ionêrAWB adv., im Abr und weiteren Gl., in
OG, NBo, NMC, NCat, Nps und Npw: ‚ir-
gendwo, irgendwohin; ubicumque, uspiam,
usquam‘ 〈Var. eo-, ie-; -nar〉, eoener im
Abr (1,269,8 [Kb]) ist Verschreibung für
*eoner oder *eoneer (vgl. Splett 1976: 410).
— Mhd. iener (räumlich und modal) ‚irgend-
wo, irgend‘, auch ienar, iender, i(e)ndert, ie-
nâ, frühnhd. jender(t), indert, iene ‚irgend-
wo, irgendeinmal, irgendwann, irgendwie,
irgend-‘. Vereinzelt ist im Mhd. ein epithe-
tischer Dental an den Auslaut getreten (vgl.
Paul 2007: §§ L 82. 118), im Inlaut entstand
nach Synkope des Endsilbenvokals mhd. -d-
als Gleitlaut: iener > *ienr > iender, oder es
handelt sich um die bes. im Bair. ausgepräg-
te Erscheinung der Entwicklung von /b/, /d/,
/g/ nach /l/, /n/, /r/, /ʒ/, /m/ (vgl. Kranzmayer
1956: § 27j; Paul 2007: § L 82). Das stan-
dardsprachlich nicht mehr gebräuchliche
Wort findet sich noch dial. im Bair. und
Alem. Die Zugehörigkeit von westmd. in-
dert ‚eben, vor kurzem, vorhin‘ (Müller,
Rhein. Wb. 3, 1088) ist aufgrund der Bed.
fraglich.
Die Formen mit mittlerem Dental sind etym. nicht
immer klar zu trennen von der Sippe um as. gendra
‚dort, jenseits‘, mndd. ginder, gender, gindert, ginnert
‚dort‘, me. yonder ‚jenseits‘, got. jaindre ‚dorthin‘,
die auf urgerm. *i̯enđrē o.ä. deuten und alten mittle-
ren Dental enthalten (vgl. G. Schmidt 1962: 36).
Ahd. Wb. 4, 1692; Splett, Ahd. Wb. 1, 425; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 602; Schützeichel⁷ 166; Starck-Wells
308; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 70; Seebold,
ChWdW8 170; Graff 1, 517 f.; Lexer 1, 1415; 3,
Nachtr. 255; Frühnhd. Wb. 8, 76. 358 ff.; Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 689 (usquam); Dt. Wb. 10, 2042 f. —
Schweiz. Id. 1, 296 f.; Jutz, Vorarlberg. Wb. 1, 1488;
Lexer, Kärnt. Wb. 148. — Schatz 1927: § 46; Berg-
mann 1991: 387.
Das Wort ist eine innerdt. Bildung und hat
keine Entsprechungen in anderen germ.
Sprachen. Die Etym. bleibt vorläufig unge-
klärt: Abzutrennen ist jedenfalls io- (s. io).
Das HG -nêr ist unklar. Die etwa im Dt. Wb.
und von Lexer gegebene Herleitung aus ahd.
*êo in ëru ‚irgend auf Erden‘ kann schon
aufgrund der genau umgekehrten Verteilung
der Vokallängen kaum zutreffen. Die Herlei-
tung aus *io in êr ‚jemals in früherer Zeit‘
o. ä. zeigt zwar die richtige Verteilung der
Vokallängen, bleibt aber wie die erstgenann-
te Lösung hinsichtlich des mittleren *-i- un-
befriedigend (es sei denn, man hält die im
Abr bezeugte Form eoener nicht für einen
Schreibfehler, sondern für einen Reflex der
Grundform). Sie ist auch semantisch schwie-
rig, da gegenüber der durchweg bezeugten
lokalen Bed. die erst im Mhd. auftretende
temporale Bed. als primär gelten müsste.
Den bislang überzeugendsten Vorschlag hat
G. Schmidt 1962: 68—70 vorgelegt: Er
nimmt den ältesten Beleg ahd. eoener bzw.
eo ener als Ausgangspunkt; die Schreibung
stehe für *ēo jenr. Die Fügung sei später
zusammengezogen und im Inlaut (haplo-
logisch) vereinfacht worden. Dabei rechnet
er mit einer durch ahd. io ‚je, irgendeinmal‘
(s. d.) indefinit gewordenen ahd. Fortsetzung
der Entsprechung von got. jainar ‚dort‘ (zur
Etymologie des Stamms s. jenêr). Der Aus-
laut war urspr. kurz, die Entsprechung got.
-ar : ahd. -er sei so wie beim Nom.Sg. der
Verwandtschaftsbez. auf uridg. *-ēr zurück-
zuführen. Da die Länge in ionêr erst bei
Notker bezeugt ist, kann hier die auch in an-
deren Adv. bei Notker greifbare Dehnung in
Auslautsilben eingetreten sein, wie sie z. B.
auch die Adv. auf ahd. -ân < ahd. -an(a) zei-
gen; vgl. dannân neben dannana ‚von da‘
(s. dd.), innân neben innana ‚(von) innen‘
(s. dd.) u.a. Weniger wahrscheinlich ist, dass
der ausl. Langvokal analogisch aus Einsilb-
lern bezogen wurde; vgl. mit erhaltener Län-
ge ahd. dâr ‚dort‘, wâr ‚wo‘ (s. dd.).
G. Schmidt 1962: 36. 68—70. 117 f.