fir-
Band III, Spalte 279
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fir- schwach betontes Verbalpräfix (auch in
deverbativen Nominalzss.): ver- (zu den ver-
schiedenen Bed. des Präfixes vgl. Wilmanns,
Dt. Gr. II § 124 ff.; M. Leopold, Die Vorsilbe
ver- und ihre Geschichte [Breslau, 1907]) Var.:
fur-, for-, fir- (frk.)., far- (obd.); vom Ende
des 9. Jh.s herrschen fir-, fer- in allen Dialek-
ten (vgl. Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 76). Vor l kann
Assimilation, Vereinfachung des Doppelkon-
sonanten und Verlust des unbetonten Vokals
stattfinden: fir-liosan > *filliosan > *filiosan
> fliosan; ähnlich vor r: fir-râchan > *firâ-
chan > frâchan (s. d.); meistens bleibt aber fir-
erhalten ( firliosan, firlâzan, firrâchan).
Mhd., nhd. ver-; as. far-, for-, mndd. vor-;
andfrk. far- (seltener fer-), mndl., nndl. ver-;
afries. for-; ae. for-; aisl. (selten) for-; got.
fair-, faur- (s. u.).

Köbler, Wb. d. ahd. Spr. 267; Graff III, 604 ff.; Lexer
III, 67; Benecke III, 299; Dt. Wb. XII, 1, 51 ff.; Klu-
ge²¹ 811; Kluge²⁴ 949 f.; Pfeifer, Et. Wb.² 1497 f.
Holthausen, As. Wb. 18; ders., As. El. buch § 123; Hel-
ten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 139 (§ 34); Franck, Et. wb.
d. ndl. taal² 729; Vries, Ndls. et. wb. 771; Holthausen,
Afries. Wb.² 29 f.; ders., Ae. et. Wb. 112; Bosworth-
Toller, AS Dict. 301; Suppl. 232; Vries, Anord. et.
Wb.² 137; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 547. 993; Holt-
hausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 70; Heusler, Aisl. El.-
buch § 43. 123; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 137. 145;
Lehmann, Gothic Et. Dict. F-10. 29. G. Schmidt,
Germ. Adv. 321 ff., bes. 325 ff.

Wie ahd. fora(-), fra-, furi(-) (s. d. d.) geht fir-
auf die idg. Wz. *per- das Hinausführen über,
mit Varianten *peri-, *-, *per-, *pr- usw. zu-
rück (vgl. Pokorny 810 ff.), aber die Entstehung
der Form ist umstritten. Sie ist kaum durch r-
Metathese aus fra- entstanden (vgl. Schmidt,
a. a. O. 326). Nach Schmidt, a. a. O. war far- aus
germ. *fer- die älteste Form (= got. fair-) <
idg. *per- (vgl. aind. pári, gr. περί, πέρ, lat. per,
lit. pr, per-, aksl. prě-); zwar kommt ein Wech-
sel e > a vor r im Germ. vor, aber er ist im Ahd.
sehr begrenzt (nur gelegentlich in Formen von
ander, after, unser, iuwer; vgl. Braune, Ahd.
Gr.¹⁵ §§ 64. 285 Anm. 2; Schatz, Ahd. Gr.
§ 106; bei fatara, nom. pl. statt fatera [einmal
Tatian], dagegen ist e an den Endvokal assimi-
liert; vgl. Tatian fatoron dat.pl.).

Wenn fir- das schwach betonte Gegenstück zum
betonten fra- (idg. pro-) ist, war die Vorform
wohl idg. *p- > germ. *fur- (vgl. got. faur, gr.
πάρ, lat. por-). Daß *fur- sehr früh zu far-,
dann zu fir-, fer- werden konnte, zeigt die ge-
naue Parallele zum ahd. Präf. ur- > ar- > ir-
> er-, das aus germ. *uz- stammt ( ur-); auch
in Mittel- und Ableitungssilben ist a vor l oder r
z. T. aus älterem *u/o hervorgegangen; vgl.
Fremdwörter wie spiagal < speculum, zabal <
tabula, ziagal < tegula, auch bair. sichar neben
sichur < securus (H. Paul, PBB 6 [1879],
206 ff.; Braune, a. a. O. § 64 Anm. 1; Schatz, A-
bair. Gr. § 46). Obgleich diese Erklärung am
wahrscheinlichsten ist, können die Formen auch
von germ. *fer- (= got. fair-) beeinflußt worden
sein, denn ahd. fir- vereinigt in sich die Bedeu-
tungen der got. Präfixe faur-, fra- und fair- (vgl.
Wilmanns, a. a. O.).

Walde-Pokorny II, 29 ff.; Pokorny, a. a. O.; Mayrho-
fer, K. et. Wb. d. Aind. II, 216 f.; ders., Et. Wb. d. Alt-
indoar. II, 91 f.; Frisk, Gr. et. Wb. II, 472 f. (πάρ[α]-).
512 f. (περί, πέρ); Chantraine, Dict. ét. Gr. 856 f. 886;
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 283 ff.; Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 497; Fraenkel, Lit. et. Wb. 572;
Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. zu den aksl. Texten 98.
289 (Nr. 706).