*dio adj. wa-St., nur Notker (Piper) II,
114, 9 acc.pl.masc. téuue: ‚unfrei‘; daneben tritt
ein dio in Komposita, Ableitungen (→ untar-
dio, → diomuoti, → dioheit) und in PN auf:
ahd. Helm-dio (a. 812; -theo a. 828, -deo a.
836), Hama-dio (Hamedeos a. 766, Hamadeo
a. 788, 802, -thio 8. Jh., -dhio a. 855, Hamidio
a. 1060 usw.; s. u. aisl. Ham-ðir). Während in
den PN und in dioheit ein Subst. *dio ‚Diener‘
und in diomuoti ein gleichlautendes Adj. vor-
liegt (→ diomuoti), ist die Bildeweise des Kom-
positums untardio unklar. Sollte das zweite
Kompositionsglied ein Adj. sein, zu dem sich
ein präpositionaler erster Bestandteil nach dem
Vorbild des Adj. ahd. *untartân ‚untertänig‘
(mhd. undertân, → untartânî ‚Untertänigkeit‘)
gebildet hat, so ist dio im Ahd. dreimal in ad-
jektivischer Funktion belegt.
Daß mit téuue in gótes fórhtun, diû iûh frî getuôt náls
téuue bei Notker der Konjunktiv des Verbs gemeint
sein soll (R. Kögel, PBB 9 [1984], 538 als Möglich-
keit) wie in Gl. 2, 238, 36 theune ‚humiliat‘, ist auf-
grund des Kontextes unwahrscheinlich.
Splett, Ahd. Wb. I, 136; Schützeichel⁴ 90; Graff V,
89; Schade 99; Sehrt-Legner, Notker-Wortschatz 65;
Schatz, Ahd. Gr. § 377; Förstemann, Adt. Namen-
buch2-3 I, 745. 812. — Seiler, Entw. d. dt. Kultur II, 5;
F. Kluge, PBB 35 (1909), 149; F. Melzer, Der christ.
Wortschatz der dt. Spr. (Lahr/Baden, 1951), 122 f.;
A. Dihle, in Reallex. für Antike und Christentum III,
1957, 735 ff.; J. Knobloch, Orbis 9 (1960), 428;
R. Wisniewski, in de Boor-Festschrift 55 ff.; U. Pretzel,
Mhd. Bedeutungskunde (Heidelberg, 1982), 85; I. Stra-
ßer, in Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, hrsg.
von H. Löwe (Stuttgart, 1982), 420; M.-L. Rotsaert,
in Althochdeutsch II, 1048 ff. (allesamt zu Demut).
In den germ. Sprachen gibt es nur im Ae. eine
Entsprechung zu dem ahd. Adj.: ae. ðēo(w) adj.
‚knechtisch, unfrei‘, das häufig auch als mask.
Subst. ‚Diener, Knecht‘ (me. þēow, ne. archa-
isch theow, thew) neben dem sw. Subst. ðēowa
vorkommt. Da das ae. Adj. im Ahd. eine Ent-
sprechung hat, braucht es nicht, wie Darms,
Schwäher und Schwager 61 meint, aus der Fü-
gung þēow monn ‚Diener‘ gegenüber frēo monn
‚Freier‘ = ‚freier Mann‘ rückgebildet worden zu
sein.
Dem Subst. entsprechen as. thio- z. B. in thiolī-
ko (ahd. deolîhho) ‚demütig‘ und in PN; run.
Thorsberg um 200 -þewar ‚Gefolgsmann, Die-
ner‘ (in Wolþu-þewar oder W[u]lþu-þewar),
Valsfjord um 400 þewar, aisl. -þír, -þér nur in
PN (z. B. Egg-þér, Ham-ðír, Sigþér, Ullþér,
Hjalmþír), got. *þius ‚Knecht, παιδάριον, οἰ-
κέτης‘ (nur nom. pl. þiwos, gen.pl. þiwē): < ur-
germ. *þewa-.
Das Wort für ‚Diener‘ erscheint sonst als Ableitung
von dem Verb dienen mit der Fortsetzung des aus dem
Lat. entlehnten Suffixes -ārius → dionri. Auf andere
Weise gebildet ist ält. ndän. tiuende, tjund(e), tynd,
ndän. tyende; vgl. die Bildeweise von ält. ndän. dyan-
de, ndän. dynd ‚Schlamm‘, das zu aisl. dý n. ‚Pfütze,
Sumpf‘ gehört.
Fick III (Germ.)⁴ 177; Holthausen, As. Wb. 78; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 606; Berr, Et. Gl. to Hel. 409; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 413; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 503; Verdam, Mndl. handwb. 135;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 116; Vries, Ndls. et. wb.
108 f. 115; Holthausen, Afries. Wb.² 110; Richthofen,
Afries. Wb. 1071; Holthausen, Ae. et. Wb. 362; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 1053 f.; Suppl. 729; Strat-
mann-Bradley, ME Dict.³ 632; OED² XVII, 904;
Vries, Anord. et. Wb.² 609; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
433; Krause, Die Runeninschr. im ä. Futhark I, 123 ff.,
Nr. 55; ders., Spr. d. urnord. Runeninschr. § 16. 35, 1.
62. 74. 79. 88, 1; Nr. 99. 111; Falk-Torp, Norw.-dän.
et. Wb. 1307; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 497 f.; Leh-
mann, Gothic Et. Dict. þ-44.
Urgerm. *þewa- weist auf eine Vorform *þe-
wa- < vorurgerm. *teku̯ó- — in den Kasus, in
denen auf den Labiovelar ein heller Vokal (z. B.
gen.sg. *þewesa) folgte, ist geschwunden
(vgl. den PN run. WiwaR nach urgerm. *Wi-
wesa- usw. zu *Wiwa-). Theoretisch ist auch
eine Vorform *teku̯o- < *teku̯-u̯ó- möglich, in
der das labiale Element *u̯ vor u̯ geschwunden
ist. Liegt in ahd. *dio eine solche Vorform vor,
so entspricht ahd. dio unmittelbar dem Adj.
aind. takvá- ‚eilend, schnell, rasch‘ (so K. Brug-
mann, IF 19 [1906], 381; Mayrhofer, K. et.
Wb. d. Aind. I, 467; ders., Et. Wb. d. Altindoar.
I, 610 f. [jedoch ohne Erwähnung des Germ.]),
einer Ableitung von der Wz. uridg. *teku̯- ‚lau-
fen‘, die die Kontinuante eines u̯o-Suffixes auf-
weist (< *teku̯-u̯ó-).
Der Ansatz von *ku̯ und nicht von *k ergibt sich aus
dem Kelt., und zwar aus brit. PN Vo-tepo-rīx,
mkymr. go-dep ‚Zufluchtsstätte‘ < *upo-teku̯o-; vgl.
auch heth. 3. Sg. u̯a-at-ku-uz-zi, 3. Pl. u̯a-at-ku-u̯a-
an-zi ‚springt, entspringt‘ [< uranatol. Sg. *u̯o-téku̯-
ti, Pl. *u̯o-tku̯-énti; vgl. aind. tákti, s. u.]; s. Oettin-
ger, Stammbildung d. heth. Verbums 235 ff.
Von der Bedeutung her ist mit den Wörtern für
‚Diener‘ das ebenfalls von der Wz. uridg. *teku̯-
abgeleitete lett. teksnis ‚Aufwärter, Bedienter‘
(i̯o-Ableitung von einem Verbalnomen auf
*-sn-?) zu vergleichen; zur Grundbedeutung
‚Läufer‘ vgl. ferner gr. τρόχις ‚Bote, Läufer‘ (zu
τρέχω ‚laufe, eile‘), ahd. dregil, drigil m. ‚Die-
ner‘, aisl. þræll m. ‚Sklave, Diener‘ (zu got.
þragjan ‚laufen‘ < *trokéi̯e-; s. R. Lühr, Sprach-
wissenschaft 10 [1985], 300 Anm. 202).
Da nach C. Peeters, IF 81 (1976), 29 f. eine Ableitung
von der Wz. uridg. *teku̯- im Got. *þaihws und im
Ahd. *deh ergeben hätte, postuliert er für got. *þius
eine Wz. uridg. *teu̯-, die jedoch sonst nicht in einer
zu dem Wort ‚Diener‘ stimmenden Bedeutung nach-
weisbar ist. Zudem ist die von ihm vertretene Auffas-
sung, wonach urgerm. *ew nicht mit *eu̯ zusammen-
gefallen wäre, nicht einsichtig, da *u̯- vor hellem Vo-
kal ein *w ergibt (s. o.).
Das im Got. belegte þēwisa ‚δοῦλοι, Knechte‘ hat
Brugmann, a. a. O. 381 f. als Vddhibildung zu got. þi-
us ‚Knecht‘ erklärt. Obwohl nach Darms, a. a. O. 63 ff.
von der Bedeutung her kein Einwand gegen diese Auf-
fassung (‚Gesinde‘ : ‚Knecht‘) besteht, würden sich
formal Schwierigkeiten ergeben: Eine Vddhiableitung
zu urgerm. *þewa- müßte *þēwa- oder *þēwi- lau-
ten, ein Suffix -isa- sei bei derartigen Bildungen sonst
nicht nachweisbar und eine Akzentuierung der Mittel-
silbe anstatt der Endsilbe (*tēku̯esó-) sei nicht möglich.
Doch kann, wie Darms selbst sagt, die Kontinuante
eines *tēku̯esó-, urgerm. *þēwiza-, im Got. durch Spi-
rantendissimilation zu þēwisa geworden und das Wort
wie *hōnes- n. ‚Hühner‘ (Mehrzahl von Einzeltieren
der Gattung Hausgeflügel), das ebenfalls eine
Vddhiableitung darstellt, gebildet sein. Dem Ein-
wand von Darms, daß bei dieser Auffassung eine
Rückführung von *þewa- auf *þewa- < *teku̯-u̯ó-
nicht möglich sei, da man als Vddhiableitung ein
*tḗku̯-u̯o- (> urgerm. *þēhwa-) erwarten würde,
könnte man mit dem Hinweis auf die gelegentliche
Beibehaltung der Endbetonung des Grundwortes in
der Vddhiableitung im Aind. (Wackernagel, Aind.
Gr. II, 2 § 40d; doch s. dazu Darms, a. a. O. 65) und
dem zuweilen gleichbleibenden Akzent zwischen
Grundwort und Vddhiableitung im Germ. begegnen;
vgl. z. B. das Verhältnis von ahd. gras ‚Gras‘ zu mhd.
gruose ‚Saft der Pflanzen, junger Trieb‘ (Genaueres
bei Darms, a. a. O. 252 ff. 314). Jedenfalls ist die Er-
klärung von got. þēwisa als Vddhiableitung viel
wahrscheinlicher als etwa der Vergleich mit der Bilde-
weise von lett. teksnis (s. o.), der Ansatz eines s-Stam-
mes *téku̯es-, das ‚Laufen‘ bedeutet haben müßte und
so als Basis einer Vddhiableitung der Bedeutung ‚Ge-
sinde‘ unwahrscheinlich ist, oder die Annahme eines
erstarrten Part.Perf.aktiv des Typs got. berusjos ‚El-
tern‘ (Walde, Germ. Ausl.ges. 179; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 495), alles Möglichkeiten, die Darms disku-
tiert (Lehmann, Gothic Et. Dict. þ-33).
Kontinuanten der Wz. *teku̯- sind außer im
Germ., Indoar., Kelt. und Heth. (s. o.) auch im
Alb., Slav., Balt. und Toch. bezeugt: im Aind.
vgl. ferner aind. takti ‚eilt, schießt dahin‘, taktá-
‚dahinschießend, flüchtig‘, táku- ‚eilend, rasch,
regsam‘; jav. taciṇti ‚sie fließen‘, jav. taka- m.
‚Laufen, Lauf‘ (= npers. tak, tag ‚Lauf‘; aksl.,
aruss. tokъ, russ. tók ‚Lauf, Strömung‘; lit. tã-
kas, lett. taks ‚Pfad‘); npers. tek ‚schnell, Lauf‘,
mpers. tāχtan ‚laufen‘, npers. hantačina- ‚zu-
sammenfließend‘ (= lit. tẽkinas ‚laufend‘); alb.
ndjek ‚verfolge, vertreibe, jage‘, ndjekes m.
‚Verfolger‘; ksl. tekǫ (tešti) ‚τρέχω‘, bulg. teká
‚laufe, fließe‘, serbo-kroat. tèčȇm, tèći ‚fließen‘
(dazu das Kausativ ksl. točiti, serbo-kroat. tòči-
ti ‚schütten, wetzen, schleifen‘ usw.); lit. tekù,
tekti ‚laufen, fließen; aufgehen (von der
Sonne); heiraten (von der Frau)‘, tekm ‚Quelle,
Flüßchen‘, teklas ‚Schleifstein‘; lett. teku, tecêt
‚fließen, laufen‘ (lit. tekti und lett. tecêt sind
Neubildungen zum Präs.), teksni-s (s. o.);
apreuß. tackelis ‚Schleifstein‘; air. techid ‚flieht,
läuft weg‘, mir. in(n)tech m. (früher vielleicht n.)
‚Weg‘ (< *eniteku̯o-); mkymr. tebet ‚Flucht‘;
bret. tec’het ‚fliehen‘ (Weiteres s. o.); toch. B ca-
ke ‚Fluß‘ (< s-Stamm *téku̯os).
Walde-Pokorny I, 715 f.; Pokorny 1059; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. I, 466; ders., Et. Wb. d. Altindoar.
I, 610; Reichelt, Aw. El.buch² 446; Bartholomae, Ai-
ran. Wb. 626; Horn, Grdr. d. npers. Et. 87; Hübsch-
mann, Pers. Stud. II, 391; Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr.
300; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 316; Miklosich, Et.
Wb. d. slav. Spr. 347 f.; Vasmer, Russ. et. Wb. III, 89.
113 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1074 f.; Mühlenbach-
Endzelin, Lett.-dt. Wb. IV, 152 ff.; Fick II (Kelt.)⁴
125; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. T-40; Dict. of Irish
I-288. T-111 f.; Friedrich, Heth. Wb. 250; Eichner,
Unters. z. heth. Dekl. 59; Oettinger, a. a. O.; Winde-
kens, Lex. ét. tokh. 51; ders., Le tokharien 17. 80. 87.
132; Lidén, Toch. Sprachgesch. 35.
Von einer ganz anderen Wz. als *teku̯- stammt ahd.
degan ‚Krieger‘ her; (< *tek- ‚gebären‘ → degan und
vgl. Zupitza, Germ. Gutturale 76 f.; unrichtig P. Pers-
son, Zfvgl. Spr. 33 [1895], 291; Weiteres Lühr, Ex-
pressivität 334 f.). Ebenso ist lat. tīrō, -ōnis m. ‚junger
Soldat; Anfänger, Lehrling‘ von ahd. dio (zweifelnd
F. Solmsen, Zfvgl. Spr. 34 [1897], 2) zu trennen (Wal-
de-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 685).