burgAWB f. kons. und i-St. (s. Braune, Ahd.
Gr.¹⁴ § 243): ‚Stadt, besiedelter Ort‘ (nur sel-
ten spezifisch ‚befestigter Ort‘), seit dem 8. Jh.;
das Wort übersetzt meistens civitas oder urbs,
selten arx, castellum, castrum 〈Var.: p-; -rc,
-rch, -rh, -rgh, -ruc, -rig, -rik-, -rag-〉. — Mhd.
burc st.f. ‚befestigter Ort, Burg, Schloß, Stadt‘,
nhd. Burg.
Ahd. Wb. I, 1524 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 53; Schütz-
eichel⁴ 83; Starck-Wells 86; Graff III, 179; Schade 92;
Lexer I, 390; Benecke I, 165; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 52 (arx). 105 (castrum). 630 (urbs); Dt. Wb. II,
534 ff.; Kluge²¹ 111 f.; Kluge²² 114 f.; Pfeifer, Et. Wb.
232 f.
Entsprechende Wörter sind in allen germ. Spra-
chen belegt: as. burg, burh, burug f. ‚Stadt, Ort,
Burg‘, mndd. borch f. ‚Burg, Schloß, Stadt,
Haus‘; mndl. borch, burch f. (selten m., n.)
‚Stadt, Burg‘, nndl. burcht, burg m. (selten f.)
‚Burg‘; afries. burg f. ‚Burg, Stadt‘; ae. burg,
burh, burug, buruh, byr(i)g f. ‚befestigter Ort,
Burg, Stadt‘, me. bur(g)h, buruh, boro(u)gh
usw., ne. borough ‚Stadt(gemeinde)‘, -bury,
-burgh in ON, wahrscheinlich auch burrow
‚Bau (eines Fuchses, Kaninchens usw.)‘; aisl.
borg f. ‚Burg, Stadt, Wall, Hügel‘, nnorw.
nschwed. ndän. borg; got. baurgs f. ‚Stadt, πό-
λις‘; einmal βᾶρις (Ἱερουσαλήμ) ‚Burg‘ (kaum
‚Turm‘, vgl. Tiefenbach, Wörter volksspr. Her-
kunft 26 Anm. 158).
Fick III (Germ.)⁴ 265; Holthausen As. Wb. 11; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 66; Berr, Et. Gl. to Hel. 70; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 318; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 386; Verdam, Mndl. handwb. 110;
Franck, Et. Wb. d. ndl. taal² 100; Suppl. 27 f.; Vries,
Ndls. et. wb. 96; Holthausen, Afries. Wb.² 13; Richt-
hofen, Afries. Wb. 675; Holthausen, Ae. et. Wb. 38;
Bosworth-Toller, AS Dict. 134 f. 140; Suppl. 111. 114;
ME Dict. A—B, 1223 ff.; OED² II, 116. 667. 682. 687;
Oxf. Dict. of Engl. Et. 108. 129; Vries, Anord. et. Wb.²
50; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 624 f.; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 22; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
94. 1440; Torp, Nynorsk et. ordb. 34; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 92; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 85 f.;
Lehmann, Gothic Et. Dict. B-36.
Germ. *urs ist ein schwieriges Wort, nicht
weil es keine Etymologie dafür gibt, sondern
weil mehrere plausible Etymologien miteinander
konkurrieren, ohne daß sich eine als besonders
überzeugend erwiesen hat. Ganz unsicher ist
u. a. der Zusammenhang mit den ähnlich lauten-
den, aber in Genus, Stammbildung und z. T. in
der Bedeutung abweichenden Wörtern lat. bur-
gus m. ‚Wehrturm, Wachtturm, kleines Kastell‘,
gr. πύργος m. ‚Turm, Mauer, Festung‘. In der
Literatur findet man die Auffassungen, daß das
germ. Wort aus dem Lat., das lat. aus dem
Germ. oder aber aus dem Gr. entlehnt sei oder
aber daß alle drei Wörter Reflexe eines alten
Wanderwortes seien. Unter denjenigen, die
*urs für ein echt germ. Wort halten, verknüp-
fen es einige mit ‚Berg‘, andere mit ‚bergen‘,
wieder andere trennen es von beiden Wortsip-
pen und sehen nur im Griech. Vergleichsmög-
lichkeiten.
Obgleich sich aus diesem Wirrwarr von Annah-
men die einzig unbestrittene Etym. nicht fest-
stellen läßt, können wenigstens die unwahr-
scheinlichsten Vermutungen ausgeschaltet wer-
den.
P. Kretschmers These (Glotta 22 [1933—34], 100 ff.)
z. B., daß gr. πύργος schon im 2. vorchr. Jahrtau-
send(!) durch illyrische und makedonische Vermitt-
lung aus dem Germ. entlehnt worden sei, ist kaum
ernst zu nehmen. Zur umstrittenen Etym. von πύργος
(kleinasiatisches Lehnwort oder vorgriech. Substrat-
wort) vgl. Frisk, Gr. et. Wb. II, 629 f.; Chantraine,
Dict. ét. gr. 958. Etwas mehr Zustimmung hat seine
weitere Annahme gefunden, auch lat. burgus sei ein
(viel späteres) Lehnwort aus dem Germ. (vgl. Pauly-
Wissowa, Realenzykl. III, 1, 1066 f.; Tiefenbach,
a. a. O. 24 ff. u. a.); aber auch diese Hypothese ist frag-
lich: die ältesten Belege des lat. Wortes sind, wie gr.
πύργος, alle mask. o-Stämme. Auch semantisch stehen
sie dem griech. Wort näher; burgi (immer im Pl.) wird
schon in der 2. Hälfte des 2. Jh.s n. Chr. in lat. In-
schriften bezeugt (die Ableitung burgarii ‚die Solda-
ten, die die burgi bemannen‘ schon in der ersten
Hälfte) und bezeichnet eine Reihe von kleineren Befe-
stigungsanlagen sowohl in Europa als auch in Afrika
(vgl. bes. E. Penninck, Latomus 4 [1940—45], 7 f.;
W. Schlesinger, Studium Generale 16 [1963], 442). Zu
dieser Zeit hätten die Römer kaum ein technisches
Wort des Festungsbauwesens von den auf diesem Ge-
biet weit unterlegenen Germanen übernommen; ja, die
Germanen haben mehrere derartige Wörter wie Turm,
Kastell, Wall, Mauer von den Römern entlehnt (Pen-
ninck 14). Andererseits weiß man, daß fast alle Termi-
ni aus dem Festungsbauwesen und der Belagerungs-
kunst griech. Ursprungs sind (vgl. Penninck 14 und →
*bergfrit). Am wahrscheinlichsten ist also lat. burgus
als griech. Lehnwort zu betrachten (so R. Much, ZfdA.
41 [1897], 113 f.; Penninck, a. a. O.; zum Wandel π >
b vgl. gr. πύξος > lat. buxus ‚Buchsbaum‘ [→ buhs];
gr. πυρρός > lat. burrus ‚feuerrot‘ usw.). Im Mittellat.
und in den roman. Sprachen änderte sich die Bed.
wohl unter germ. Einfluß zu ‚(befestigte) Stadt,
Marktflecken usw.‘, obgleich das Wort mask. bleibt
(nur einmal, in der Mitte des 5. Jh.s, kommt burgus als
Fem. vor, und zwar bei Sidonius Apollinarius, vgl.
Wartburg, Frz. et. Wb. XV, 2, 21 f. und Penninck
10 f.).
Aus ähnlichen Gründen (Unterschied in Genus,
Stammbildung und Bed.) wird kaum mehr be-
hauptet, germ. *urs sei aus dem Lat. entlehnt
(zu früheren Erklärungsversuchen dieser Art
vgl. Feist, a. a. O.); höchstens wird vom Zusam-
menfall eines germ. Wortes mit lat. burgus oder
einem durch die Bed. von burgus beeinflußten
Wort gesprochen (vgl. Kluge²² 114 f.). Daß
germ. *urs, lat. burgus und gr. πύργος alle
Formen eines nichtidg. Wanderwortes seien, wie
Feist, a. a. O. vermutet, läßt sich weder beweisen
noch widerlegen.
Trotz der lautlichen Ähnlichkeit mit dem
griech./lat. Wort ist es doch durchaus möglich,
daß *urs ein damit nicht verwandtes einheimi-
sches Wort darstellt. Alle Versuche, solch ein
germ. Wort zu etymologisieren, werden da-
durch erschwert, daß die ursprl. Bed. unklar ist.
Bei den got. Belegen wie auch bei den ältesten
ahd. Glossen ist die Hauptbed. schon ‚Stadt‘
(πόλις, civitas, urbs); da die Altgermanen keine
Städte hatten, muß sich diese Bed. aus einer frü-
heren entwickelt haben, viell. ‚Fluchtburg‘ oder
Ähnliches (zur Entwicklung dt. Städte und zur
späteren Geschichte von ‚Burg‘ und ‚Stadt‘ vgl.
W. Schlesinger, a. a. O. 433 ff.; ders., Mayer
[Th.]-Festschrift [1954], I, 97 ff.).
Die oft vertretene Meinung, *urs sei mit
‚Berg‘ verwandt (vgl. Kluge²¹ 111 f.; Hoops
Reallex.² IV, 117 ff.; Walde-Pokorny II,
172 ff.); Pokorny 140 f. u. a. setzt eine ursprl.
Bed. etwa ‚befestigte Höhe als Fluchtburg‘ vor-
aus. Man vergleicht (mit derselben Ablautstufe
idg. *bhg̑h-) av. bǝrǝz- ‚hoch‘, auch ‚Höhe,
Berg‘, npers. burz ‚dss.‘; mir. brí, akk. bríg,
kymr. korn. bret. bre ‚Hügel‘ (→ berg). Dagegen
spricht nur die Tatsache, daß die frühesten
‚Fluchtburgen‘ wahrscheinlich durch Mauern
aus Erde und Holz befestigte, oft auf ebenem
Lande gelegene Orte waren, wofür die Bezeich-
nung ‚Höhe‘ kaum passen würde (vgl. L. Motz,
IF 81 [1976], 213 ff.). Auch der erst spät be-
zeugte Wechsel zwischen -berg und -burg in
Ortsnamen wie auch das gelegentliche Neben-
einander der Bedeutungen ‚Berg‘ und ‚Burg‘ bei
Appellativen, z. B. bei aisl. borg, das neben
‚Burg‘ auch ‚Hügel‘ bedeutet, oder mndl. berch
‚Berg‘, selten auch ‚Burg‘ (Verdam, a. a. O. 76),
beweist nichts für die ursprl. Bed., sondern deu-
tet eher auf eine Kontamination der beiden
Wörter, nachdem man steinerne Burgen auf Hü-
geln und Bergen zu bauen begann (vgl. Tiefen-
bach, a. a. O. 28, der aber von einem „Nebenein-
ander verwandter Formen“ spricht).
Eine zweite, vom semantischen und lautlichen
Standpunkt ebenso vertretbare Etym. verknüpft
germ. *urs mit *eran- ‚(ver-)bergen, in Si-
cherheit bringen‘: eine treffende Beschreibung
des Zwecks einer ‚Fluchtburg‘. Sichere außer-
germ. Parallelen mit derselben Ablautstufe sind
zwar selten, aber man könnte z. B. tschech. brh
‚Höhle, Hütte, Zelt‘ vergleichen (dagegen ist al-
ban. burk, -gu ‚unterirdisches Vorratshaus,
Keller, Gefängnis‘ wohl Entlehnung aus mittel-
lat. burgus, da * im Alban. im allgemeinen ri
ergibt); mit anderer Ablautstufe (*bhorgh-)
ukrain. oboríh ‚Heuschober‘, tschech. brah
‚Heuschober, Haufen‘, poln. bróg ‚Scheune,
Schober‘ (→ bergan, mit Lit.; vgl. Oxf. Dict. of
Engl. Et. 108; sonst meistens nur als eine Mög-
lichkeit unter mehreren erwähnt, wie z. B. bei
Franck, a. a. O. 100; Kluge²² 114 f.).
Verfehlt sind alle Versuche, ‚Burg‘, ‚Berg‘ und ‚ber-
gen‘ auf dieselbe idg. Wz. zurückzuführen, ob auf
*bhergh- oder *bherg̑h- (vgl. L. Motz, a. a. O.;
E. Hamp, Homenaje a Antonio Tovar [Madrid, 1972],
178 f.).
Einen anderen Weg beschritt H. Jacobsohn
(Zfvgl.Spr. 48 [1917—18], 139 f.), indem er
*urs sowohl von ‚Berg‘ als auch von ‚bergen‘
trennte und mit gr. φράσσω ‚umzäunen, umhe-
gen, schirmen‘, φράγμα ‚Umzäunung, Schutz,
Abwehr‘ usw. unter einer Wz. idg. *bhk- (im
Germ. mit gramm. Wechsel) verknüpfte. Die
Deutung von *urs als ‚das Umzäunte, Einge-
hegte‘ ist zwar einleuchtend, aber die Lautge-
stalt der griech. Wörter ist selbst problematisch
(Wz. *φρακ- oder *φραγ-), und es fehlt eine si-
chere Etym. (zu lat. farciō ‚[voll]stopfen‘?); vgl.
Frisk, a. a. O. II, 1038 f.; Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. I, 456 f.; zudem weicht eine Wurzelform
*bhk- von den für das Uridg. anzusetzenden
Silbenstrukturregeln ab.
Zusammenfassend läßt sich nur feststellen, daß
es wohl ein echt germ. Wort *urs gab, das
z. T. mit lat. burgus zusammenfiel, später viell.
auch semantisch von germ. *eraz ‚Berg‘ beein-
flußt wurde. Aber keine der dafür vorgeschlage-
nen Etymologien kann als sicher gelten.