dwingan
Band II, Spalte 922
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dwinganAWB st. v. III, seit dem 8. Jh.: zwingen,
bezwingen, binden, beherrschen, unterwerfen,
zügeln, züchtigen; bekämpfen, beschuldigen,
constringere, affligere, urgere
Var.: th(w)-, t-,
-en; Gl. 4, 264, 4 Oxford Laud. lat. 92 mfrk.
duuand als hyperkorrekte Schreibung für
duuang; s. Bergmann, Mfrk. Glossen 296; vgl.
as. Gl. 4, 287, 60 bethuindan. Im Part. Prät.
überwiegt in den ältesten ahd. Gl. gidungan,
githungan mit lautgesetzlichem Schwund des
w vor u, in K ausnahmslos, in Pa und Ra in
der Mehrzahl der Belege; vgl. auch Musp. pi-
dungan, Trierer Cap. bethungen, Notker
W.Ps. gedungen und latinisiertes thunginus in
der Lex Salica (s. E. Karg-Gasterstädt, PBB 72
[1950], 314 ff.). Doch wird w im Laufe der
ahd. Zeit restituiert; vgl. schon Pa caduungan.
Mhd. dwingen, twingen, quingen, zwingen
(zusammen)drücken, zusammenfügen, pres-
sen
, nhd. zwingen. tw- im Anlaut, das verein-
zelt schon im 9. Jh. und dann bei Notker belegt
ist, herrscht im Mhd. bis gegen Ende des
15. Jh.s; zw-Anlaut setzt im 14. Jh. ein. Seit
dem 13. Jh. erscheint kw- statt tw-, und zwar
vor allem im Omd. Demgegenüber tritt im
Schwäb. (lokal beschränkt oder eher individu-
ell) im Anlaut schw- auf. Der Ablaut im
Stammsilbenvokal des Prät. mhd. sg. twanc,
pl. twungen ist erst während der nhd. Sprach-
periode ausgeglichen worden.

Splett, Ahd. Wb. I, 160; Schützeichel⁴ 96; Starck-
Wells 113 f. 801; Graff V, 269 ff.; Schade 121; Lugin-
bühl, Stud. z. Notkers Übers.kunst 87; Lexer II,
1602 f.; Benecke III, 161 f.; Diefenbach, Gl. lat. germ.
145 (constringere). 630 (urgere); Dt. Wb. XVI,
1224 ff.; Kluge²¹ 897; Kluge²² 821; Pfeifer, Et. Wb.
2053 f.; Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 105. 159 Anm. 5. 336
Anm. 5; Schatz, Ahd. Gr. § 192 f. 283. 503; Franck,
Afrk. Gr.² § 69. 93. 184; Paul, Mhd. Gr.²³ § 148.
166, 2. 247; Wilmanns, Dt. Gr. I § 85; Paul, Dt. Gr.
II, 214 f. Fischer, Schwäb. Wb. VI, 1, 1461; W. Besch,
Sprachlandschaften u. Sprachausgleich im 15. Jh. (Mün-
chen, 1967), 129.

Ahd. dwingan entsprechen: as. thwingan (part.
prät. bethungun neben bethuindan) zwingen,
bedrängen
, mndd. dwingen, twingen (er)zwin-
gen, rechtlich erlangen; drücken, pressen, be-
drängen
; mndl. dwinghen, nndl. dwingen
drücken, kneifen, beherrschen, stillen, nöti-
gen
; afries. thwinga zwingen, nostfries. dwin-
gen, nwestfries. twinge zwingen, nötigen; me.
twingen (part. twungen, nur vereinzelt um 1300
als Variante neben twinged); aschwed. þvinga
(prät. þvang und þvingaþe), mschwed. þvinga
(prät. twyngde und thwang, twang), nnorw.,
nschwed. tvinga, ndän. tvinge sw.v. neben
nnorw., nschwed. tvinga st. v.: < urgerm.
*þwinan-. Die Entsprechung von ahd. dwin-
gan fehlt nur im Altenglischen und Gotischen;
doch ist im Ae. eine Verbalableitung ðwinglian
aufbinden belegt. Das spät und selten bezeugte
sw. Verb aisl. þvinga (prät. þvingaða) drük-
ken, unterdrücken, plagen, nötigen
(nisl. þvin-
ga) ist wohl nicht einheimisch, sondern aus dem
Mndd. entlehnt (Fischer, Lehnw. d. Awestnord.
43). Ne. twinge kneifen, pressen und ae. twen-
gan kneifen haben wie ahd. zwangôn reizen,
kneifen
, zwengen zupfen, kneifen (s. d. d.) die
Fortsetzung von urgerm. *t- im Anlaut (anders
H. Kuhn, Gedenkschrift für William Foerste
[Köln, 1970] 42: ne. twinge usw. mit der Fort-
setzung eines vorgerm. Anlauts-t). Auf die
Schwundstufe einer Wz. urgerm. *þwenχ- kön-
nen ahd. dûhen (vgl. auch Gl. 4, 222, 30 ardhu-
hent expremunt), andfrk. -thūwen, mndl. du-
wen, douwen drücken, kneifen, nndl. duwen
bedrängen, drücken, ae. ð(a)n, ðēon, ðwan,
ðeowan pressen, drücken, zwingen; stoßen, er-
stechen
weisen ( dûhen).

Fick III (Germ.)⁴ 196; Seebold, Germ. st. Verben
526 f.; Holthausen, As. Wb. 80; Sehrt, Wb. z. Hel.²
622; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 233; Gallée, Vorst.
z. e. andd. Wb. 350; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 506; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
615 f.; Verdam, Mndl. handwb. 157; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. I, 504 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 146;
Vries, Ndls. et. wb. 147; Holthausen, Afries. Wb.²
113; Richthofen, Afries. Wb. 1081 f.; Doornkaat
Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 375; Dijkstra, Friesch
Wb. III, 357; Holthausen, Ae. et. Wb. 373 f.; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 1027; Stratmann-Bradley, ME
Dict.³ 626; OED² XVIII, 757; Vries, Anord. et. Wb.²
629; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 452; Fritzner, Ordb. o.
d. g. norske sprog III, 1060; Heggstad, Gamalnorsk
ordb. 736; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 323 f.;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1305. 1313; Ord. o. d.
danske sprog XXIV, 1162 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb.
823; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1252; Söderwall,
Svenska medeltids-spr. III, 746.

Außergerm. vergleicht man mit urgerm. *þwin-
an- das av. Verb θβzjaiti (< *tenh-se-ti;
mit Wandel von uridg. *-h-s- > urar. *-h-
> av. -zj-) gerät in Bedrängnis < uridg.
*tenh-. Gehört auch ahd. dûhen hierher, so
ist anzunehmen, daß im Urgerm. die Wurzel-
form *þwen- als eine durch grammatischen
Wechsel entstandene Lautung aufgefaßt und zu
*þwen- so eine Variante *þwenχ- gebildet
wurde. Ein Vorbild für diese Wurzelvarianten
gäbe etwa die Wz. *þrenχ-/*þren- ab, die in
got. þreihan drücken, pressen/ahd. dringan
(s. d.) fortgesetzt ist; vgl. auch die Wurzeln
*wren-/*wrenχ- winden, wringen und
*klen-/*klenχ- (sich) zusammenziehen: ae.
wringan winden, wringen; anord. f. Win-
kel, Ecke
, älter mit anlautendem vr- (< *wran-
χō) bzw. ahd. clāh- in Clahuelde, ne. clough
Bergschlucht; ahd. klingan sich kräuseln (s.
Lühr, Expressivität 123 ff. 177 ff.).

Auch ein Anschluß an uridg. *tenk- drücken
wurde erwogen: aind. (unbelegt) tvanakti zieht
zusammen
(aind. tvák f. Haut, Fell, srya-tva-
cas- dessen Haut wie die Sonne glänzt bleibt
wegen heth. tekka- Körper, Person, selbst
fern, dwerah; anders Fick I [Idg.]⁴ 63 f.), gr.
σάττω < *σάκω stopfe voll, σηκός m. (dor.
mit ᾱ) Einfriedung, Umzäunung, Hürde, Stall,
lit. tvankùs heiß, schwül, drückend, tvankà
Schwüle, lett. tvaks Gestank, Dampf, tvìkt
(-kstu, -ku) Schwüle fühlen, vor Hitze
schmachten, dursten
, tvīksme Hitze, Schwüle,
lit. tveñkti (-kiù, -kiaũ) (das Wasser, einen
Fluß durch Verschüttung von Schleusen usw.)
anschwellen oder anstauen machen, (ein)däm-
men
, reflexiv sich versammeln, toch. twāk-
einzwängen (part. prät. A tātwänku, B tātwā-
kan, A konj.medium twākatär). Doch ist das
aind. Verb nur bei Grammatikern belegt und
möglicherweise zu tanákti macht gerinnen hin-
zuerfunden; und gr. σάττω kann auch eine zu
gr. σαγή Bepackung, Ausrüstung gehörige und
so eine anstelle von *σάζω (< *σάγω) analo-
gisch nach dem Aorist σάξαι zustande gekom-
mene Bildung sein (s. Bechtel, Gr. Dial. II, 745:
γ ursprl. wegen kret. σάδδῃ mit δδ < *g;
K. Brugmann, IF 28 [1911], 286 Anm. 2;
Schwyzer, Gr. Gr.² I, 715). Dennoch gibt es an
einer neben uridg. *tenh- stehenden Wz.
*tenk- drücken, von der sowohl ahd. dwin-
gan als auch ahd. dûhen herleitbar wären, kei-
nen Zweifel.

Walde-Pokorny II, 746 ff.; Pokorny 1099 f.; Fick I
(Idg.)⁴ 449; Mann, IE Comp. Dict. 1465 (die Verbin-
dung mit der Sippe von aksl. tgostъ f. Last, Bürde ist
jedoch unzutreffend; s. Trautmann, Balt.-Slav. Wb.
318; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 350 f.; Sadnik-
Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Texten 317 f.: zu av.
θang- ziehen; anord. þungr schwer usw.); Mayrho-
fer, K. et. Wb. d. Aind. I, 537 f.; ders., Et. Wb. d. Alt-
indoar. I, 684; Bartholomae, Airan. Wb. 798; Boi-
sacq, Dict. ét. gr.⁴ 854 f.; Frisk, Gr. et. Wb. II, 681.
695 (nach A. Bezzenberger, BB 12 [1887], 240):
σάττω < *σάκω; Chantraine, Dict. ét. gr. 989 f.;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 1149. 1151 f. 1153 f.; ders., Le-
xis 3 (1953), 66 f. (der Anschluß von gr. σηκός an
dwingan wird zugunsten der älteren Verbindung mit
gr. σωκός kräftig, stark usw. aufgegeben); Mühlen-
bach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. IV, 288; A. J. van Win-
dekens, Orbis 11 (1962), 180; 12 (1963), 188; ders.,
Le tokharien I, 518.

S. auch dwang, dwengen, gidwang, gidwing,
unbidwungan, unbidwunganî.

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