fingarAWB m. a-St., seit dem 8. Jh.: ‚Finger, ar-
tus, digitus, summa manus, tactus‘. — Mhd. vin-
ger m. ‚Finger‘, nhd. Finger. Die einzelnen Fin-
ger haben bereits früh eigene Bezeichnungen:
seit dem 8. Jh. ahd. dûmo (s. d.), seit dem 9. Jh.
zeigâri (s. d.; 15. Jh. dagegen Zeigefinger),
12. Jh. goldfingar (dagegen 16. Jh. Ringfinger),
15. Jh. Mittelfinger, 16. Jh. kleiner Finger (zu
den Bezeichnungen der Finger s. W. Grimm,
Kleinere Schriften [Berlin, 1884], III, 425 ff.).
Ahd. Wb. III, 878 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 234; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 265; Schützeichel⁵ 134; Starck-Wells
153 f. 809; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 168;
Seebold, ChWdW8 127; Graff III, 527 f.; Schade 196;
Lexer III, 355; Benecke III, 321; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 181 (digitus); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 197 (di-
gitus). 393 (summa manūs). 652 (tactus); Dt. Wb. III,
1650 ff.; Kluge²¹ 198; Kluge²⁴ 294; Pfeifer, Et. Wb.²
344 f.
Das Wort ist in allen altgerm. Sprachen bezeugt:
as. fingar, mndd. vinger(e); mndl. vingher, nndl.
vinger; afries. fing(e)r, nostfries., nwestfries.
finger; ae., me., ne. finger; aisl. fingr ‚Finger, Ei-
ner‘ m., im Aisl., Aschwed. teils auch n. (vor al-
lem wegen des lautlichen Zusammenfalls von
Nom. Sg.n. und Akk.Sg.m.; s. A. M. Sturtevant,
Flom-Festschrift 52), nnorw., nschwed. (ett fin-
ger n., s. o.), ndän. finger; got. figgrs (nur akk.pl.
figgrans): < urgerm. *fengra-.
Fick III (Germ.)⁴ 228; Holthausen, As. Wb. 20; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 132; Berr, Et. Gl. to Hel. 120; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 723 f.; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. V, 255; Verdam, Mndl. handwb.
715; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 744; Vries, Ndls. et.
wb. 786; Holthausen, Afries. Wb.² 27; Richthofen,
Afries. Wb. 741 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ost-
fries. Spr. I, 484; Dijkstra, Friesch Wb. I, 352 f.; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 105; Bosworth-Toller, AS Dict.
287; Suppl. 219; ME Dict. E-F, 576 f.; OED² V,
932 ff.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 357; Vries, Anord. et.
Wb.² 120; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 543; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog I, 413; IV, 98; Holthausen,
Vgl. Wb. d. Awestnord. 61; Falk-Torp, Norw.-dän. et.
Wb. 218; Ordb. o. d. danske sprog IV, 997 ff.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 105; Hellquist, Svensk et. ordb.³
210 f.; Svenska akad. ordb. F-572 ff.; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 150; Lehmann, Gothic Et. Dict. F-47.
Eine sichere Deutung des Wortes existiert nicht.
Bringt man ahd. fingar mit der in ahd. fâhan
(s. d.) vorliegenden Wz. *pǝ-n-k- ‚fangen, fas-
sen‘ [**pǝ₂-n-k-] in Verbindung und deutet die
Vorform *penkró- als Substantivierung eines
primären Adjektivs auf *-ro- (zu solchen Bil-
dungen s. Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss. III
§ 81, 1) der Bedeutung ‚Fasser, Greifer, Fanger‘
(so bereits Grimm, Dt. Gr.a II, 59), ist Ablaut-
entgleisung eines *pankró- zu *penkró- ‚Er-
greifer‘ anzunehmen.
Auf das Problem der Ablautentgleisung wird bei die-
sem Anschluß in der Forschung nicht eingegangen;
z. B. W. Schulze, Kl. Schriften 193: *penghrós; Pfeifer,
a. a. O. als Alternative zur Ableitung vom Wort ‚fünf‘
(s. u.): *penkro- zu ahd. fâhan.
Auch die herkömmliche Verbindung von ahd.
fingar mit dem Wort ‚fünf‘, etwa unter einer
Vorform *penku̯ró- ‚einer aus der Gesamtheit
der fünf Finger‘ (G. v. Sabler, Zfvgl. Spr. 31
[1892], 280; C. T. Stewart, BB 30 [1906],
238 f.) bietet Probleme. Denn die ro-Ableitung
*penku̯ró- von *pénku̯o- ‚Komplex von fünf
Fingern‘ wäre in diesem Fall zur Bezeichnung ei-
nes einzelnen Fingers verwendet worden, eine
sonst nicht weiter nachweisbare Funktion von
Sekundärbildungen auf *-ro- (Krahe-Meid,
a. a. O. § 81, 4); → fimf.
Stewart (a. a. O.) verweist für die Zugehörigkeit des
Wortes Finger zu dem Numerale auf das Nebeneinan-
der von aind. páñca ‚fünf‘ und aind. pāṇí- m. ‚Hand‘.
Abgesehen von der unterschiedlichen Quantität der a-
Laute ist jedoch aind. pāṇí- ohne eine anerkannte Ety-
mologie (Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. II, 117 f.).
Semantisch wenig befriedigend ist Grienbergers (Un-
ters. z. got. Wortkunde 67) Ansatz *penku̯erós mit
komparativischem ero-Suffix „im Sinne eines Superla-
tivs ‚der fünfte‘“. *penku̯erós sei ursprl. eine Bezeich-
nung des kleinen Fingers als des fünften gewesen, wo-
bei die Synkope in vorurgerm. *penku̯rós gegenüber
der Vorform von got. anþar ‚der andere‘ alt sei.
Unhaltbar S. Bugge, BB 14 (1889), 79: *penku̯rés
‚Finger‘ statt *penku̯e-nrés ‚Fünfmänner‘.
Nach A. Meillet (MSLP 9 [1896], 151; BSLP 29
[1928], 36) ist ahd. fingar zu arm. hinger- in hingerord
‚der fünfte‘ zu stellen, wobei der Zusammenhang des
Wortes Hand mit gr. -κοντα (τρικοντα ‚dreißig‘
usw.; → drîzug) zu vergleichen sei (zustimmend Klu-
ge²¹ 198; Solta, Stellung d. Arm. 453). Arm. hinger-
stellt jedoch eine innerarm. Lautentwicklung dar (→
fimfto); und das Wort Hand verbindet sich mit got.
-hinþan ‚greifen, fangen‘ (→ hant).
Auch das von H. Pedersen (Zfvgl. Spr. 32 [1893], 272)
verglichene Wort air. cóicer ‚Anzahl von fünf‘ ent-
spricht in seiner Wortbildung nicht dem Wort ‚Finger‘.
Nach Thurneysen (Gr. of OIr. 243 f.) ist -er identisch
mit dem Wort fer ‚Mann‘ wie in oínar, nónbor, de(i)-
chenbor usw. ‚Anzahl von einem; neun; zehn‘ usw.
Mann (IE Comp. Dict. 919) bringt das Wort Finger
nicht nur mit arm. hingerord und air. cóicer zusammen
(s. o.), sondern auch mit osk. púmperiaís ‚quincuriis‘,
lit. penkerì, slaw. pętorъ ‚fünf an der Zahl‘, wobei er
eine gemeinsame Vorform uridg. *penku̯eros ‚fünf an
der Zahl‘ voraussetzt. Bei dem ro-Suffix handelt es
sich jedoch um ein Kollektivsuffix (s. Arumaa, Urslav.
Gr. III § 181; doch mit teils unrichtigen Bezügen),
weshalb die Annahme der Verwendung der ro-Bildung
zur Bezeichnung eines Einers wieder Schwierigkeiten
bereitet (s. o.).
J. Loewenthals (Ark. f. nord. fil. 35 [1919], 229) An-
schluß an air. éim, ém ‚schnell‘, aisl. fimr ‚gewandt,
behende‘ ist abzulehnen, da diese Wörter nicht auf ei-
ner Wz. *pem-, einer vermeintlichen Variante zu
*pen-, beruhen, sondern die Vorformen *pei̯-mi-
bzw. *pi-mo- und damit eine Wz. *pei̯- voraussetzen.
Walde-Pokorny II, 25 f.; Pokorny 808; Mayrhofer, K.
et. Wb. d. Aind. II, 187; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 767 f.;
Untermann, Wb. d. Osk.-Umbr. 602 f.; Fraenkel, Lit.
et. Wb. 570.