*debandornAWB, depandornAWB m. a-St., nur in der
Samanunga-Hs R des bair. Cod. Wien 162 (Gl.
I, 237, 34, -p-), der aus den Jahren 820—830
stammt (s. Splett, Samanunga-Studien 7; Simm-
ler, Westgerm. Kons.gemin. 25): ‚Dornstrauch,
rhamnos‘. Das Wort wird mit ae. ðefan-ðorn
(þefanþorn, thebanthorn, thyfethorn usw.) m.
‚Purgier-Kreuzdorn‘ (Rhamnus Cathartica L.),
me. þefeþorn(e) ‚Dornbusch‘, ne. theve-thorn
‚gemeiner Wegdorn‘ verglichen. Das Vorder-
glied erscheint im Me. als Simplex þēfe ‚Busch,
Zweig‘ (die Bedeutung ‚Dornbusch‘ des Kom-
positums ist auf das Vorderglied übergegan-
gen). Die frühesten Belege des ae. Komposi-
tums lauten þebanthorn EpGl 745 (8. oder An-
fang des 9. Jh.s), ðeofeðorn CorpGl 1710 (spä-
tes 8./frühes 9.Jh.) und þebanthron ErfGl 1
880 (spätes 8./frühes 9.Jh.). Ebenso wie lat.
ramnus, das aus gr. ῥάμνος entlehnt ist, nicht
nur den Dornstrauch oder Kreuzdorn (spina
alba, spina cervalis, sentix ursina), sondern
auch die Stachelbeere (groselarium) bezeich-
net, ist me. þefeþorn(e) (im 12. und 13. Jh.) als
Bezeichnung der Stachelbeere belegt. In ae.
DurGl 285 thyfe-thorn (zwischen 1100 und
1135), AntGl 1 4 323 þyfethorn ‚ramnus vel
sentix ursina‘ (spätes 11./frühes 12.Jh.) ist ae.
ðefan- durch eine Ableitung von ae. ðūf m.
‚Büschel, Busch‘ ersetzt worden; vgl. auch ae.
ðȳfel m. ‚Busch, Dickicht‘.
Splett, Ahd. Wb. I, 126. 146; Starck-Wells 94. 798.
840; Graff V, 227; Schade 99; Holthausen, Ae. et.
Wb. 362. 374; Stratmann-Bradley, ME Dict.³ 634;
OED² XVII, 927; Bierbaumer, Bot. Wortsch. d. Ae. I,
134; II, 119 f.; III, 236; André, Termes de botanique en
latin 272; Laud Herbal Glossary, ed. J. R. Stracke (Am-
sterdam, 1974) § 1268; Hoops, Waldbäume und Kul-
turpflanzen 256. 613; E. Gutmacher, PBB 39 (1914),
244 f. (jedoch mit falscher Zuordnung von ahd. depan-
dorn zur Reichenauer Abrogans-Hs.).
Ahd. depandorn hat Grimm, Kleinere Schriften
II (Berlin, 1865), 246 (ebenso Koegel, Lit.gesch.
I, 1, 53 Anm. 1) als ‚Brenndorn‘ aufgefaßt und
mit andeba (D 7 antdeba) ‚Brandstiftung‘ (mit
Präfix anth-), deba ‚Brand‘ (s. d.) im Sinne von
‚Anzündung, Brandstiftung‘ (Nom. eines ō-
Stammes) oder ‚Brandstiftungsbuße‘ (Akk. eines
ō-Stammes) der Malbergischen Glossen der
Lex Salica (20, § 1; 21, § 1) verglichen (dazu
J. Grimm, Vorrede zu Merkel, Lex Salica [1850]
XLVII; H. Kern, in Lex Salica [Hessels] § 95—
103. 105. 107; W. L. v. Helten, PBB 25 [1900],
348 f.; Baesecke, Vor- und Frühgesch. des dt.
Schrifttums [1950], 55; W.Jungandreas, Leuv.
bijdr. 44 [1954], 127 ff.; R. Schmidt-Wiegand,
Rhein. Vj.blätter 32 [1968], 150). Helten
(a. a. O. 348) wies die Verbindung jedoch zu-
rück, weil *(-)defa der Malbergischen Glossen
zu gr. τέφρα ‚Asche‘ zu stellen sei. Seitdem gilt
die Etymologie von ahd. depandorn, ae. ðefan-
ðorn als ungeklärt (s. Splett, Samanunga-Stu-
dien 130), obwohl Helten deba zu Unrecht mit
gr. τέφρα verbunden hat (→ deba).
Zwar ist das von Grimm zum Vergleich heran-
gezogene Brenndorn nicht mit dem Wort bren-
nen zu verbinden, weil Brenndorn (belegt a.
1852) als Bezeichnung der Brombeere (Rubus
fruticosus) (mit Assimilation von -md- > -nd-)
zu ähnlich lautenden Wörtern wie westf.
Brummdoäen (-dorn) (a. 1944) gehört (Marzell,
Wb. d. dt. Pflanzennamen III, 1458). Doch ist
dennoch ein Anschluß von depandorn an die
dem Wort *(-)defa der Malbergischen Glossen
zugrundeliegende Wz. uridg. *tep- ‚warm sein‘
möglich: Außer Benennungen, die von der Stel-
lung der Dornen, der schwärzlichen Rinde, der
Verwendbarkeit der Beeren usw. ausgehen, fin-
den sich unter den Ersatzbezeichnungen auf-
grund der Ungenießbarkeit der Beeren solche
wie stinkender Weichsel (Bertrich/Eifel); vgl.
ferner Bezeichnungen wie Hundsbeere, Hunds-
beerstaude, Schwarze Hundsbeer, Hundsbäüm,
Schweinsdorn, Pockpearleinschtaude, Scheißbee-
ren, Scheißkerschen (Marzell, a. a. O. III, 1308).
Bezieht sich *þeana- ebenfalls auf die Unge-
nießbarkeit der Beeren, so ist eine Verbindung
mit den Substantiven anord. þefr m. ‚Geruch,
Duft‘, nisl. þefur m., fär. tev n., nnorw. tev m.
‚Geruch‘, nschwed. dial täv ‚Gestank‘, ndän.
dial. tøv ‚Geruch, Geschmack‘ (aisl. þefja ‚rie-
chen, duften, wittern‘, nnorw. tevja, mschwed.
thäfja) denkbar, für die man zu Recht eine
Grundvorstellung ‚Wärmedunst, warmer Dampf
von Speisen‘ voraussetzt (Vries, Anord. et. Wb.²
607; Pokorny 1070). Daß die Kontinuante der
Wz. uridg. *tep- auch im Westgerm. vorhanden
war, zeigt nicht nur das Glossenwort *(-)defa
der Lex Salica, sondern auch ae. ofðefian ‚über-
hitzen‘ (Bosworth-Toller, Suppl. 664; dagegen
ae. ðefian [z. B. K. D. Bouterwek, ZfdA. 9
(1853), Z. 406], nnorw. dial. teva ‚keuchen‘ <
‚vor Hitze und Anstrengung keuchen‘; Fick III
[Germ.]⁴ 180). Auch die aus ‚Wärmedunst‘ ent-
wickelte Bedeutung ‚Gestank‘ ist möglicherwei-
se im Westgerm. vorhanden, sofern das Glos-
senwort ae. ðefel ‚Most‘ (þefele ‚defruto‘), das
von Holthausen, Ae. et. Wb. 362 mit Fragezei-
chen zu ae. ðefian, ofðefian gestellt wird, den
Most in der Gärungsphase bezeichnet hat. Die
Wortbildung und der stimmhafte Reibelaut ei-
nes zu der postulierten Wz. urgerm. *þef-
‚warm sein, stinken‘ gehörigen *þeana- deuten
auf ein isoliertes Part.Prät. eines verschollenen
st. Verbs urgerm. *þefan- ‚erwärmen, warm
sein‘, dem außerhalb des Germ. genau aind. tá-
pati ‚erwärmt, erhitzt, kasteit sich, quält‘ (av.
tafsąn ‚es soll ihnen heiß werden‘; npers. tafsaδ
‚wird heiß‘; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I
477; III, 719 f.; ders., Et. Wb. d. Altindoar. I,
623 f.) entspricht; mit Part.Prät., die aus dem
Paradigma ausgegliedert sind und kein Präfix
gi- bzw. ge- enthalten, vgl. ahd. trunchan ‚trun-
ken‘ (s. d.), ae. āgen, ahd. eigan ‚eigen, eigen-
tümlich‘ (s. d.); ferner as. fagan, ae. fægen, a-
nord. feginn ‚froh‘ (zu ahd. gifehan [s. d.], ae.
fēon ‚sich freuen‘; s. Krahe-Meid, Germ.
Sprachwiss. III § 94, 1). Als Bedeutung von ahd.
depandorn bzw. ae. ðefanðorn ergibt sich so
‚stinkender Dorn‘. Da die ursprl. Bedeutung
von ðefan- nicht mehr erkannt wurde, wurde es
im Ae. durch þȳfe- ‚Busch‘ ersetzt (R. Lühr,
Sprachwissenschaft 15 [1990], 166 ff.).