dîhan st. v. I, vom 10. Jh. an: ‚gedeihen;
ausrichten, erreichen, glücken, werden (zu),
crescere, proficere, pollere; vorrücken, weiter-
kommen, procedere‘ 〈Var.: t-; -ieh-, -ihh-;
-en, -in; dien; tien〉. — Mhd. dîhen, nhd. gedei-
hen. Im Frühnhd. erscheint das Simplex deihen
z. B. bei Hans Sachs, B. Waldis, J. Ayrer. Der
Geltungsbereich der einstmals großen ahd.
Wortfamilie ist im Nhd. sehr klein geworden.
Eine Neubildung zu der in der Hochsprache
allein geltenden Präfixbildung gedeihen, die im
17. Jh. das Simplex deihen verdrängt hat, ist
das Part. gediehen mit Beseitigung des gram-
matischen Wechsels (s. u.), während das alte
Part. gediegen ausschließlich adjektivisch ver-
wendet wird.
Splett, Ahd. Wb. I, 135; Schützeichel⁴ 89; Starck-
Wells 98 f.; Graff V, 105 ff.; Schade 102; Heffner,
Word-Index 32; Tatian 470 f.; Sehrt-Legner, Notker-
Wortschatz 104; Otfrid (Kelle) III, 614 f.; Williram
(Seemüller) 81; Ch. Donath, PBB 84 (Halle, 1962),
445 ff.; Lexer I, 432; Benecke I, 329; Dt. Wb. II,
909 f.; IV, 1, 1, 1986. 2020; Dt. Wb.² VI, 564; Kluge²¹
238; Kluge²² 250; Pfeifer, Et. Wb. 516; O. Meisinger,
Zfdt. Mdaa. 3 (1908), 204.
Gegenüber der Hochsprache ist das Verbum simplex
deihen mitsamt Ableitungen in den Mundarten zum
großen Teil noch erhalten: bad., vorarlberg. deihen;
bair. deihen ‚austrocknen und dadurch dichter wer-
den, in einen engeren Raum zusammengehen‘; kärnt.
deich⋅n, gedeich⋅n; tirol. dein; rhein. deihen, gedeihen;
südhess., siebenbürg.-sächs. deihen; lüneb. de⋅i’n;
nndd. diehen (dîîn), diegen (mit g als Übergangslaut),
dien. Nur das Partizip, das Präfixverb oder substanti-
vische und adjektivische Ableitungen sind bezeugt im
Falle von: schwäb. digen ‚gediegen‘; schweiz. ge-, gi-
deihen (neben drüǝjǝ); lothr. deih [dáï] m. ‚Gedeihen‘;
nassau. deihsam ‚Gedeihen bringend‘; thür. gedeihen;
westf. dêge ‚gediegen, gut‘.
Schweiz. Id. XII, 1201 ff.; Ochs, Bad. Wb. I, 452.
481; Fischer, Schwäb. Wb. II, 133. 205 f.; Jutz, Vor-
arlberg. Wb. I, 549; Schmeller, Bayer. Wb.² I, 497 f.;
Lexer, Kärnt. Wb. 56; Follmann, Wb. d. dt.-lothr.
Mdaa. 83; Müller, Rhein. Wb. I, 1308 f.; Kehrein,
Volksspr. u. Wb. von Nassau 108; Maurer-Mulch,
Südhess. Wb. I, 1458; Hertel, Thür. Spr.schatz 81;
Schullerus, Siebenbürg.-sächs. Wb. II, 27; Woeste,
Wb. d. westf. Mda. 49; Schambach, Wd. d. ndd. Mda.
41; Kück, Lüneb. Wb. I, 308; Richey, Id. Hambur-
gense 34; Scheel, Hamb. Wb. 697; Mensing, Schles-
wig-holst. Wb. I, 724; A. Senn, JEGP 32 (1933), 517.
An Entsprechungen zu ahd. dîhan aus weiteren
germ. Sprachen kommen vor: as. thīhan, thian
(as. a-thengian ‚ausführen, vollbringen‘, as. gi-
thungan ‚vollkommen‘), mndd. dīen, dīgen, di-
jen, dihen; mndl. dīen, diën, dijen, dihen, gedi-
jen, nndl. gedijen (vgl. afries. thigia sw. v.,
nfries. dije); ae. ðēon, ðīon (vgl. mit grammati-
schem Wechsel [ge-]þingan ‚blühen, gedeihen‘
als Neubildung für ðīon nach ðungun, ae. ge-
þungen ‚gediegen, hervorragend, erwachsen‘),
me. þēon; got. (ga-)þeihan: < *þinχan- (s. u.).
Nach dem Schwund des Nasals trat *þīχan- in
die Verben mit i-Ablaut über; vgl. mhd. dîhen,
dêch, digen, gedigen. Der grammatische Wech-
sel ist im Nhd. innerhalb des Verbalparadigmas
zugunsten des h ausgeglichen worden.
Fick III (Germ.)⁴ 179 f. 184; Seebold, Germ. st. Verben
512 ff.; Holthausen, As. Wb. 77; Sehrt, Wb. z. Hel.²
600; Berr, Et. Gl. to Hel. 406; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 403. 424; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. I, 494. 516; Verdam, Mndl. handwb. 135;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 178 f.; Vries, Ndls. et. wb.
187; Holthausen, Afries. Wb.² 110; Dijkstra, Friesch
Wb. I, 212; Holthausen, Ae. et. Wb. 366. 372; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 1051 f.; Suppl. 728; Suppl. II,
61; Stratmann-Bradley, ME Dict.³ 632; Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 493 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. þ-
29; C. C. Uhlenbeck, PBB 27 (1902), 132 f.
Für die Bedeutung ‚gedeihen‘ gibt es bei den au-
ßerhalb des Germ. lautlich vergleichbaren Ver-
ben kaum Entsprechendes. Die Bedeutungen
‚dicht, dick, fett‘ der germ. Fortsetzungen des
Verbaladj. auf *-to-, *tenkto- (mhd. dîchte;
mndd. dīchte; mndl. dicht[e]; ae. ðīht, me.
thight; aisl. þéttr), machen jedoch einen An-
schluß an lit. tánkus ‚dicht, dicht zusammenste-
hend‘ wahrscheinlich. Zu dieser Bedeutung pas-
sen die zugehörigen germ. Wörter aisl. þengill;
ae. ðengel ‚Fürst, Herr‘ (wohl ursprl. ‚der Kräf-
tige, Mächtige‘); aisl. þang n. ‚Tang‘; mndd.
danc (-g-) m. ‚Seegras, Tang‘; ae. ðung m. ‚Ei-
senhut‘, nndd. wodendung ‚Schierling‘ (wenn
ursprünglich ‚dichte Masse, Büschel‘ → dâha);
aisl. þungr ‚schwer‘ (< *tkó-; oder zu lit. tin-
gùs ‚schwer‘?; → ding). Die Bedeutung ‚gedei-
hen‘ dürfte so aus ‚fest werden, stark werden‘
hervorgegangen sein.
Auch got. þeiƕo ‚Donner‘ (< *þenχwōn-) hat man
wegen der zu der Wz. uridg. *tenk- gehörigen slav.
Wörter aksl. tǫča ‚Regenguß, Schneegestöber‘, aruss.
tuča ‚dichte Masse, Haufen, Gewitterwolke‘; slowinz.
tą̃ča ‚Regenwolke‘, sloven. tọ́ča ‚Hagel‘, poln. tęcza
‚Regenbogen‘ unter einer Grundbedeutung ‚dunkle,
dicke Wetterwolke‘ (‚Dichtes‘) hierhergestellt (zustim-
mend Lehmann, a. a. O. þ-31; anders Diefenbach, Vgl.
Wb. d. got. Spr. II, 704: þeiƕo zu got. þeihs ‚Zeit‘; dazu
s. u.; Grienberger, Unters. z. got. Wortkunde 215: þeiƕo
zu ahd. donar; s. d.). Trifft die Verbindung mit der Wz.
*tenk- zu, so handelt es sich bei got. þeiƕo wohl um die
Fortsetzung eines substantivierten Adj. mit dem Suffix
*-u̯ō-n-, *þenχ-u̯ō-n- ‚Zusammengezogenes‘ (C. C.
Uhlenbeck, PBB 30 [1905], 315); vgl. ahd. melo, anord.
mjǫl ‚Mehl‘ < *melu̯a- ‚das Gemahlene‘ (Krahe-Meid,
Germ. Sprachwiss. III § 77, 4).
Die Bedeutungen ‚(sich) zusammenziehen (auch
bes. von der Milch: gerinnen), fest, dicht wer-
den‘ dieser Wörter zeigen sich im Germ. in bair.
deihen ‚austrocknen und dadurch dichter wer-
den, in einen engeren Raum zusammengehen‘
(s. o.) und in anord. þéttr (s. o.), dem lautlich
air. técht ‚geronnen‘ entspricht. Aus dem Kelt.
stellen sich ferner hierher air. con-téici ‚erstar-
ren, fest werden, fest machen‘, téchtaid ‚gerinnt‘
(*tenktō). Von dem aus der Milchwirtschaft
stammenden Begriff ‚gerinnen‘ erklären sich
über die Vorstellung des Gedeihens auch Wör-
ter für ‚Glück‘: air. tocad m.(?), mkymr. tynghet,
nkymr. tynged, nbret. tonkad ‚Schicksal‘ (mbret.
tonquaff ‚vorbestimmen‘); vgl. sloven. tek ‚Lauf,
Flut, Verlauf‘ neben ‚Appetit‘, älter ‚Gedeihen‘
(F. Solmsen, Zfvgl.Spr. 35 [1899], 479 f.). Ein
zugehöriges transitives Verb ist aind. (-)tanakti
‚macht gerinnen‘ (< *t-né-k-ti) mit den ver-
wandten Bildungen av. taχma- ‚tapfer, tüchtig,
heldenhaft‘ (Superlativ tancišta-), ferner npers.
tang ‚eng, bedrängt‘; npers. tanǰīδan ‚zusam-
menziehen‘; → dâha.
Ob lit. tèkti (tenkù, tekaũ) ‚hinreichen, zukommen;
sich ereignen‘ und lett. tikt (Präs. tìeku oder tìku,
prät. tiku) ‚werden, geraten, zufallen‘ (mit Übertritt in
die Flexionsklasse von lìeku, likt [lit. liekù, lìkti ‚blei-
ben, übrig bleiben, zurückbleiben‘]; s. Endzelin, Lett.
Gram. 576) als von Haus aus nasalhaltige Bildungen
zugehörig sind (so C. C. Uhlenbeck, PBB 30 [1905],
315; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1077), wobei sich im Balt.
eine Bedeutungsentwicklung von ‚gerinnen, fest wer-
den, dicht werden‘ zu ‚von einem Zustand in einen an-
dern (vorwiegend in einen günstigeren) übergehen, ein
Ziel erreichen‘ vollzogen haben müßte, ist zweifelhaft
(ablehnend Feist, a. a. O. 488; H. Osthoff, IF 8
[1898], 41). Eher handelt es sich um eine n-Infix-Bil-
dung einer ursprl. nasallosen Wz. (vgl. Pokorny 1058
zu uridg. *tek-; → ahd. diggen). Sofern lit. tìkti (tin-
kù, tikaũ) ‚taugen, wohin geraten, sich ereignen; ent-
sprechen‘ mit Ablautentgleisung nach einem Verb wie
lit. sliñkti (slenkù, slinkaũ; zu ahd. slîhhan ‚schlei-
chen‘), in dem *-in- und *-en- nebeneinander stehen
(Brugmann, Grdr.² II, 3, 285), aus einem nasalinfi-
gierten tèkti (tenkù) hervorgegangen ist (Zupitza,
Germ. Gutturale 140; B. Jēgers, Zfvgl.Spr. 80 [1965],
92 als Alternative, s. u.), kann auch dieses Verb nicht
mit dem ursprl. nasalhaltigen urgerm. Verb *þinχan-
verbunden werden, obwohl sich unter den Komposita
die Bedeutung ‚gedeihen‘ (lit. nutìkti ‚[an]treffen, ge-
deihen; sich ereignen‘, užtìkti ‚gedeihen, wohlgera-
ten‘) findet (anders Pokorny 1068: im Falle von germ.
*þīχa- liege Verschmelzung mit Verwandten von lit.
tinkù, tìkti ‚taugen, passen‘ usw. vor). Einen Zusam-
menhang der beiden lit. Verben tèkti und tìkti lehnt
Fraenkel, Lit. et. Wb. 1092 wohl zu Recht ab; auch
nach B. Jēgers (Verkannte Bedeutungsverwandtschaften
baltischer Wörter, Diss. [Göttingen, 1949 (maschinen-
schriftl.)], 91 ff.) ist am ehesten von zwei Parallelwur-
zeln *tek- und *tei̯k- auszugehen. Die Auffassung
Joh. Schmidts (Idg. Vokalismus 52), daß nicht nur der
Nasal in lit. tenkù, tèkti, sondern auch in germ. *þin-
χan- sekundär sei und daß beide Verben zu der Wz. in
ahd. degan ‚Knabe, Diener, Held‘ usw. gehören, ist
wegen der nasalhaltigen Verwandten des germ. Verbs
unzutreffend. Weiterhin bleibt die Sippe von aind.
dháyati ‚saugt‘ fern (anders F. O. Lindeman, Norsk
tidsskrift f. sprogv. 22 [1968], 72 f.); Gleiches gilt für
die Verbindung mit alb. ndih ‚helfe, unterstütze‘,
ndihmë ‚Hilfe‘ (s. E. Çabej, Bonfante-Festschrift 97).
Walde-Pokorny I, 725 f.; Pokorny 1068; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. I, 473; ders., Et. Wb. d. Altindoar.
I, 614 f.; Bartholomae, Airan. Wb. 626 f.; Reichelt,
Aw. El.buch 446; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 323 f.;
Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 348. 358; Sadnik-Ait-
zetmüller, Handwb. zu den aksl. Texten 137. 320; Vas-
mer, Russ. et. Wb. III, 158 f. 167; Mühlenbach-Endze-
lin, Lett.-dt. Wb. IV, 209 f.; Fick II (Kelt.)⁴ 128;
W. Stokes, BB 25 (1899), 258; Vendryes, Lex. ét. de
l’irl. anc. T-84 f.; Dict. of Irish T-100; C-464 f.; R. He-
mon, Dict. hist. du bret. (Paris, 1958—79) VI, 3088;
E. Benveniste, Word 19 (1954), 253 f.
Grienberger, Untersuchungen 214, stellt auch got.
þeihs ‚Zeit‘, ahd. ding zu der Wz. uridg. *tenk- ‚(sich)
zusammenziehen‘. Doch ist der Ansatz einer von die-
ser Wz. verschiedenen Wz. *tenk- ‚ziehen, dehnen,
spannen; Zeitspanne‘ (Pokorny 1067) wahrscheinli-
cher (→ ding). Wie zumeist vollkommen verfehlt ist
Triers (Lehm 16 ff.) Auffassung, daß die Bedeutung
‚dicht‘ von *tenkto- aus der undurchlässigen Lehm-
wand zu erklären sei (zustimmend Vries, Anord. et.
Wb.² 609).
Vgl. auch dâha.