erbiAWB n. ja-St. ‚Erbe, Erbgut, Besitz, heredi-
tas, patrimonium, possessio‘ 〈Var.: arb-, arp-,
eru-, herb-, herib-, hereu-〉. — Mhd. erbe n.,
nhd. Erbe n.
Ahd. Wb. III, 353 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 187; Schütz-
eichel⁴ 103; Starck-Wells 129. 804; Graff I, 405; Scha-
de 25; Lexer I, 609; Benecke I, 439; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 275 (hereditas). 417 (patrimonium). 449
(possessio); Dt. Wb. III, 708 ff.; Kluge²¹ 170; Kluge²²
183 f.; Pfeifer, Et. Wb. 369.
Das Wort hat Entsprechungen in allen germ.
Sprachen: as. eri, ervi n., mndd. erve, arve n.;
andfrk. er(e)ue n., mndl. erve, arve n. (auch f.),
nndl. erf n.; afries. erve n., nfries. arf(e), arve;
ae. ierfe, irfe, yrfe n. (me. erve nur noch in den
Zss. erve-nāme, erv-ward ‚der Erbe‘ und mit
der Bed. ‚Vieh‘, s. u.); got. arbi n. Daneben
kommen ost- und westgerm. mask. jan-Stämme
mit der Bed. ‚der Erbe‘ vor; → erbo.
Die nordgerm. Verhältnisse sind komplizierter.
Im Aisl. hat das den ost- und westgerm. formal
entsprechende Wort erfi n. nur die Bed. ‚Lei-
chenfeier, Begräbnismahl‘, aber poet. Zss. wie
erfi-nyti, erfi-vǫrðr (vgl. as. erbiward, ae. ierfe-
weard) ‚der Erbe‘ setzen für dieses Wort auch
die Bed. ‚das Erbe‘ voraus (die üblichen aisl.
Wörter für ‚das Erbe‘ sind arfr m. [nnorw. ndän.
nschwed. arv], erfð f.); aschwed. ærve bedeute-
te sowohl ‚Leichenfeier‘ als auch ‚das Erbe‘;
schon run. norw. kommt arbija ‚Leichenfeier‘
vor (Tune, ca. 400; Krause, Runeninschr. im ä.
Futhark Nr. 55; anders E. H. Antonsen, Conc.
gr. of older Runic inscr. [Tübingen, 1975] 45).
Zur Entwicklung der nordgerm. Sippe vgl.
O. Grønvik, The Words for ‚heir‘, ‚inheritance‘
and ‚funeral feast‘ in early Gmc. (Oslo, 1982).
Wahrscheinlich dasselbe Wort ist ae. i(e)rfe, yrfe
‚Vieh‘ (= ‚wertvolles Besitztum oder Erbe‘; zur Bed.
vgl. dt. Vieh : engl. fee ‚Lehensgut; Gebühr‘, oder aisl.
gripr ‚Wertsache‘, später auch ‚Vieh, Pferd[e]‘); vgl.
aisl. arfr ‚Ochse‘; ablautend ae. orf ‚Vieh‘, aber inorf :
ini(e)rve ‚Hausgerät‘ (zum Ablaut s. Lühr, Stud. z.
Hildebrandlied II, 507 Anm. 1). Für abweichende Ety-
mologien vgl. Vries, Anord. et. Wb.² 13.
Fick III (Germ.)⁴ 19; Holthausen, As. Wb. 17; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 105; Berr, Et. Gl. to Hel. 100; Helten,
Aostndfrk. Psalmenfrg. 98 (Index); Kyes, Dict. of
O. Low and C. Franc. Ps. 20; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 611; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
734; Verdam, Mndl. handwb. 169; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 157; Suppl. 46; Vries, Ndls. et. wb. 160;
Holthausen, Afries. Wb.² 21; Richthofen, Afries. Wb.
715 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I,
54 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 186. 242 (orf); Bos-
worth-Toller, AS Dict. 593 f. 596. 598. 765. 1300;
Suppl. 594. 595 f. 676; ME Dict. E-F, 238 f.; OED²
V, 368; Vries, Anord. et. Wb.² 13. 103; Jóhannesson,
Isl. et. Wb. 89 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord.
6. 51; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 348 ff.; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 34; Torp, Nynorsk et. ordb.
90; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 34; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 56; Lehmann, Gothic Et. Dict. A-193.
Dem germ. *arija- entspricht in Form und Bed.
nur air. orb(b)e, orpe n. ‚das Erbe‘ (< *orbhi̯o-);
daneben auch orb(b) m. (< *orbho-) ‚das, der
Erbe‘; vgl. aisl. arfr. Verwandt, aber mit ver-
schiedener Stammbildung (idg. *orbho-) und
Bedeutung sind: aind. árbha- ‚klein, schwach,
im Kindesalter befindlich‘ (trotz Benveniste,
Hitt. et I.-E. [Paris, 1962] 11 f.; zur Bed. vgl.
die slav. Wörter unten); arm. orb ‚Waise‘; gr.
ὀρφανός ‚verwaist, beraubt‘; lat. orbus ‚einer Sa-
che beraubt, verwaist‘; aksl. rabъ ‚Knecht, Die-
ner, Sklave‘, aruss. robja ‚Kind‘ usw. (< urslav.
*orb- mit Liquidenmetathese). Wahrscheinlich
sehr früh aus dem Idg. entlehnt: finn. orpo
‚Waise; verwaist‘ (vgl. A. Joki, Uralier u. Indo-
germanen [Helsinki, 1973] 297 f.).
Die Verbalwz. liegt vielleicht in heth. ḫarp-
‚(sich) absondern‘ vor (aber fern bleibt heth. ar-
pa- ‚Ungunst, Mißerfolg‘). Die ursprl. Bed. von
idg. *orbho- [**H₂orbho-] war wohl ‚abge-
trennt, hinterlassen‘; als Subst. ‚Hinterlassung,
das Hinterlassene‘, woraus sich sowohl der Be-
griff der Erbschaft als auch der des Elends eines
armen Waisenkindes entwickelten. Germ. *ari-
ja- hatte also wohl ursprl. die Bedeutung ‚das
Hinterlassene‘ = ‚Hinterlassenschaft, verwai-
stes Gut‘ (wie bei lat. hērēs, -ēdis ‚Erbe‘, gr.
χηρωσταί ‚Seitenverwandte, die einen Verstor-
benen mangels näherer Verwandter beerben‘,
beides zu *g̑hero- ‚verwaistes Gut‘, vgl. gr.
χῆρος ‚verwitwet, verwaist, beraubt, leer‘, χήρα
‚Witwe‘); anders Kluge²¹ 170; Pfeifer 369 u. a.:
*arija- bedeutete ‚das einer Waise (einem Hin-
terlassenen) Gehörige‘; vgl. auch Lühr, a. a. O.
Nach N. Reiter, Zf.Balkanologie 13 (1977), 125 ff. be-
zeichnete idg. *orbho- dagegen ‚ein Abhängigkeitsver-
hältnis‘ und hatte ursprl. nichts mit ‚verwaist‘ zu tun.
Diese trotz der Zustimmung von E. P. Hamp, Zf.Bal-
kanologie 17 (1981), 32 f. sehr fragliche Deutung wür-
de die Verknüpfung mit heth. ḫarp- ausschließen.
Die früher allgemein herrschende Ansicht, daß
germ. *arija- wie auch andere germ. Rechts-
wörter aus dem Kelt. entlehnt wurden, ist seit
den fünfziger Jahren in Frage gestellt worden
(Weiteres → eid mit Lit.). Sicher ist, daß es eine
einheimische germ. Wz. *ar- gab, die in Wör-
tern wie ahd. arbeit, arm²(?) vorkommt; des-
halb ist germ. *arija- kaum als kelt. Lehnwort
zu betrachten. Ob der Gebrauch dieses Wortes
in einem neuen, im Idg. sonst nicht bezeugten
Sinn ‚Erbe‘ durch das kelt. Rechtssystem beein-
flußt wurde oder ob es sich um eine gemeinsame
nordwestidg. Entwicklung handelt (vgl. Grøn-
vik, a. a. O.), läßt sich nicht feststellen.
Walde-Pokorny I, 183 f.; Pokorny 781 f.; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. I, 52; ders., Et. Wb. d. Altindoar.
I, 119 f.; Hübschmann, Arm. Gr. I, 482; Boisacq, Dict.
ét. gr.⁴ 719; Frisk, Gr. et. Wb. II, 431; Chantraine,
Dict. ét. gr. 829; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II,
219 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 466 f.; Sadnik-
Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Texten 11. 291
(Nr. 731); Vasmer, Russ. et. Wb. II, 499 f.; Vendryes,
Lex. ét. de l’irl. anc. O-27; Dict. of Irish O-152 f.; Pe-
dersen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I § 26, 1. 73; Tischler,
Heth. et. Gl. 65 f. 179 f.; Puhvel, Hitt. Et. Dict. I, 169;
Oettinger, Stammbildung d. heth. Verbums 524. —
E. Benveniste, I.-E. Lang. and Society (Coral Gables,
Florida, 1973) 68 f.