êwa¹AWB f. jō- (ō-)St.; in alem. Gl. des 8. u.
9. Jh.s ein paarmal êwî¹AWB f. īn-St. (zum Verhält-
nis der īn-Stämme zu den langstämmigen jō-
Stämmen vgl. Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss.
II § 30; Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 210 Anm. 2. 231
Anm. 1; sichere Belege für n-Stämme fehlen
dem Ahd.: euon Williram 65, 5 läßt sich als
Gen. Sg. oder Pl. fassen und ist deshalb nicht
ausschlaggebend): ‚Gesetz, Recht, Regel, Ge-
bot, (Altes und Neues) Testament, Vertrag, re-
ligiöser Brauch; lex, ius, praeceptum, canon,
fas, testamentum, conditio, pactum, ceremonia,
religio‘ 〈Var.: euu-, aeuu-, eh-, e- (vgl. Braune,
a. a. O. § 110 Anm. 1. 3), e (spätahd., mhd.); in
Zss. und Ableitungen ist die gewöhnliche Form
ê- oder êo-; seltener kommt êa- (êha-) vor,
nur vereinzelt êwa-. Vgl. Gröger, Ahd. u. as.
Komp.fuge § 93〉. — Mhd. ê (selten êwe) st.f.
‚Recht, Gesetz, (Altes u. Neues) Testament,
Ehe‘; frühnhd. e f. ‚Gesetz, Testament, Ehe‘,
nhd. Ehe f. (obd. veraltet noch mit der frühe-
ren Bed. in Zss. wie ehehaft ‚gesetzlich, recht-
mäßig‘ [vgl. nddt. echt > nhd. echt], → êo-
haft).
Die Bed. ‚Ehe‘ kommt ahd. noch nicht vor. Der einzi-
ge Beleg bei Notker (Ps. 146, 8) ist eine im 13. Jh.
nachgetragene Glosse (vgl. Sehrt-Starck, Notkers d.
Dt. Werke III, 3, 1041); sonst nur Gl. 3, 68, 70 (Clm.
23796, 15. Jh.).
Ahd. Wb. III, 446 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 191; Schütz-
eichel⁴ 104; Starck-Wells 135. 805; Graff I, 510 ff.;
Schade 155; Lexer I, 715 f.; Benecke I, 450 f.; Diefen-
bach, Gl. lat.-germ. 326 (lex); Dt. Wb. III, 39 f. 43;
Dt. Wb.² VII, 109 f. 126 f.; Weigand, Dt. Wb.⁵ I,
405 f.; Trübners Dt. Wb. II, 131 f.; Kluge²¹ 152; Klu-
ge²² 166; Pfeifer, Et. Wb. 330. — H. Wesche, PBB 61
(1937), 13. 20 ff.
Entsprechungen des dt. Wortes sind aufs West-
germ. beschränkt: as. ēo (ēu) m. wa-St. (z. T.
unregelmäßig, vgl. Holthausen, As. El.buch
§ 280 Anm. 1; Gallée, As. Gr.² § 305 Anm. 1)
‚Gesetz, (Altes) Testament‘, mndd. ē, ee, ēhe,
selten ēwe f. (selten m.) ‚Gesetz, Gebot, Bund,
Religion, Ehe‘; andfrk. ēwa f. n-St. ‚lex‘ (vgl.
Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 98. 112; Kyes,
Dict. of O. Low and C. Franc. Ps. 20 [jedoch f.
ō-St.], nom. sg. euua, dat. sg. euun; die Formen
können z. T. auch mfrk. sein), mndl. ēwe, ee f.
und m. ‚Gesetz, Ehe‘, nndl. nur noch in eegade
‚Gatte, Gattin‘ und echt (< *êhaft) adj. ‚echt,
rechtsgültig (Ehe)‘, subst. ‚Ehe‘; afries. ā, ē,
ēwe, ēwa f. ‚Gesetz‘ (vgl. W. L. van Helten, IF
19 (1906), 192. 195 f.; ders., Aostfries. Gr. § 22
Anm. 1); ae. ǣ, ǣw f. i-St. ‚Gesetz, heilige
Schrift, Ritus, Sitte, Ehe‘, me. ē, æ, æw ‚Gesetz
(Gottes), rechtsgültige Ehe‘, ne. ausgestorben.
Fick III (Germ.)⁴ 4; Holthausen, As. Wb. 16; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 103; Berr, Et. Gl. to Hel. 98; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 507; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 618 f.; Verdam, Mndl. handwb.
171; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 146. 147; Suppl. 43;
Vries, Ndls. et. wb. 148. 149; Holthausen, Afries.
Wb.² 1. 23; Richthofen, Afries. Wb. 584; Holthausen,
Ae. et. Wb. 8; Bosworth-Toller, AS Dict. 24; Suppl.
25; Sievers-Brunner, Ae. Gr.³ § 134, 2. 173 Anm. 1a.
269; ME Dict. E-F, 1. — J. Weisweiler, Streitberg-Fest-
schrift (1924) 422 ff.
Die Herkunft dieses westgerm. Wortes ist um-
stritten. Wahrscheinlich handelt es sich um ein
ursprl. mit êwa² ‚Ewigkeit‘ (s. d.) identisches
Wort, das nur im Westgerm. die Sonderbed.
‚das ewig Geltende, von Anfang an Ererbte‘ =
‚Gewohnheitsrecht‘ entwickelt hat. M. Mincoff,
AfdA. 53 [1934], 232 verweist auf eine slav. Par-
allele, aksl. zakonъ ‚Gesetz‘, eigtl. ‚Anfang‘, das
in einigen slav. Sprachen auch die weitere Ent-
wicklung zu ‚Ehe‘ durchgemacht hat (daneben
kommen auch Bed. wie ‚Gebrauch, Gewohn-
heit, Religion usw.‘ vor; vgl. Berneker, Slav. et.
Wb. I, 560; Vasmer, Russ. et. Wb. I, 439).
Trotz F. Mezger, Zfvgl.Spr. 79 (1965), 38 ff.; J. Puh-
vel, IF 83 (1978), 138 ff. bleibt got. aiwiski ‚Schande‘
aus semantischen Gründen fern. Daß aus einer Grund-
bed. ‚Gesetz, gesetzliche Ehe‘ ohne Präfix die Bed.
‚Schande‘ entstehen könnte, ist sehr zweifelhaft, und
der Versuch Mezgers, die beiden Begriffe auf die idg.
Grundbed. ‚Lebenskraft‘ zurückzuführen („das zur
Lebenskraft Gehörige, aus der Lebenskraft Entsprun-
gene“), scheitert daran, daß sich die Bed. ‚Lebens-
kraft‘ im Germ. weder für êwa¹ noch für êwa² nach-
weisen läßt und daß die Bed. ‚Gesetz‘ im Germ. älter
ist als die Bed. ‚Ehe‘ (deshalb ist die Reihenfolge ‚Le-
benskraft > Ehe > Gesetz‘, die H. Beck, in Güntert-
Gedenkschrift 54 erwägt, nicht möglich). Die angebli-
chen Parallelen im ae. hǣmed ‚Beischlaf, Heirat‘, hǣ-
man ‚beischlafen, heiraten‘ usw. sind ganz anders zu
beurteilen: die Grundbed. war wohl ‚beischlafen‘ (vgl.
gr. κοιμάω ‚bringe zu Bett‘); ob der Beischlaf inner-
halb oder außerhalb der Ehe stattfand, spielte keine
Rolle. — Zur umstrittenen Etym. von got. aiwiski s.
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 30; Lehmann, Gothic Et.
Dict. A-97.
Möglich, aber weniger wahrscheinlich ist eine
andere etym. Erklärung, nach der ahd. êwa¹
usw. mit aind. éva- m. ‚Lauf, Gang‘, pl. ‚Ge-
wohnheit, Sitte‘ (< *oi̯u̯o-, zur idg. Wz. *ei̯-
[**H₁ei̯-] ‚gehen‘; vgl. Pokorny 295 f.; Mayrho-
fer, K. et. Wb. d. Aind. I, 129) zu vergleichen
ist. Weder lautlich noch semantisch ließe sich et-
was gegen diesen Vergleich einwenden (trotz
Seebold, Etymologie 92 ist die Bed. ‚Sitte‘ bei
dem aind. Wort doch nachzuweisen; vgl.
H. Grassmann, Wb. z. Rig-Veda [Leipzig,
1873] 302 f.); jedoch fällt auf, daß das Wort le-
diglich im Westgerm. und Aind. vorkäme. Wenn
es sich aber um eine gemeinidg. Ableitung der
weitverbreiteten Wz. *ei̯- handeln würde, wären
wenigstens Spuren davon auch in anderen Spra-
chen zu erwarten. Andererseits käme eine ein-
zelsprachliche westgerm. Bildung, die nur zufäl-
lig dem Aind. ähnelt, kaum in Frage.
W. Schulze, Zur Gesch. lat. Eigennamen 435 Anm. 3,
glaubte, Spuren von idg. *oi̯u̯o- mit der Bed. ‚Art und
Weise‘ in got. ƕaiwa ‚wie‘, gr. ποῖος ‚wie beschaffen?‘,
τοῖος ‚so beschaffen‘ gefunden zu haben (zustimmend
Brugmann, Grdr.² II, 1, 207; E. Fraenkel, Glotta 32
[1952—53], 19), eine Erklärung, die heute allgemein
abgelehnt wird (vgl. Lehmann, Gothic Et. Dict. ƕ-5;
Frisk, Gr. et. Wb. II, 908; Chantraine, Dict. ét. gr.
1123. Die lit. Zss. péreiva, péreivis ‚Landstreicher‘
usw. haben nicht nur eine andere Ablautstufe und ab-
weichende Bed., sondern sind nach F. Specht,
Zfvgl.Spr. 65 (1938), 201 f. Anm. 6 zudem von einem
Adj. *ejùs abgeleitet.
Aus sachlichen und bedeutungsgeschichtlichen
Gründen ist der Vergleich von ahd. êwa¹ mit
lat. aequum ‚Billigkeit‘ abzulehnen (vgl. F. Kern,
Recht und Verfassung [Basel, o. J.] 15 f.; K. v.
Amira, Grdr. d. germ. Rechts³ [Straßburg, 1913]
11; dagegen Weisweiler, a. a. O. 458; K. von See,
Anord. Rechtswörter [Tübingen, 1964] 93
Anm. 65). Vgl. Handwb. z. dt. Rechtsgesch. (Ber-
lin, 1971) I, 1027 ff.
Ebenso verfehlt ist E. Seebolds Versuch (Etymologie,
89 ff.; Kluge²² 166), sowohl êwa¹ als êwa² auf eine
idg. Grundform *ai̯eu- ‚lenken, verbinden‘ zurückzu-
führen, wozu auch lat. iūs ‚Recht‘ und iūgis ‚fortwäh-
rend, ewig‘ gehören sollen. Semantisch wäre dies viell.
für êwa¹ ‚Gesetz‘ möglich (schon R. Meringer, IF 17
[1904/05], 144 verknüpfte lat. iūs mit lat. iungere;
vgl. auch Pokorny 512: viell. zu *i̯eu- ‚verbinden‘;
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 733 bezeichnen diese
Verknüpfung als „ganz hypothetisch“), aber bei êwa²
‚Ewigkeit‘ wird diese Deutung durch die für die indo-
iran. und gr. Verwandten nachweisbare Grundbed.
‚Lebenskraft‘ ausgeschlossen. Seine rekonstruierte
Grundform *ai̯eu- : *ai̯u̯- : *i̯eu- (ähnlich schon Hirt,
Idg. Ablaut 151; ders., Idg. Gr. II § 183) ist fast iden-
tisch mit der von Benveniste, BSLP 38 (1937), 103 ff.
angesetzten, aber dieser wollte dadurch die Verknüp-
fung von êwa mit den idg. Wörtern für ‚jung‘ nachwei-
sen (→ jung). Lautlich sind beide Verknüpfungen als
theoretisch möglich, aber höchst unsicher zu bezeich-
nen.