kannaAWB f. ō(n)-St., seit dem 11. Jh.
in Gl. (nur Nom.Sg.): ‚Kanne, Gefäß für
Flüssigkeiten; amphora, cantada, cantharus‘
〈Var.: c(h)-; -e〉. Die Stammklasse ist aus
den Belegen nicht sicher ableitbar. — Mhd.
kanne sw.f. ‚Kanne, Gefäß‘, nhd. Kanne f.
‚Gefäß für Flüssigkeiten‘.
Ahd. Wb. 5, 28; Splett, Ahd. Wb. 1, 442; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 648 f.; Schützeichel⁷ 171; Starck-Wells
321; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 140 f.; Graff
4, 449; Lexer 1, 1510; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 32
(amphora). 96 (cantharus); Dt. Wb. 11, 164 ff.; Klu-
ge²¹ 346; Kluge²⁵ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 615.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. kanna, mndd. kanne ‚Kanne, Gefäß für
Flüssigkeiten‘; frühmndl., mndl. canne, nndl.
kan ‚Kanne, Gefäß für Flüssigkeiten‘; afries.,
nwestfries. kanne ‚Kanne, Gefäß für Flüssig-
keiten‘; ae., me. canne, ne. can ‚Kanne,
Gefäß für Flüssigkeiten‘; aisl., nisl., fär.
kanna, ndän. kande, nnorw. kanne, nschwed.
kanna ‚Kanne, Gefäß für Flüssigkeiten‘: <
urgerm. *kannō(n)- f.
Fick 3 (Germ.)⁴ 35; Tiefenbach, As. Handwb. 205;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 513 f.; Schil-
ler-Lübben, Mndd. Wb. 2, 425 (s. v. kannengeter);
VMNW s. v. canne; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 3,
1169; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 289 f.; Suppl. 82;
Vries, Ndls. et. wb. 300; Et. wb. Ndl. F-Ka 619;
Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 264; Fryske wb. 10,
167 f.; Dijkstra, Friesch Wb. 2, 37; Holthausen, Ae. et.
Wb. 43; Bosworth-Toller, AS Dict. 145; ME Dict. s. v.
canne n.; OED² s. v. can n.¹; Vries, Anord. et. Wb.²
300; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 291. 1041; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 253; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 148; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
1, 491; Magnússon, Ísl. Orðsb. 444; Nielsen, Dansk
et. ordb. 215; Ordb. o. d. danske sprog 9, 1188 f.;
Torp, Nynorsk et. ordb. 257; NOB s. v. kanne;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 441; Svenska akad. ordb.
s. v. kanna subst.².
Aus dem Ahd. ist das Wort in tschech. ko-
nev, slowak. kanva ‚Kanne‘ übernommen
(die Annahme einer älteren Entlehnung aus
westgerm. *kannō ist wohl nicht nötig; vgl.
Newerkla 2011: 116).
Die weitere Etymologie ist unklar, da im
Mlat. ein genau entsprechendes canna ‚Kan-
ne, Gefäß für Flüssigkeiten‘ existiert und das
Verhältnis der germ. Wörter zum lat. Wort
nicht geklärt werden kann. Es gibt zwei
Möglichkeiten:
1. Wenn die germ. Wörter ererbt sind, ist lat.
canna f. ‚Gefäß‘ aus dem Germ. entlehnt.
Urgerm. *kannō(n)- könnte dann mit aisl.
kani m. ‚Schüssel‘ verbunden werden, wo-
bei beide Formen auf ein n-st. Paradigma
*kan-a/ōn- : *kann- → *kannōn- zurück-
gehen. Als Grundbedeutung beider Wörter
müsste dann ‚Behälter‘ angesetzt werden.
Die hieraus gewonnene Wurzel urgerm.
*kan- bleibt aber etymologisch ohne An-
schluss (ablehnend zu den bisher vorge-
brachten Verknüpfungen mit nnorw. dial.
kana ‚den Hals in die Höhe strecken‘ und lat.
gena ‚Wange‘ zu Recht Lühr 1988: 204
Anm. 1185).
2. Die germ. Wörter können auch aus mlat.
canna f. entlehnt sein. Das zugrunde lie-
gende lat. canna ‚Schilf, Rohr‘ hätte dann
eine Bedeutungsverengung zu ‚Gefäß mit
einer engen Ausgussöffnung‘ erfahren (in
dieser Bedeutung ist das Wort lediglich
in afrz. channe, prov. cana ‚Kanne‘ fort-
gesetzt). Jedoch bleibt hier die Schwie-
rigkeit, dass es für die anzunehmende Be-
deutungsverengung keine schriftlichen Be-
lege gibt. Für diese Entlehnungsrichtung
könnte aber ahd. kannata, kanta ‚Kanne‘
(s. d.) sprechen, das aus der lat. Weiter-
bildung cannāta (aus einer Fügung ōlla
cannāta ‚mit Ausgussöffnung versehener
Topf‘) entlehnt wurde. Denn die adj. Wei-
terbildung macht bei einer bereits entlehn-
ten Grundbedeutung ‚Kanne‘ weniger Sinn
als bei einer Bedeutung ‚Rohr‘.
Sicher abzulehnen ist die ältere Verbindung mit mir.
gand ‚Gefäß‘, die zusammen auf eine Grundform
uridg. *gandhneh₂- zurückgeführt wurden. Bei der
Annahme eines Erbwortes im Germ. wären dann
nämlich die Wörter für ‚Kanne‘ von aisl. kani ‚Schüs-
sel‘ zu trennen, was kaum wahrscheinlich ist (vgl.
Lühr 1988: 204).
Walde-Pokorny 1, 535; Pokorny 351; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. 1, 154; Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 93; Thes. ling. lat. 3, 261 f.; Niermeyer, Med. Lat.
lex.² 1, 166f.; Du Cange² 2, 96 f.; Körting, Lat.-rom.
Wb.³ Nr. 1833; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr.
1596 f.; Dict. of Irish G-42. — Müller-Frings 1966—68:
1, 121 f. 189; 2, 151; Lühr 1988: 204 f.
S. kannata.