gewiAWB, gouwiAWB n. ja-St., LSF, T, O, N
und Gl. des 11.—13. Jh.s: ‚Gau, Land, Ge-
gend; ager, in compitis, pagus, regio, rus‘
〈Var.: zu gouwi neben gewi vgl. Braune-
Reiffenstein 2004: §§ 114. 201 Anm. 2〉. —
Mhd. göu, gou, geu st. n. ‚dss.‘, nhd. mdartl.
obd. gäu n.; in der Schriftsprache ist das
Wort in der Form Gau das Produkt einer ge-
lehrten Wiederbelebung seit dem 17. Jh. und
ist — wohl nach lat. pagus — Mask. geworden.
Ahd. Wb. 4, 243 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 302; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 368; Schützeichel⁶ 133. 138; Starck-
Wells 199; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 17;
Graff 4, 274 f.; Lexer 1, 1057; Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 26 (ager). 122 (compitum). 460 (pagus). 563 (re-
gio). 581 (rus); Dt. Wb. 4, 1518 ff.; Kluge²¹ 235 f.;
Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 402. — Schweiz. Id. 2,
38 f.; Martin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. 1, 191;
Ochs, Bad. Wb. 2, 302 f.; Fischer, Schwäb. Wb. 3,
92 ff.; Jutz, Vorarlberg. Wb. 1, 1068 f.; Schmeller,
Bayer. Wb.² 1, 853 ff.; Schöpf, Tirol. Id. 179; Schatz,
Wb. d. tirol. Mdaa. 207; Müller, Rhein. Wb. 2, 1052;
Christmann, Pfälz. Wb. 3, 59 f. — Heinertz 1927:
46 ff.; Polenz 1961: 1, 36 ff.
Germ. Entsprechungen sind: as. gō, gā (nur
in ON), mndd. gō n. ‚Landschaft, Gau, Be-
zirk, Gaugerichtssprengel‘; andfrk.(?) gō
‚pagus‘ (Gl. 2,573,46, 11. Jh.: Geheimschrift
gp; vgl. Bergmann 1977: 80 f.), auch in ON,
mndl. gouw, gou, gau, go, gooy n. ‚Gau,
Landschaft‘, nndl. gouw; afries. gā, gō ‚Gau,
Land, Gegend, Ort, Dorf, Kirchspiel‘, nfries.
gea ‚Dorf, Ortschaft, Landschaft‘; got. gawi
‚Land, χώρα; Umgegend, περίχωρος‘. Im
Ae. und Anord. fehlt das Wort; frühere Be-
hauptungen, daß es in ON wie ne. Ely und
Surrey vorhanden wäre, sind längst widerlegt
worden (vgl. bes. O. Schlutter, Anglia 46
[1922], 143 f.).
Fick 3 (Germ.)⁴ 119; Holthausen, As. Wb. 28; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 125; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 126; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 2, 2086; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 209; Vries,
Ndls. et. wb. 215 f.; Et. wb. Ndl. F-Ka 314; Holthau-
sen, Afries. Wb.² 33; Fryske wb. 7, 82; Holthausen,
Ae. et. Wb. 124 (verfehlt); Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr.
210 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. G-79. — Zu den
ahd., as. und andfrk. ON vgl. Förstemann [1900—16]
1966—67: 2, 1023 ff.; Polenz, a. a. O. 49 ff.
Das viel erörterte Wort hat keine sichere
Etymologie. Die zahlreichen etymologischen
Versuche lassen sich in zwei Hauptgruppen
einteilen: das Wort als ein ga-Kompositum
oder als ein Simplex zu deuten. Zur ersten
Gruppe gehören die zwei am häufigsten ver-
tretenen Deutungen:
1. aus *a- + *a()wja-, eine neutrale Kol-
lektivbildung zu germ. *a()wjō ‚Aue, Insel‘
(→ ouwa): ‚Landschaft am Wasser, frucht-
bare, als Siedlung geeignete Landschaft‘.
Erste knappe Erwähnung von Friedemann,
AhGA 6 (1851), 429; ausführlicher von A.
Buck, ZDW 2 (1902), 341 f.; zustimmend
RGA 2, 124 ff.; TDW 3, 28 f.; Bach 1952 ff.:
2, 1, 405; v. Polenz, a. a. O.; Kluge²¹ a. a. O.;
Pfeifer, a. a. O.; Lehmann, a. a. O.
2. aus *a- + *auja- < idg. *ōu̯i̯o- oder
*ǝu̯i̯o-, zu gr. οἴη f. ‚Dorf‘: ‚Gemeinschaft
von Dörfern‘. Zuerst von O. Schrader, IF (A)
9 (1898), 171 f. und RGA² 2, 453 f.; zustim-
mend Heinertz, a. a. O.; H. Schmeja, IF 68
(1963), 28 ff. Zur Unterstützung dieser Deu-
tung wird die ahd. Zss. inouwa ‚Wohnung;
habitaculum‘ (s. d.) angeführt.
Beide Etymologien sind semantisch befrie-
digend (Heinertz’ Argument, daß die ur-
sprünglichen Siedlungen nicht am Wasser
gelegen hätten, überzeugt nicht); was das
ahd. Wort betrifft, sind sie auch lautlich
unanfechtbar, aber wegen got. gawi sind bei-
de sicher verfehlt: im Got. wird das a von
ga- vor einem Vokal nie elidiert (vgl. got.
gaaggwei, gaaiginon, gaaianan, gaarbja).
Bestimmt abzulehnen ist S. Feists Deutung (PBB 15
[1891], 547 und Vgl. Wb. d. got. Spr. a. a. O.): aus ur-
germ. *a-u̯iχ, zu got. weihs ‚Flecken‘, lat. vīcus; wie
Schrader, a. a. O. bemerkt hat, sollte man im Got. ein
Kollektivum *gaweihi erwarten.
Es handelt sich also offenbar um ein mit -
anlautendes germ. Simplex. Man hat arm.
gawaŕ ‚Landstrich, Gegend‘ verglichen (zu-
erst J. Scheftelowitz, BB 28 [1904], 310;
nach Olsen 1999: 959 Lehnwort unbekann-
ten Ursprungs) und die Wörter auf die idg.
Wz. *ghēu̯- : *ghō(u̯)- : *ghǝu̯- ‚gähnen, klaf-
fen‘ zurückgeführt (→ goumo), wozu auch
gr. χάος (< *χαϝος) ‚leerer Raum‘ gehört
(vgl. Grienberger 1900: 96; Orel, a. a. O.).
Nach Kluge²⁴ s. v. und RGA² 10, 468 f. ge-
hört auch gr. χώρα ‚freier, leerer Raum, Ge-
gend‘ hierher, ein Wort, das früher meist zu
gr. χήρα ‚Witwe‘ und zur idg. Wz. *ghē(i̯)-
‚leer sein, fehlen, verlassen‘ gestellt worden
ist (vgl. Walde-Pokorny 1, 542 f. 565; Po-
korny 419. 449; Frisk, Gr. et. Wb. 2, 1095.
1126). Obgleich diese Etymologie wohl
nicht das letzte Wort sein wird, scheint sie
wenigstens die bisher glaubwürdigste Lö-
sung zu sein.
Zu anderen alten, unbefriedigenden Erklä-
rungen vgl. Feist, a. a. O.