mant. biot) — kaum aus dem Got.,
wie Gamillscheg, Romania Germ. II, 17; Mey-
er-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 1161 behaupten.
Mhd./nhd. blut(t) ist wahrsch. ein Partizipial-
adj. auf idg. *-to- zum obenerwähnten germ.
sw. Verb *luþjan, wie ahd. skant ‚beschämt‘
zu skamên, (h)was ‚scharf‘ (< *hwat-ta-) zu
(h)wezzen (< *hwatjan) (s. d. d.). Vgl. auch
mndl. (holl.) blut ‚alles verloren habend‘ (auch
bluts, blutsch).
Bruckner, Spr. d. Langob. 202 (Wb.). § 20. 45. 72. 94
Anm. 5. 110 Anm. 1; Rhee, Germ. Wörter in langob.
Gesetzen 41; Vries, Ndls. et. wb. 68; Wb. d. ndl. taal
II, 2933; Lexer I, 319; Schweiz. Id. V, 210 ff.; Ochs,
Bad. Wb. I, 275 f.; Fischer, Schwäb. Wb. I, 1236; Jutz,
Vorarlberg. Wb. I, 398; Schmeller, Bayer. Wb.² I, 333;
Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. III, 504 f.;
Schöpf, Tirol. Id. 47 f.; Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 93;
Follmann, Wb. d. dt.-lothr. Mdaa. 52; Crecelius,
Oberhess. Wb. 179; Müller, Rhein. Wb. I, 813; Christ-
mann, Pfälz. Wb. I, 1051; Maurer-Mulch, Südhess.
Wb. 971; Vilmar, Id. von Kurhessen 45.
Weder die Behauptung von Fischer, a. a. O., blutt sei
„nur süddeutsch“, noch die von Trübners Dt. Wb. I,
372 f., das Wort sei sowohl obd. wie auch ndd. weit
verbreitet, scheint zu stimmen. blutt ist in den meisten
süddt. und westmitteldt. Mdaa. bekannt, wird aber
von keinem nddt. Wb. bezeugt, außer Bretschneider,
Brandenb.-berlin. Wb. I, 646, wo zwei Beispiele als
Varianten von bloot angegeben werden. Das manch-
mal zu blutt gestellte schwed. blott ‚federlos, unbe-
kleidet‘ wird von Hellquist, Svensk et. ordb.³ 81 als
Lehnw. aus mndd. blōt mit Kürzung wie in grott ‚groß‘
< mndd. grōt erklärt.
Mhd. blôz wurde schon im 12. Jh. ins Afrz. ent-
lehnt als blo(u)s ‚dénué, privé de‘ und im 13. Jh.
auch als Adv. ‚seul, simplement‘ gebraucht — was
einen früheren Gebrauch als Adverb auch im
Deutschen nahelegt, als bisher angenommen
wurde: vgl. Trübners Dt. Wb., a. a. O.; Weigand,
a. a. O. („adv. bloß mhd. noch nicht vorhanden,
erst in den Fastnachtssp. und bei Kaisersberg“);
auch aprov. blos ‚pur, sans mélange‘ (du vin);
vgl. Wartburg, Frz. et. Wb. I, 415; XV, 1, 170;
Godefroy, Dict. de l’anc. langue franç. I, 664;
Tobler-Lommatzsch, Afrz. Wb. I, 1006.