fizzusAWB [-ts-] adj., Murb. H., Notker, Gl. seit
dem 9. Jh.: ‚klug, schlau, arglistig, hinterlistig,
verschlagen, betrügerisch, astutus, callidus, do-
losus, versipellis, versutus‘ 〈Var.: u-, v-; -z-,
-c-; -es-, -is-〉. Das Wort fehlt im Mhd. und
Nhd. und hat keine Entsprechungen in ande-
ren germ. Sprachen.
Ahd. Wb. III, 936 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 240; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 297; Schützeichel⁵ 135; Starck-Wells
161; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 191; See-
bold, ChWdW8 129; Graff III, 737 f.; Schade 202;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 90 f. (callidus); Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 60 (astutus). 83 (callidus). 210 (dolosus).
703 (versipellis, versutus).
Die Herkunft dieses Wortes ist völlig dunkel.
Schon die Form bereitet Schwierigkeiten, denn
Adj. auf -us gibt es im Ahd. sonst nicht (die got.
u-Stämme sind natürlich nicht zu vergleichen).
Wie J. Grimm, Dt. Wb. III, 1628 f. (s. v. fiesz)
schon vermutet hat, könnte es sich um Reste ei-
nes idg. Part.Perf.Akt. (*-u̯es-) : *-u̯os- : *-us-
handeln (vgl. A. Noreen, IF 4 [1894], 324 f.;
Brugmann, Grdr.² II, 1, 563 ff.; Grimms Erklä-
rung ist aber sonst verfehlt; s. u.) — unklar bleibt
dabei die Affrikata.
Wäre ein Rest einer sonst nicht belegten westgerm.
Gemination von germ. t vor w in diesem isolierten al-
ten Wort möglich? Dann hätte idg. *pid-u̯os- : -us
westgerm. *fittwaz- : *fituz- und mit analog. Übertra-
gung des Doppelkonsonanten *fittuz ergeben. Eine
von idg. *pidus- vorausgesetzte idg. Wz. *pei̯d- : *pid-
ist aber unbekannt.
Seit W. de Vries, Tijdschrift 42 (1923), 25 ff. wird ahd.
fizzus meistens zu got. fitan st. v. oder sw. v. III? ‚krei-
ßen, in Geburtswehen liegen, ὠδίνειν‘, ae. fitt ‚Streit‘
(Hapaxlegomenon, Cædmon), nwestfries. fits ‚bissig‘
und air. idu (gen. idan, nom. pl. idain) < *pid-
‚Schmerz, Geburtswehen‘ gestellt und auf eine nur in
diesen germ. und kelt. Wörtern vorkommenden idg.
Wz. *pid- ‚gebären(?)‘, ursprl. ‚stark ziehen(?)‘ (Po-
korny 830; vgl. auch Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 155 f.;
Lehmann, Gothic Et. Dict. F-59) zurückgeführt. Die-
ser Vergleich ist aber problematisch. Erstens ist trotz
de Vries’ Versuch, Parallelen im Ndl. zu finden, die
Bed.entwicklung von einer Grundbed. ‚stark ziehen‘
zu ‚klug‘ etwas fraglich; dazu ist diese Grundbed.
wahrscheinlich absichtlich gewählt, nur um sein Argu-
ment zu unterstützen, denn ‚kreißen‘ wäre wohl eher
als ‚stark stoßen‘ statt ‚stark ziehen‘ zu deuten.
Wenn diese Wörter tatsächlich verwandt sind, dann
wäre viell. von einer Grundbed. ‚weh tun, schmerzen‘
auszugehen: vgl. ne. smart ‚klug, gescheit‘ zum Verb to
smart ‚schmerzen‘ (< ‚stechend, scharf‘; zur Bed. vgl.
lat. acutus). Dennoch bleibt diese Sippe nur aufs Kelt.
und Germ. beschränkt, und zudem hat J. Schindler,
Zfvgl. Spr. 89 (1975), 53 ff., bezweifelt, ob air. idu
wirklich zu got. fitan gehört; er setzt es eher mit arm.
erkn (gewöhnlich Pl.) ‚Geburtswehen‘ < idg.
*H₁edu̯on- : *H₁edun- gleich. Wenn er recht hat — was
keineswegs sicher ist —, dann schwindet der einzige au-
ßergerm. Beleg für eine Wz. *pei̯d- ‚weh tun‘ (es sei
denn, es könnte sich um eine Erweiterung der idg. Wz.
*pē[i]- : *pī- [**peH₁i̯- : **piH₁-] ‚weh tun, beschä-
digen, schmähen‘ [Pokorny 792 f.; LIV² 459 f.;
→ fîant, fîên] handeln; sehr unsicher).
Eine ähnliche Bed.entwicklung zeigt schweiz. fitzig ‚li-
stig‘, gefitzt ‚durchtrieben, verschlagen, gewandt‘ zu
mdartl. (obd.) fitzen ‚mit der Rute, Peitsche oder
Gerte schlagen‘. Obgleich dieses Verb keine sichere
Etym. hat, ist Herleitung von derselben Wz. *pei̯d-
wie fizzus sehr zweifelhaft (vgl. Schweiz. Id. I, 1152.
1154; Fischer, Schwäb. Wb. II, 1529; Schmeller, Bay-
er. Wb.² I, 781).
Ahd. fizzus ließe sich aber auch auf idg. *pedu̯os- :
*-us zurückführen, denn im Ahd. wurde e vor u oft zu
i; vgl. Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 30 c. Die einzige idg. Wz.,
die hier in Frage käme, wäre *ped- ‚Fuß, gehen‘ (→
fuoz, fezzan, fezzara), aber die Bed.entwicklung wäre
auch hier problematisch. Wie bei ahd. list (s. d.), nhd.
List (zur Wz. idg. *lei̯s- [‚Spur‘]), wäre viell. von einer
Grundbed. ‚aufspüren, durch Verfolgen der Spur ent-
decken‘ auszugehen (vgl. lat. peda, lit. pedà ‚Fußspur‘
und aisl. feta ‚den Weg finden‘; Pokorny 791), also et-
wa ‚bewandert, erfahren‘ (vgl. Schade 191 f.). Ebenso
unsicher wie die erste Deutung.
Abzulehnen ist J. Grimms Ableitung von germ. *feitan
‚callere, pinguere‘(!), die er mit lat. callidus zu callēre
vergleicht (die germ. Wz., die in feizit ‚feist, fett‘
[s. d.] vorkommt, bedeutet nur ‚fett sein‘ [vgl. Po-
korny 793 f.: *pei̯(ǝ)-] und nicht wie lat. callēre ‚eine
harte, dicke Haut, Schwielen haben‘; zu callidus und
callēre vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 139).
Nhd. fies ist übrigens nicht verwandt (vgl. Kluge²¹
197; Kluge²⁴ 292).